Österreichs nie dagewesener Handball-Boom
In der Ski-Nation finden sich die EM-Helden plötzlich auf den Titelseiten wieder, und das Fernsehen ändert sein Programm.
(dpa/sid) Für Österreichs Handballer ist die Europameisterschaft in Deutschland schon jetzt ein kleines Wintermärchen. „Wir sind in der Hauptrunde mit drei Punkten auf Platz zwei. Das kannst du doch keinem erzählen“, sagte Trainer Ales Pajovic völlig ungläubig. Vor dem brisanten Prestigeduell mit Deutschland an diesem Samstag (20.30 Uhr/ARD und Dyn) strotzt die ÖHB-Auswahl nur so vor Selbstvertrauen. „Wir erstarren nicht vor Ehrfurcht“, kündigte Außenspieler Robert Weber angriffslustig an. Das DHB-Team ist gewarnt.
Österreich befindet sich im Freudentaumel und erlebt einen noch nie da gewesenen Handball-Boom. „Wir sind bei jeder Zeitung auf der Titelseite“, berichtete Kreisläufer Tobias Wagner am Donnerstag nach dem 30:29 gegen die zuvor ungeschlagenen Ungarn und wünschte sich: „Ich hoffe, dass wir diese Welle mitnehmen können und von einer Randsportart immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rücken.“
Das österreichische Fernsehen ORF änderte nach dem sensationellen Erfolgslauf in der Vorrunde sein Programm und überträgt nun alle vier Hauptrundenspiele. „Wir bekommen die Euphorie in der Heimat mit. Das ist sehr erfreulich für uns, denn Handball ist kein großer Sport in Österreich“, sagte Rückraum-Ass Mykola Bilyk. Der Kurier aus Wien druckte auf seiner Titelseite sämtliche „Gesichter der Sensation im Handball“ab, damit die bislang eher unbekannten Namen der Spieler, Trainer und Betreuer eben ein Gesicht haben. Dazu erklärte das Blatt dem geneigten Leser, wer welche Rolle hat in der Mannschaft. Und damit auch allen klar ist, wie es beim Handball so zugeht, gab es noch eine ausführliche Regelkunde.
Der Handball-Zwerg hat sich zum ernst zu nehmenden Kontrahenten gemausert. Die Chancen, nach Platz acht (2020) und Platz neun (2010) zum dritten Mal eine EM in den Top 10 zu beenden, sind groß. Sogar das beste Ergebnis der Geschichte ist in Reichweite. „Wir gehen jetzt in jedes Spiel und wollen zwei Punkte, egal, wie der Gegner heißt“, sagte Torwart Constantin Möstl und schickte damit eine klare Ansage an Deutschland.
Während die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason unter Druck steht, hat Österreich schon alle Erwartungen übertroffen und kann frei aufspielen. „Ich habe meiner Familie schon zuvor gesagt, holt euch Tickets und fliegt nach Köln. Das ist eines der größten Spiele, die man erleben kann. Mein Sohn muss das sehen“, äußerte der frühere Magdeburger Profi Weber.
Normalerweise sei Handball in Österreich eine „Randsportart“, sagt Weber, stellt nun aber erstaunt fest: „Jetzt sind wir überall. Wir werden da so ein bisschen ferngehalten, aber es ist abartig. Es geht zu, das ist Wahnsinn. Aber auch zu Recht und auch verdient, finde ich. Das ist einfach hammergeil.“Bilyk ergänzte stolz: „Wir entfachen eine riesengroße Euphorie in Österreich.“Die noch größer wird, wenn sie an diesem Samstag den großen Favoriten Deutschland in der eigenen Halle schlagen.