Saarbruecker Zeitung

Hier bleibt das Lachen im Hals stecken

Gute Unterhaltu­ng mit gefährlich­en Untiefen: In der Alten Feuerwache wurde am Wochenende die Uraufführu­ng von „Chers Parents/Die lieben Eltern“gefeiert. Das Stück zerlegt genüsslich das moralische Gerüst einer nur scheinbar sozialen Familie.

- VON SUSANNE BRENNER Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Lukas Ciya Taskiran

Dieses Stück, man muss es einfach so sagen, ist hundsgemei­n. Man freut sich auf einen lustigen Abend und eine schöne Komödie – und dann ist man nur noch damit beschäftig­t, sich Fragen zu stellen. Unangenehm­e Fragen. Denn das schreibend­e Geschwiste­rpaar Armelle und Emmanuel Patron hat mit „Die lieben Eltern“einen schmerzhaf­t guten Treffer mitten in unser moralische­s Selbstbild gelandet.

Genüsslich konfrontie­ren die beiden ihr Publikum mit dem Gedanken, was wohl ein Haufen Geld bei ihnen und ihrer Familie anrichten würde. Und zwingen uns die Frage aller Fragen auf: „Wie viel brauchst du, um glücklich zu sein?“Das fragt Vater Vincent seinen ältesten Sohn Pierre. Und meint damit: wie viel Geld. Wie schnell sich dieses „Wie viel“jedoch verschiebe­n kann, wie unfassbar fix unser scheinbar so festes moralische­s Gerüst zerbröselt, das wird in der Folge gekonnt zerlegt.

Das Stück „Chers Parents/Die lieben Eltern“war Publikumsl­iebling beim letzten Saarbrücke­r Festival „Primeurs“, der just mit dem „Prix de l'Académie de Berlin“preisgekrö­nten Plattform für frankophon­e Theatertex­te. Das Festival, das früher jedes Jahr neue französisc­hsprachige Theatertex­te übersetzen ließ und in szenischer Lesung präsentier­te, hat sein Format nämlich frisch verändert. Das Lese-Festival findet nur noch alle zwei Jahre statt, dafür wird unter der Marke „Primeurs pur“einer der preisgekrö­nten Theatertex­te im jeweils anderen Jahr am Saar

ländischen Staatsthea­ter inszeniert. Zum Auftakt wurde „Die lieben Eltern“ausgewählt. Und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dieses Stück nicht auch auf anderen deutschen Bühnen landen würde.

Denn das Ganze ist eben nicht nur höchst komisch, sondern, wie jede wirklich gute Komödie, auch voller Fallstrick­e. „Die lieben Eltern“spielt inmitten der von einigen in Deutschlan­d gerade so leidenscha­ftlich gehassten Welt der „linken Gutmensche­n“. Das pensionier­te Lehrerpaar Vincent und Jeanne trommelt die Kinder zusammen, weil man etwas sehr Wichtiges zu besprechen habe. Und startet so ein Wechselbad der Gefühle, gegen das jede Kneippanla­ge ein lauwarmes Wässerchen ist.

Als die Geschwiste­r ankommen, sind sie erstmal fest davon überzeugt, dass die Eltern ihnen mitteilen werden, dass sie todkrank sind. Stattdesse­n verkünden die ihnen, dass sie auswandern werden, um ein Waisenhaus in Kambodscha zu eröffnen. Denn – so geben sie erst nach einer Weile zu – die beiden haben im Lotto gewonnen. Aber als Paar, das sein Leben lang große Worte geführt hat für eine bessere, gerechtere Welt, kann man mit so einem Lottogewin­n natürlich nicht einfach einen Ferrari und eine Villa mit Pool kaufen.

Die beiden haben allerdings nicht mit ihren Kindern gerechnet. Nahezu in Sekundenbr­uchteilen streifen Pierre, Jules und Louise die Sorge um die Eltern ab und geraten mitten hinein in den Strudel, den so ein plötzliche­r Geldsegen verur

sacht. Denn die Gutmensch-Eltern haben beschlosse­n, den Kindern nichts vom Lottogeld abzugeben. Aus sehr guten Gründen und mit durchaus guten Argumenten. Die aber mitten in diesem großen Haufen Geld schnell versinken. Weil auf einmal zudem die Frage im Raum steht, ob Liebe doch auch Geld sein kann.

Es sind so viele Fallstrick­e in diesem Stück, so viele Fragen, bei denen man im Publikum sitzt und gar nicht anders kann, als sich zu fragen, wie man selbst, die eigenen Kinder, der Partner wohl reagieren würden. Es ist schmerzhaf­t schlau, dieses Stück.

In der Saarbrücke­r Uraufführu­ng hat Regisseur Janis Knorr der bösartigen Komik des Textes leider nicht ganz vertraut und es noch zusätzlich „übergagt“. Das Büh

nenbild (Ariella Karatolou, auch Kostüme) ist ein stilisiert­er Bungalow mit Kinder-Kletterger­üst und bevölkert von weißen Gartenzwer­gen und weißen Plüschhase­n. „Mein Hase“ist nun auch das Kosewort, mit dem Mutter Jeanne ihre Kinder ständig kleinredet. Weil man ja aber in einem linken Spießer-Idyll ist, steht bei einem Gartenzwer­g „Racist“, also Rassist, auf dem Rücken. Flagge zeigen, wenn auch heimlich.

Die drei lange erwachsene­n Kinder hat die Regie in seltsame lila Baby-Kostüme gesteckt und fast schon maskenhaft geschminkt. Die ohnehin schon schwer gutmenschi­gen Eltern sind wie ihr eigenes Klischeebi­ld ausstaffie­rt. Vater Vincent trägt weißgraues, hippielang­es Haar, das Bernd Geiling immer wieder sehr gekonnt und ziemlich komisch mit affektiert­em Schwung über die Schulter wirft. Mutter Jeanne (Martina Struppek) kleidet der bunte Look junggeblie­bener Rentnerinn­en. Sie alle lässt die Regie so überdreht agieren, dass das Ganze fast ein bisschen wie ein Puppenthea­ter wirkt.

Und Figurenthe­ater ist „Die lieben Eltern“ja durchaus. Denn gerade die drei Geschwiste­r haben Armelle und Emmanuel Patron als echte, zeitgenöss­ische Archetypen des westlichen Bildungsbü­rgertums angelegt. Der Erstgebore­ne, Pierre (Lucas Janson), ist so eine Art grüner Kapitalist, macht in Solar und öko, lässt aber in China produziere­n. Der Jüngere, Jules (Silvio Kretschmer), ist die erfolglose Künstlerse­ele mit Hang zum Muttersöhn­chen. Und Tochter Louise (Süheyla Ünlü) lebt mit ihren 32 Jahren allein mit Kater und studiert seit ungezählte­n Semestern Medizin, aus Angst vorm wirklichen Leben.

Auf diese schrecklic­h nette Familie regnet es nun Geld. Massenhaft Geld. In der Saarbrücke­r Inszenieru­ng übrigens tatsächlic­h, es segelt mehrfach von der Decke, harmlos und doch mit der Sprengkraf­t einer Bombe. Denn nach und nach entledigen sich nicht nur die Kinder ihrer moralische­n Verkleidun­g. Auch der Vater macht sich in einem furiosen und ziemlich explosiven Finale sozusagen nackig, feiert seinen „Elon-Musk-Moment“, wenn er einfach so dicke Schecks ausstellt, und träumt vom Privat-Golfplatz und teuren Autos, von „Koks und Nutten“.

Am Ende, so viel sei verraten, wird noch so manche Maske gefallen sein. Aber ob und wie diese gerade noch so heile Familie aus der geldgefüll­ten Fallgrube herausfind­et, soll hier nicht verraten werden. Denn auch wenn die Regie etwas übertreibt: „Die lieben Eltern“ist ein Theaterabe­nd, an dem es viel zu lachen gibt. Manchmal bleibt es eben im Hals stecken. Aber was gibt es im Leben schon ohne Nebenwirku­ngen. . .

„Wie viel brauchst du, um glücklich zu sein?“fragt der Vater den Sohn

Nächste Vorstellun­gen von „Die lieben Eltern“sind am 25., 26. und 30. Januar, jeweils um 19.30 Uhr, in der Alten Feuerwache. Karten gibt’s unter Tel. (0681) 3 09 24 86 oder www.staatsthea­ter.saarland

 ?? FOTO: ASTRID KARGER/SST ?? Eine nette Familie wird schrecklic­h: Silvio Kretschmer, Martina Struppek, Lucas Janson, Bernd Geiling und Süheyla Ünlü (von links) in der Uraufführu­ng von „Die lieben Eltern“in der Alten Feuerwache.
FOTO: ASTRID KARGER/SST Eine nette Familie wird schrecklic­h: Silvio Kretschmer, Martina Struppek, Lucas Janson, Bernd Geiling und Süheyla Ünlü (von links) in der Uraufführu­ng von „Die lieben Eltern“in der Alten Feuerwache.

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