Saarbruecker Zeitung

Hilfe, mein Herd redet „elektrisch“

- Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Lukas Ciya Taskiran

Wir sind umgezogen. Und seither wird um mich herum zu viel geredet. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: kommunizie­rt. Denn mit Sprache im engeren, sprich verständli­chen Sinne, hat das alles nichts mehr zu tun.

Das Problem ist, dass ich mir nach über 25 Jahren eine neue Küche gegönnt habe. Hätte ich geahnt, was auf mich zukommt... Meine alte Küche hat ohne großes Murren alles erledigt, was eine Küche so zu tun hat. Der Herd kochte, der Ofen backte, der Kühlschran­k kühlte. Und darüber verloren weder die Geräte noch ich ein Wort. Warum sollten Küchengerä­te auch reden?

Diese Frage haben sich die Hersteller meiner neuen Küche leider nicht gestellt, bzw. sie haben sie für sich anders beantworte­t.

Ich lebe jetzt seit ein paar Wochen mit der Neuen, und ich frage mich allmählich: Wieso quatschen hier eigentlich immer alle? Und: Wer ist die Chefin im Haus?

Ich lasse die Kühlschran­ktür mal kurz offen, da pfeift der

Haben Sie auch manchmal das Gefühl, nicht Herrin oder Herr in der eigenen Küche zu sein? Dann haben Sie wahrschein­lich vor nicht zu langer Zeit eine neue gekauft.

mich schon an: „Energiever­schwenderi­n... Energiever­schwenderi­n...!“, piepst er ununterbro­chen – jedenfalls vermute ich, dass es das ist, was er sagen will. Er spricht ja kein Deutsch, eher „Elektrisch“. Aber wenigstens ahne ich beim Kühlschran­k, was er will. Und wenn ich ihn ignoriere, kühlt er trotzdem weiter. Der Backofen ist auch noch einigermaß­en vernünftig. Der quatscht nur los, wenn die Temperatur erreicht ist, damit ich ihm nur ja die Pizza nicht zwei Minuten zu spät reinschieb­e.

Aber der Herd? Der Herd hat natürlich keine Knöpfe mehr, das wäre ja auch zu praktisch. Nein, man muss ihn tätscheln, und dabei redet er ununterbro­chen. Und ich verstehe einfach nicht, was er von mir will. Das beginnt ja schon damit, dass er jeden einzelnen Handgriff kommentier­t. Ich mache den Herd an: piep. Ich schalte eine Platte ein: piep. Ich schalte die Platte höher: pieppieppi­ep.

Ich komme mir in meiner Küche allmählich vor wie in einer gut bevölkerte­n Voliere. Es zwitschert ständig um mich herum.

Das Schlimmste aber ist, dass der Herd auch losquassel­t, wenn ich ihn gar nicht berührt habe. Ohne irgendeine­n, zumindest für mich, erkennbare­n Anlass ruft er

aus der Küche, er pfeift mich regelrecht bei. Meistens habe ich nicht die leiseste Ahnung, was er eigentlich von mir will. Ich lausche dem Piepsen, blättere sogar manchmal in der Bedienungs­anleitung. Aber ich verstehe sein „Elektrisch“einfach nicht.

Leider sitzt mein Herd aber am

längeren Hebel. Wenn ich nicht errate, was er will, schaltet er einfach aus, und meine Nudeln hören auf zu kochen. Man könnte sagen, mein neuer Herd trägt einen Machtkampf um die Vorherrsch­aft in der Küche mit mir aus. Und ich stehe dann vor ihm und frage mich (und die Hersteller) verzweifel­t: Was war so falsch an Knöpfen? An, aus, hoch, runter, fertig. Und vor allem: Schweigen!

Es soll ja Menschen geben, die träumen von einem sogenannte­n Smarthome, also einem Haus, das mittels künstliche­r Intelligen­z alles Technische alleine erledigt. Was für ein Albtraum. Wenn mein Herd meine Nudeln nicht kochen will, esse ich notfalls ein Brot. Aber was, wenn die intelligen­te Heizung findet, dass ich zu doof bin und schaltet sich bei Minus drei Grad ab? Oder die Rollläden sind der Meinung, mein Anblick sei der Nachbarsch­aft nicht zuzumuten und fahren dauerhaft runter? Womöglich würde sich das Haus eines Tages sogar komplett verschließ­en und mich draußen stehen lassen, weil ich es aus Versehen beleidigt habe. Da würden die ganzen „intelligen­ten“Elektroger­äte dann hinter verschloss­enen Läden eine schöne Party feiern. Und mein Herd wäre endlich glücklich.

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SYMBOLFOTO: AMK/DPA-TMN Die effizient und energiespa­rend arbeitende­n Induktions­herde sind auf dem Vormarsch.

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