Drei Tassen Tee sind Ostfriesenrecht
Ohne schwarzen Tee läuft nichts in Ostfriesland. 300 Liter trinkt jeder Ostfriese im Jahr. Seit 2016 ist die „Ostfriesische Teekultur“als Immaterielles Kulturerbe bei der Deutschen Unesco-Kommission gelistet.
Da war es eben. Ein leises Knistern in der Tasse. Das „Kluntje“ist zerbrochen. Jetzt wird es gemütlich zwischen Nordsee, Ems und Jade. Ganz im Nordwesten Niedersachsens gehört Tee seit mehr als 300 Jahren zur Alltagskultur. Bis zu sechs Mal am Tag trinken Ostfriesen ein Koppke (eine Tasse) Schwarztee. Die wichtigsten Teepausen sind das „Elfürtje“gegen 11 Uhr am Vormittag und am Nachmittag um 15 Uhr.
Zu dieser Uhrzeit beginnt auch die „Teestunde“im „Bünting Teemuseum“in Leer. Der Tisch ist mit einem für die Gegend typischen Service eingedeckt: Dekor „Ostfriesische Rose“– eine geschlossene Purpur-Rose, die von kleineren Blüten und grünen Blättern umgeben ist. In jeder Tasse liegt bereits ein kleiner Brocken weißer Kandis, ein „Kluntje“. „Eine traditionelle Teezeremonie besteht aus diversen Schritten“, sagt Celia Brandenburger: „Bevor ich drei bis vier Teelöffel schwarzen Tee in eine Porzellankanne gebe, spüle ich sie mit heißem Wasser aus, um sie anzuwärmen. Dann übergieße ich die Teeblätter mit sprudelnd kochendem Wasser, bis diese gut bedeckt sind und lasse den Aufguss zirka vier Minuten ziehen.“Danach füllt die Museumsleiterin die Kanne mit kochendem Wasser auf. Der Tee ist fertig und wird über den Kandis in die Tassen gegossen. Als dieser zerbricht, ist das leise Knistern zu hören, was bedeutet, dass der Tee heiß genug war. Nun folgt ein weiteres Ritual: Mit einem speziell gebogenen Löffel legen sich die Teilnehmer der „Teestunde“entlang des Tassenrands flüssige Sahne auf das Getränk. „Und zwar entgegen dem Uhrzeigersinn“, erklärt Celia Brandenburger: „Eine Teezeremonie dient dazu, in sich zu gehen, zu genießen, ein bisschen die Zeit anzuhalten.“Die Sahne sinkt zu Boden, steigt wieder auf und bildet dabei ein Wölkchen, das „Wulkje“, auf dem Tee. Zwei Besucher greifen sogleich zum Teelöffel. „Stopp“, ermahnt Celia Brandenburger: „In Ostfriesland wird nicht gerührt.“Der Teelöffel, der auf der Untertasse liegt, ist nur dazu da, um zu signalisieren, dass man nicht mehr nachgeschenkt bekommen möchte. Wenn doch, dann stellt man den Löffel einfach in die Tasse.
Das Trinken einer Tasse Ostfriesentee gleicht einem Drei-Gänge-Menü: Die cremige Sahne beim ersten Schluck bildet die Vorspeise. Der Hauptgang ist der kräftige Tee. Als Dessert schmeckt man den süßen Kandis. Dieser löst sich meist erst nach dem dritten Einschenken komplett auf. „Einst war Kandis teuer“, erzählt die Museumsleiterin: „Doch drei Tassen Tee waren Ostfriesenrecht. Das ist immer noch so.“Die erste Tasse wird meist pur genossen. Erst zur zweiten werden Kekse oder mit Butter bestrichener Krintstuut gereicht – ein Hefebrot mit Korinthen und Rosinen.
Nach dem Teegenuss folgt ein Rundgang durchs Museum. Vom Anbau in unterschiedlichen Ländern, über Handelswege nach Europa, Prüfmethoden und das Verkosten, werden die Abläufe in der Teeproduktion sowie die Herstellung einer ostfriesischen Mischung präsentiert. Der Name „Ostfriesentee“ist nicht geschützt. Doch die Bezeich
nung „Echter Ostfriesentee“darf ein Schwarztee nur tragen, wenn das Handelshaus in Ostfriesland ansässig ist, und der Tee dort gemischt und verpackt wird. Er besteht überwiegend aus Teeblättern aus Assam im Nordosten Indiens. Kann jedoch 20 und mehr Beimischungen aus anderen Teeanbauländern enthalten. Vier Teehandelshäuser gibt es in der Region. Der Pionier war Johann
Bünting in Leer. Er eröffnete 1806 im Gebäude neben dem Museum einen Kolonialwarenladen, in dem er Tee, Kaffee, Gewürze, Süßwaren und Tabak anbot. Jahrzehnte später folgten Firmen in Emden und Norden. Seit 1978 wird zusätzlich in Aurich Tee gemischt. Die Entwicklung dieser vier Unternehmen kann man im „Ostfriesischen Teemuseum“in Norden genauer verfolgen. In einer
modernen und interaktiven Ausstellung hinter uralten Mauern aus dem 16. Jahrhundert im „Alten Rathaus“am Marktplatz.
„Wichtig für eine gelungene „Teetied“ist das richtige Porzellan“, informiert Sabrina Roth. In Glasregalen stehen Service mit vielfältigen Dekoren aus mehreren Ländern und Jahrhunderten. „Die „Ostfriesische Rose“entwickelte sich von
einer offenen zu einer geschlossenen Blüte und variiert farblich von rosa bis violett“, so die Museumspädagogin: „Sie ist keine spezielle Züchtung, sondern ein Motiv, das vor 1800 in der Wallendorfer Porzellanmanufaktur in Thüringen entstand.“Ein weiteres Design, das zahlreiche Familien nutzen, ist ein blau-weißes Strohblumenmuster. In einer Vitrine sind „Kluntjeknieper“
ausgestellt. Kandis wurde zunächst in großen Brocken verkauft. Man benötigte diese Gerätschaften, um kleine Stücke abzuknipsen. Zuckerzangen, Sahnelöffel und Stövchen aus verschiedenen Materialien und Epochen können ebenfalls bestaunt werden. Und der Besucher erfährt, dass 40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Kandiszuckers auf das Konto der Ostfriesen gehen. „Normaler Haushaltszucker würde sich zu schnell auflösen“, berichtet Sabrina Roth: „Er ist deshalb keine Konkurrenz für das „Kluntje“in ostfriesischen Tassen.“
Klar, drei Tassen Tee sind schließlich Ostfriesenrecht! 1949 kam der Doppelkammer-Teebeutel auf den Markt. Wenn es mal schnell gehen muss, kommt er auch in ostfriesischen Küchen zum Einsatz. Hat aber eher einen schweren Stand, denn „Teetied in Oostfreesland is heel wat besünners“(ist etwas ganz Besonderes).