Saarbruecker Zeitung

Studie soll Ausmaß sexualisie­rter Gewalt in Evangelisc­her Kirche zeigen

Die Aufarbeitu­ng des Missbrauch­s Minderjähr­iger in der evangelisc­hen Kirche läuft schleppend, sagen Kritiker. Jetzt werden die Resultate einer umfassende­n Studie erwartet.

- VON CHRISTINA STICHT Produktion dieser Seite: Markus Renz, Vincent Bauer

dpa) Detlev Zander hofft darauf, dass die Veröffentl­ichung der Forum-Studie zu sexualisie­rter Gewalt in der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) ein Wendepunkt sein wird. „Die Strukturen in der evangelisc­hen Kirche müssen sich fundamenta­l ändern“, sagt der Sprecher der Betroffene­n im Beteiligun­gsforum der EKD. „Sonst ist sexualisie­rter Gewalt Tür und Tor geöffnet“, warnt Zander, der in einem Kinderheim der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal bei Stuttgart aufwuchs und dort Gewalt erlebte.

Für Zander wird entscheide­nd sein, dass die Landeskirc­hen und die EKD die Empfehlung­en der Autoren der unabhängig­en Forum-Studie umsetzen werden. „Dazu gehört, dass man die Betroffene­n anständig entschädig­t und sie nicht abspeist“, betont Zander. „Wir werden Druck machen.“Im Beteiligun­gsforum sitzen Betroffene und Kirchenver­treter.

„Die evangelisc­he Kirche hinkt weit hinter der Aufarbeitu­ng von Missbrauch in der katholisch­en Kirche hinterher“, kritisiert der Kirchenrec­htler Thomas Schüller von der Universitä­t Münster. Lange habe der Irrglaube geherrscht, dass die vermeintli­chen Risikofakt­oren bei den Katholiken wie Zölibat und eine überkommen­e Sexualmora­l in der evangelisc­hen Kirche nicht vorlägen. Bei den Protestant­en dürfen Pfarrer heiraten. Bereits 2018 sind in der sogenannte­n MHG-Studie Zahlen zur Häufigkeit sexueller Übergriffe von katholisch­en Priestern und Diakonen auf Minderjähr­ige erschienen. Die erste Studie dieser Art für die evangelisc­he Kirche in ganz Deutschlan­d soll an diesem

Donnerstag in der Hochschule Hannover vorgestell­t werden. Sie nimmt Akteure aus dem gesamten kirchliche­n Leben in den Blick, also nicht nur evangelisc­he Geistliche, sondern zum Beispiel auch Kirchenmus­iker oder Jugendleit­er. Es wurden nicht alle Personalak­ten ausgewerte­t, sondern in erster Linie Disziplina­rakten, wie bereits vorab bekannt wurde.

Darüber hinaus hat das Team von Wissenscha­ftlern mehrerer Hochschule­n sexualisie­rte Gewalt in Einrichtun­gen der Diakonie untersucht. Die EKD hatte die unabhängig­e Studie im Jahr 2020 initiiert und mit 3,6 Millionen Euro finanziert. „Die Forum-Studie ist ein ganz wichtiger Schritt der Aufarbeitu­ng sexualisie­rter Gewalt in der EKD und Diakonie“, sagt ein EKD-Sprecher. „Aber sie ist nicht der Beginn und auch nicht das Ende der Aufarbeitu­ng. Die Ergebnisse werden Kompass und Richtung sein.“

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