Auf alle Felle: Sightseeing mal anders
Hans Eder nimmt Urlauber auf einer Skitour mit durch sein Leben. Der Bauer erzählt von Milchkühen und Weideland – und schärft das Empfinden für Körper, Geist und Natur.
Skifahren, Essen, Schlafen – und das jeden Tag. Was für die einen Erfüllung ist, reicht anderen Winterurlaubern noch lange nicht. Sie wollen mehr wissen als den Namen der Rezeptionistin, wollen die persönlichen Geschichten der Einheimischen erfahren und neue Denkanstöße mit nach Hause nehmen. In Hochfilzen geht das leicht. Besonders mit Bauer und Gastgeber Hans Eder (56). Wer mit ihm zur Skitour aufbricht, kommt vielleicht aus der Puste – und sicher zu sich selbst.
Neun Uhr morgens, minus zwei Grad, die Sonne kämpft noch gegen die Wolken an. Auf der Dorfloipe, direkt neben der Nordic Academy, dem Ausrüstungsverleih im Fairhotel Hochfilzen, drehen die ersten Langläufer ihre Runden. In der Ferne die Buchensteinwand (1451 m), das heutige Ziel. Niemand aus der Gruppe stand bisher auf Tourenski. Also zuerst der Check: Skier, Felle, Stöcke, Wasserflasche, Sonnenbrille und Helm – alles dabei. Guide Hans Eder erklärt, wie man die Felle aufzieht, wie die Doppelbindung der Skier funktioniert und stellt die Stöcke der Teilnehmer auf die richtige Länge ein.
„Jetzt einfach drauflos schlurfen“, lautet die knappe Anweisung. Hans Eder will das Empfinden schärfen. „Durch lange Erklärungen schaltet ihr euren Kopf ein und den Körper aus“, motiviert er und duzt bewusst. Ab 1000 m Höhe begegne man sich ohnehin freundschaftlich. So breche das Eis schneller.
Hans hat Recht. Skitourengehen ist einfach. Einfach gleiten und die Füße nicht anheben, das spart Kraft. Versteht sich von selbst. Dennoch gibt er einen hilfreichen Tipp: „Lauft gleichmäßig im Takt eures Körpers. So haltet ihr länger durch.“
Die Gruppe formiert sich Richtung Buchensteinwand. Die ersten schnaufen, obwohl es noch nicht einmal bergauf geht. Eine erste kurze Trinkpause gibt’s vor Hans‘ Bauernhof, der schon seit dem 14. Jahrhundert im Familienbesitz ist. Hier hat er früh morgens bereits zusammen mit seinem Sohn die 40 Kühe gemolken – so wie an jedem Tag. Es ist ein Knochenjob. Für zehn Liter Milch bekommt der Bauer so viel, wie er für ein Sodazitron an der Bar im Hotel verlangt. Er lacht und nimmt es locker: „Ich bin mit der Landwirtschaft aufgewachsen, das ist mein Leben.“
Weiter geht’s. Die Skitourengruppe steht am Fuße der Buchensteinwand und blickt erschrocken nach oben,
atmet durch und läuft im Zickzack die ersten 100 Höhenmeter hinauf. Der eine schneller, der andere langsamer. Hans pendelt leichtfüßig zwischen den Teilnehmern, gibt Tipps und ermutigt. Zwischendurch zeigt er die Weideflächen, auf denen seine Kühe im Sommer grasen. Und erzählt von seiner Idee, hier ein Chaletdorf aufzubauen: „Aber mir wurde klar, dass ein solches Klientel nicht zu mir passt. Ich bin eher der Natur verbunden, nicht dem Luxus“, sagt er. So eröffnete Hans 2013 das erste Passiv-Energie-Hotel Tirols, das 90 % der CO2- Ausstöße im Vergleich zu herkömmlichen Hotels einspart.
Durch den Nadelwald, der Familie Eder schon seit mehr als 500 Jahren gehört, geht es weiter. „Mit meinem Vater war ich hier früher sehr oft, er hat mir die Försterarbeit beigebracht“, erzählt Hans. Denn ja, Hans Eder ist nicht nur Bauer und Hotelier, sondern auch Förster, Familienvater und Opa, zudem im Vorstand des Tourismusverbands und im Gemeinderat aktiv. Um runterzukommen, geht er regelmäßig auf Tour. „Ich laufe hoch – und bin oben einfach nur glücklich“, erzählt Hans. Und strahlt. „Durch die Handys und den Alltagsstress haben viele verlernt, im Hier und Jetzt zu sein. Das braucht man aber für die eigene Erdung. Natur hilft da ungemein. Das versuche ich, meinen Gästen nahezubringen.“
Nächster Stopp: Die Reittalalm (1250 m). Im Frühjahr schickt Hans seine grasenden Vierbeiner zur Sommerfrische dorthin. Jetzt ist sie tief verschneit. Die Eingangstür sieht man gerade noch so. Hans steigt schnurstracks mit seinen Skiern auf das Hausdach, das mit einem guten Meter Schnee bedeckt ist. „Kommt hoch, hier ist die Aussicht Wahnsinn“, ruft er lachend. Doch nur ein Teilnehmer traut sich. Die anderen bleiben unten und bereiten sich auf den letzten Anstieg Richtung Jakobskreuz vor, das auf der Buchensteinwand thront und das größte begehbare Gipfelkreuz der Welt ist.
Die Kraft schwindet. Es wird steiler. Jeder konzentriert sich auf den nächsten Schritt. Während Hans‘ Gäste um Luft ringen, erzählt er: „In meinen Topzeiten habe ich 30 Minuten für den Weg hoch und runter gebraucht.“Spätestens jetzt packt einen der Ehrgeiz. Denn schon zwei Stunden Gehzeit liegen hinter der Gruppe. Oben angekommen überwältigt der Blick über die Kitzbüheler Alpen. Der Kraftakt hat sich gelohnt. Auf der Piste oder im Tiefschnee abfahren? Jeder, wie er mag. Nach zehn Minuten stehen alle wieder unten im Tal, stolz, geschafft – und mit freiem Kopf.