„So sterbt mer de Todt for’s Vaterland“
Der Völklinger Roland Isberner und der Heimatkundliche Verein Warndt haben das zweite Buch zu den Ereignissen rund um die Schlacht von Spichern im Krieg 1870/71 herausgegeben. Ein Verdienst des reich bebilderten Buches: Zahlreiche Zeit- und Augenzeugen ko
„… so, dass auch ein Laie etwas damit anfangen kann“, sagt Roland Isberner vom Heimatkundlichen Verein Warndt und meint damit: Das neue Buch von ihm und vom Verein ist nicht nur etwas für Historiker, sondern auch für Leser, die an einem spannenden Abschnitt heimatlicher Geschichte interessiert sind und auch an den Menschen, die damals lebten. Isberner gibt mithilfe des Vereins eine vierteilige Buchreihe zum Krieg 1870/71 und den Ereignissen in Saarbrücken und Völklingen heraus. Es geht aber nicht so sehr um die schon oft wiedergegebenen Kriegsgeschehnisse an sich. So war der bereits erschienene erste Teil den Grabstätten im Ehrental, das heute im Deutsch-Französischen-Garten liegt, gewidmet (wir berichteten). Jetzt, im wieder mit vielen Fotos und Dokumenten versehenen zweiten Band, geht es um „Ereignisse, Kriegsvereine und Veteranen“. Wobei, soweit es die „Ereignisse“betrifft, nicht das bloße Wiedergeben des Kampfgeschehens gemeint ist, sondern vor allem auch eine ganze Reihe von Zeitzeugen zu Wort kommen – natürlich durch die jeweilige Sichtweise gefärbt.
Zu den Zeitzeugen gehörte auch ein Verwandter der Unternehmerfamilie Röchling, der Maler Carl Röchling (1855-1920). In seiner Zeit wurde er, – vielleicht geprägt durch die Ereignisse seiner Jugend – mit martialisch-pathetischen Gemälden zu einem der bekanntesten Schlachten- und Historienmaler. Ein Gemälde von ihm zur „Schlacht von Spichern“hängt im Festsaal des Alten Rathauses in Völklingen. 1870
VÖLKLINGEN/SAARBRÜCKEN
war Carl jedoch noch ein 15-jähriger Gymnasiast, der sich im August jenes Jahres mit anderen Kindern und Jugendlichen in den Straßen St. Johanns herumtrieb und manches als Augenzeuge beobachtete, etwa wie sieben französische Soldaten, die im St. Johanner Wirtshaus „Zur Rose“Getränken zusprachen, von preußischen Ulanen und aufgebrachter Bevölkerung überwältigt wurden, ohne dass ein Schuss gefallen war. Röchling beschrieb aber zum Beispiel auch das tragische Ende eines durch einen Schuss in die Brust sterbenden preußischen Soldaten, der
noch seine tödliche Verwundung beklagt, während ein anderer Soldat auf ihn herab starrt und in einem Moment fatalistischer Klarheit zu einem Freund sagt: „Siehst' et, Henrich, so sterbt mer de Todt for's Vaterland.“
Viele weitere Augenzeugenberichte hat Isberner alten Zeitungsausgaben, insbesondere der Saarbrücker Zeitung, aus jenen Tagen entnommen, und er stellt verwundert fest: „Ungewöhnlich ist für mich, dass zumindest bei kleineren Kriegsattacken Zivilisten ziemlich nahe bei Kriegshandlungen teilnahmen, teils ungewollt, in vielen Fällen aber auch gewollt.“Offenbar gab es sogar Saarbrücker Bürger, die sich in großen Gruppen günstige Aussichtsplätze im Umland suchten, um das Kampfgeschehen beobachten zu können. Doch für die Bevölkerung war es nicht wirklich nur ein „Schauspiel“. So kann Isberner und das Redaktionsteam des Buches, Gisela Reichert, Andreas Goebel und Die
ter Leismann, auch die Identitäten mehrerer ziviler Todesopfer klären und über Plünderungen, etwa im Warndt, berichten, zudem von Gefechten in Wehrden und Geislautern und dem Beschuss Völklingens am 2. August 1870.
Isberner betont, dass das Buch eine Dokumentation, keine Glorifizierung oder Heroisierung sein soll. So weist er auch darauf hin, dass es Augenzeugenberichte gibt, die den Sturm auf die Spicherer Höhen – vielleicht dem Hurra-Patriotismus der Zeit geschuldet – wie einen „Spaziergang“wirken lassen, was es aber für beide Seiten definitiv nicht war. Die wahre Tragik zeigt sich etwa im Bericht zu einem kurzen Ereignis während des Kampfes am 6. August 1870: General von Alvensleben sah etwas entfernt eine ganze Schützenreihe, dem Augenschein nach in Deckung liegend und sich vor dem Angriff drückend. Er schickte seinen Adjutanten, den Angriff zu befehlen,
doch der kam zurück und erklärte: „Exzellenz, das sind die 39er und 74er, die beim ersten Sturm gefallen sind, die sind Mann für Mann tot.“Da wandte sich, berichtete der Zeitzeuge, „der General schweigend ab und deckte die Hände über die Augen.“– Insgesamt verzeichnete der Krieg von 1870/71 etwa 41 000 Tote auf deutscher, 139 000 Tote auf französischer Seite.
Ein weiterer Teil des Buches widmet sich auch den in jenen Tagen nicht seltenen „Kriegervereinen“und den Veteranen, für die solche Vereine ein Treffpunkt waren. So gab es in Saarbrücken, St. Johann, Malstatt, Burbach und St. Arnual zusammen mindestens 30 Kriegerund Veteranenvereine, bzw. Vereine, die aus bestimmten Militäreinheiten heraus entstanden waren. Im Bereich des heutigen Völklingen gab es zum Beispiel „Kriegervereine“in Ludweiler, Wehrden und Völklingen. Und während sich der erste Band der
Reihe dem „Ehrenfriedhof“widmete, so enthält Band 2 ein Kapitel, das sich – mit vielen Bildern und alten Todesanzeigen – der Spurensuche nach Veteranengräbern des Krieges 1870/71 auf dem Saarbrücker Hauptfriedhof widmet.
Eine interessante Frage stellt sich der Autor gegen Ende des Buches – ob nämlich der Hurra-Patriotismus jener Tage wirklich so groß war, wie man heute meinen könnte. Sicher trugen die „heroische“Erinnerungen wach haltenden Kriegervereine zu einer Verklärung der Ereignisse bei, und in der wilhelminischen Zeit war der patriotische Militarismus gewissermaßen von oben herab gewünscht.
Der einfache Mann wird es jedoch nicht selten anders gesehen und sein Leben nicht gerne geopfert haben. So berichte Isberner zum Thema „Militärdienstverweigerer“, dass es aus dem Jahr 1872 eine Auflistung von 90 Personen allein für Völklingen, Ludweiler und Lauterbach gibt, die sich dem Militärdienst zwischen den Jahren 1852 und 1869 entzogen hatten und entsprechende Strafzahlungen schuldig geblieben waren – ohne die Männer, die ihre Strafe bezahlt hatten. Isberner zitiert Stefan Reuter, den Initiator der Internetseite „Spichern – eine Spurensuche“(www.spurensuche-spichern.de): „In den (Massen-)Gräbern, die die Kämpfe hinterlassen haben, liegen zumeist verstümmelte und zerfetzte Männer, deren Tod zumeist alles andere als heldenhaft gewesen sein dürfte – nicht zuletzt auch aufgrund der schlechten sanitätsdienstlichen Versorgung und der katastrophalen hygienischen Bedingungen, unter denen eine Versorgung stattfand ... wenn überhaupt!“