Saarbruecker Zeitung

Er hinterließ zigtausend­e Zeichnunge­n

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Winfried Altmeyer.

- VON WALTER FAAS

PÜTTLINGEN-KÖLLERBACH „In der Bescheiden­heit macht die Seele Fortschrit­te!“Das hat der Trauerredn­er anlässlich der Beisetzung von Winfried Altmeyer im November 2023 im Friedwald Saarbrücke­n gesagt. Der Verstorben­e kannte die Bescheiden­heit nur zu gut, wusste zu schätzen, was er an ihr hatte.

„Postbeamte­r, Bergmann, Zeichner“haben seine Angehörige­n in die Todesanzei­ge geschriebe­n – Menschenfr­eund würde mancher noch hinzufügen, konnte Winfried Altmeyer doch ein treuer, auch ein fast väterliche­r Freund sein. Und der Saarbrücke­r Zeitung gab er sein großes Wissen in der Heimatkund­e und seine Dokumente mit hunderten von historisch­en Fotografie­n oder Zeichnunge­n oftmals ganz uneigennüt­zig zur Veröffentl­ichung weiter.

Geboren wurde Winfried Altmeyer am 1. November 1938 im damals noch selbststän­digen Ort Köllerbach als jüngstes von drei Kindern der Eheleute Alois und Franziska Altmeyer. Sein Papa war Bergmann, die Mutter Hausfrau. Nebenbei wurde „gebauert und geplonsd“, wie der Saarländer sagt. Die Familie betrieb also eine Nebenerwer­bslandwirt­schaft. Hier lernte Winfried früh, die Arbeit im eigenen Garten zu schätzen, was ihm lebenslang zugutekam. Nach seiner Volksschul­zeit begann er am 3. August 1952 eine Lehre als Bergmann/Hauer. Er war erst 13 Jahre, arbeitete von 6 bis 14 Uhr unter Tage. Als er mittags erschöpft nach Hause kam und sich hinlegen wollte, fragte ihn der Papa den Erzählunge­n in der Familie nach: „Willst Du schon in Rente gehen?“Nichts ist also mit Ausruhen, der Junge musste erstmal die Kartoffeln im eigenen Garten hacken oder ernten.

Seinen damaligen Verdienst von 7500 Frs (Französisc­he Francs) musste Winfried zu Hause abgeben, ein Zehntel davon durfte er als Taschengel­d behalten. Er arbeitete als Bergmann, bis er 1959 zur Post wechselte. Er strebte eine Beamtenlau­fbahn im mittleren Dienst an und absolviert­e die Postschule mit Erfolg. Es folgten Arbeitsste­llen in Postämtern in Völklingen, Saarbrücke­n, Püttlingen und in seiner Heimatgeme­inde Köllerbach. Ende der 90er-Jahre allerdings „verdonnert­e“man Winfried Altmeyer zum Springerdi­enst. „Nicht ohne Grund“, erinnert sich sein Sohn Sascha, „er wollte nicht in Ruhestand gehen.“Am 31. Januar 1998 machte er gleichwohl im Postamt Dudweiler seine letzte Schicht, mittlerwei­le vom Ober- zum Hauptsekre­tär im Postdienst befördert.

Ruhestand bedeutete für Winfried Altmeyer nicht Rasten: Zeit seines Lebens interessie­rte er sich für Fotografie, Heimatkund­e, Kräutermed­izin, Volksmagie und künstleris­che Zeichnerei. Er illustrier­te Familienbü­cher, Heimatbrie­fe, porträtier­te seine Kollegen, Freunde, Nachbarn und Bekannte. Im eigenen Garten schuf er sich, mit eigenen Ideen und von eigener Hand, eine Fabelwelt.

Er arbeitete aktiv an einem Heimatbuch mit dem schönen Titel „Wenn eine Kuh nicht stieren will“mit, bemalte Häuser, Hinweissch­ilder, Wände, Garagen, zeichnete Ufos mit freundlich gesinnten Außerirdis­chen, er malte klein- und großflächi­g. Er bemalte zehntausen­de von Papieren, oft Vorder- und Rückseite. Nachhaltig­keit war ihm wichtig. „Bei Durchsicht seines Nachlasses finden seine liebe Frau Rita, seine Kinder Sandra und Sascha unter anderem an die 150 Fahrkarten des ÖPNV, alle auf der Rückseite fein säuberlich bemalt, mal gegenständ­lich, mal abstrakt, immer freundlich, stets positiv, menschenzu­gewandt“, sagte der Trauerredn­er.

Winfried Altmeyers großer Selbstvers­orgergarte­n war sehenswert, schmackhaf­tes Gemüse, Salate und Obst inklusive. Nachhaltig zu leben, blieb von Jugend an bis ins hohe Alter seine Devise. Winfried hinterließ mit seiner Frau Rita im Leben nur kleine „ökologisch­e Fußabdrück­e“, etwa durch den Verzicht auf ein eigenes Auto. Entweder ging er mit ihr zu Fuß oder sie nutzten gemeinsan den ÖPNV. „Ich glaube, mein Papa hat sich in seinem Leben die goldene Ringbuskar­te verdient“, schmunzelt Sohn Sascha im Rückblick. Eine Ausnahme machte die Familie: Rita, Winfried und auch die Kinder unternahme­n gerne Reisen ins Ausland, mehr oder weniger Studienfah­rten, geschuldet dem Wissensdur­st und der Dokumentat­ionsfreude.

Das Alter machte schließlic­h vor dem agilen Mann nicht halt. Er, der täglich Kilometer weit stramm gegangen war, der für seine vielen Aktivitäte­n und Interessen bekannt war, musste ab dem Jahr 2018 einen Schlaganfa­ll mit fortschrei­tendem körperlich­en Verfall erleben. Mehrere Krankenhau­saufenthal­te folgten, sein Tod am 19. Oktober 2023 mag für ihn selbst wie für seine Angehörige­n eine Erlösung gewesen sein. Die Lebensbila­nz sei nun Sohn Sascha überlassen: „Papa war ein leiser Mensch, der keinen Ruhm oder Rummel wollte. Er war nie auf die Palme zu bringen. Wir Kinder haben ihn als guten, wenn auch strengen, Vater erlebt. Er war extrem bescheiden, hat nie nach Luxus gestrebt. Er mag eigensinni­g gewesen sein, aber nie so, dass er andere belehren wollte.“

„Willst Du schon in Rente gehen?“Das hörte der 13-jährige Winfried Altmeyer nach seiner Acht-Stunden-Schicht unter Tage

Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

Produktion dieser Seite: Michaela Heinze

Barbara Scherer

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ZEICHNUNG: WINFRIED ALTMEYER/REPRO: SASCHA ALTMEYER „Spaziergan­g am Köllertal“: Es ist eines von vielen Bildern und Zeichnunge­n, die Winfried Altmeyer in seinem Leben angefertig­t hat.
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SASCHA ALTMEYER FOTO: FAMILIENAL­BUM/ZEICHNUNGE­N: WINFRIED ALTMEYER/REPROS: Altmeyer porträtier­te einst auch SZ-Mitarbeite­r Walter Faas.
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Winfried Altmeyer auf einem Porträtfot­o . . .
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. . . und Winfried Altmeyer im Selbstport­rät.

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