Hier bleibt das Lachen im Hals stecken
Gute Unterhaltung mit gefährlichen Untiefen: In der Alten Feuerwache wurde am Wochenende die Uraufführung von „Chers Parents/Die lieben Eltern“gefeiert. Das Stück zerlegt genüsslich das moralische Gerüst einer nur scheinbar sozialen Familie.
Dieses Stück, man muss es einfach so sagen, ist hundsgemein. Man freut sich auf einen lustigen Abend und eine schöne Komödie – und dann ist man nur noch damit beschäftigt, sich Fragen zu stellen. Unangenehme Fragen. Denn das schreibende Geschwisterpaar Armelle und Emmanuel Patron hat mit „Die lieben Eltern“einen schmerzhaft guten Treffer mitten in unser moralisches Selbstbild gelandet.
Genüsslich konfrontieren die beiden ihr Publikum mit dem Gedanken, was wohl ein Haufen Geld bei ihnen und ihrer Familie anrichten würde. Und zwingen uns die Frage aller Fragen auf: „Wie viel brauchst du, um glücklich zu sein?“Das fragt Vater Vincent seinen ältesten Sohn Pierre. Und meint damit: wie viel Geld. Wie schnell sich dieses „Wie viel“jedoch verschieben kann, wie unfassbar fix unser scheinbar so festes moralisches Gerüst zerbröselt, das wird in der Folge gekonnt zerlegt.
Das Stück „Chers Parents/Die lieben Eltern“war Publikumsliebling beim letzten Saarbrücker Festival „Primeurs“, der just mit dem „Prix de l'Académie de Berlin“preisgekrönten Plattform für frankophone Theatertexte. Das Festival, das früher jedes Jahr neue französischsprachige Theatertexte übersetzen ließ und in szenischer Lesung präsentierte, hat sein Format nämlich frisch verändert. Das Lese-Festival findet nur noch alle zwei Jahre statt, dafür wird unter der Marke „Primeurs pur“einer der preisgekrönten Theatertexte im jeweils anderen Jahr am Saar
ländischen Staatstheater inszeniert. Zum Auftakt wurde „Die lieben Eltern“ausgewählt. Und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dieses Stück nicht auch auf anderen deutschen Bühnen landen würde.
Denn das Ganze ist eben nicht nur höchst komisch, sondern, wie jede wirklich gute Komödie, auch voller Fallstricke. „Die lieben Eltern“spielt inmitten der von einigen in Deutschland gerade so leidenschaftlich gehassten Welt der „linken Gutmenschen“. Das pensionierte Lehrerpaar Vincent und Jeanne trommelt die Kinder zusammen, weil man etwas sehr Wichtiges zu besprechen habe. Und startet so ein Wechselbad der Gefühle, gegen das jede Kneippanlage ein lauwarmes Wässerchen ist.
Als die Geschwister ankommen, sind sie erstmal fest davon überzeugt, dass die Eltern ihnen mitteilen werden, dass sie todkrank sind. Stattdessen verkünden die ihnen, dass sie auswandern werden, um ein Waisenhaus in Kambodscha zu eröffnen. Denn – so geben sie erst nach einer Weile zu – die beiden haben im Lotto gewonnen. Aber als Paar, das sein Leben lang große Worte geführt hat für eine bessere, gerechtere Welt, kann man mit so einem Lottogewinn natürlich nicht einfach einen Ferrari und eine Villa mit Pool kaufen.
Die beiden haben allerdings nicht mit ihren Kindern gerechnet. Nahezu in Sekundenbruchteilen streifen Pierre, Jules und Louise die Sorge um die Eltern ab und geraten mitten hinein in den Strudel, den so ein plötzlicher Geldsegen verur
sacht. Denn die Gutmensch-Eltern haben beschlossen, den Kindern nichts vom Lottogeld abzugeben. Aus sehr guten Gründen und mit durchaus guten Argumenten. Die aber mitten in diesem großen Haufen Geld schnell versinken. Weil auf einmal zudem die Frage im Raum steht, ob Liebe doch auch Geld sein kann.
Es sind so viele Fallstricke in diesem Stück, so viele Fragen, bei denen man im Publikum sitzt und gar nicht anders kann, als sich zu fragen, wie man selbst, die eigenen Kinder, der Partner wohl reagieren würden. Es ist schmerzhaft schlau, dieses Stück.
In der Saarbrücker Uraufführung hat Regisseur Janis Knorr der bösartigen Komik des Textes leider nicht ganz vertraut und es noch zusätzlich „übergagt“. Das Büh
nenbild (Ariella Karatolou, auch Kostüme) ist ein stilisierter Bungalow mit Kinder-Klettergerüst und bevölkert von weißen Gartenzwergen und weißen Plüschhasen. „Mein Hase“ist nun auch das Kosewort, mit dem Mutter Jeanne ihre Kinder ständig kleinredet. Weil man ja aber in einem linken Spießer-Idyll ist, steht bei einem Gartenzwerg „Racist“, also Rassist, auf dem Rücken. Flagge zeigen, wenn auch heimlich.
Die drei lange erwachsenen Kinder hat die Regie in seltsame lila Baby-Kostüme gesteckt und fast schon maskenhaft geschminkt. Die ohnehin schon schwer gutmenschigen Eltern sind wie ihr eigenes Klischeebild ausstaffiert. Vater Vincent trägt weißgraues, hippielanges Haar, das Bernd Geiling immer wieder sehr gekonnt und ziemlich komisch mit affektiertem Schwung über die Schulter wirft. Mutter Jeanne (Martina Struppek) kleidet der bunte Look junggebliebener Rentnerinnen. Sie alle lässt die Regie so überdreht agieren, dass das Ganze fast ein bisschen wie ein Puppentheater wirkt.
Und Figurentheater ist „Die lieben Eltern“ja durchaus. Denn gerade die drei Geschwister haben Armelle und Emmanuel Patron als echte, zeitgenössische Archetypen des westlichen Bildungsbürgertums angelegt. Der Erstgeborene, Pierre (Lucas Janson), ist so eine Art grüner Kapitalist, macht in Solar und öko, lässt aber in China produzieren. Der Jüngere, Jules (Silvio Kretschmer), ist die erfolglose Künstlerseele mit Hang zum Muttersöhnchen. Und Tochter Louise (Süheyla Ünlü) lebt mit ihren 32 Jahren allein mit Kater und studiert seit ungezählten Semestern Medizin, aus Angst vorm wirklichen Leben.
Auf diese schrecklich nette Familie regnet es nun Geld. Massenhaft Geld. In der Saarbrücker Inszenierung übrigens tatsächlich, es segelt mehrfach von der Decke, harmlos und doch mit der Sprengkraft einer Bombe. Denn nach und nach entledigen sich nicht nur die Kinder ihrer moralischen Verkleidung. Auch der Vater macht sich in einem furiosen und ziemlich explosiven Finale sozusagen nackig, feiert seinen „Elon-Musk-Moment“, wenn er einfach so dicke Schecks ausstellt, und träumt vom Privat-Golfplatz und teuren Autos, von „Koks und Nutten“.
Am Ende, so viel sei verraten, wird noch so manche Maske gefallen sein. Aber ob und wie diese gerade noch so heile Familie aus der geldgefüllten Fallgrube herausfindet, soll hier nicht verraten werden. Denn auch wenn die Regie etwas übertreibt: „Die lieben Eltern“ist ein Theaterabend, an dem es viel zu lachen gibt. Manchmal bleibt es eben im Hals stecken. Aber was gibt es im Leben schon ohne Nebenwirkungen. . .
„Wie viel brauchst du, um glücklich zu sein?“fragt der Vater den Sohn
Nächste Vorstellungen von „Die lieben Eltern“sind am 25., 26. und 30. Januar, jeweils um 19.30 Uhr, in der Alten Feuerwache. Karten gibt’s unter Tel. (0681) 3 09 24 86 oder www.staatstheater.saarland