Erstes EM-„Endspiel“schon gegen Ungarn
Deutsche Handballer stehen bei der Heim-EM nach dem 22: 22-Krimi gegen Österreich unter Siegzwang.
(sid) Juri Knorr kochte innerlich. „Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich glaube, ihr wollt, dass wir erfolgreich sind, oder? Dass wir wieder ein Wintermärchen für die Leute schaffen, einfach schöne Momente für jeden schaffen, der da draußen ist“, sagte der Spielmacher der deutschen Handballer, spürbar tief getroffen: „Wenn wir alle das gleiche Ziel haben, sollten wir auch dafür arbeiten, solange es möglich ist.“
Und das ist es. Trotz aller Kritik nach dem EM-Hauptrundenspiel gegen Österreich (22:22) lebt der Traum vom Halbfinale. Mit zwei Siegen gegen Ungarn an diesem Montag (20.30 Uhr/ZDF und Dyn) und Kroatien am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD und Dyn) – aber auch nur dann – dürfte es noch für die Medaillenspiele reichen.
Knorr machte die verpasste Chance mit dem DHB-Team allerdings schwer zu schaffen. All die aufgestauten Emotionen krochen nach der verrückten Aufholjagd im Österreich-Krimi in ihm hoch – und fanden in der Interviewzone ihr Ventil. Knorrs Auftritt erinnerte an das legendäre „Eistonnen“-Interview von Per Mertesacker auf dem Weg zum WM-Titel der Fußballer 2014 in Brasilien. „Ich weiß nicht, was immer erwartet wird. Wir zerreißen uns auf der Platte“, sagte Knorr, bislang in jeder Partie bester DHB-Werfer. Gegen Österreich sei Deutschland „an unseren freien Chancen gescheitert. Das bedeutet nicht, dass wir heute schlecht Handball gespielt haben.“
Langweilig, so viel steht fest, wird es mit der deutschen Mannschaft nicht. Dank des Punktgewinns ist das Halbfinale weiterhin in Reichweite. Doch Alfred Gislason winkte ab, auf höhere Mathematik hatte der Bundestrainer keine Lust. „Wir brauchen nichts weiter rechnen, wir müssen das Spiel gegen Ungarn gewinnen“, sagte Gislason und schob ob der jüngsten Eindrücke seiner „Drama-Queen“hinterher: „Wenn wir das machen wollen, müssen wir sehr gut spielen, das ist ohne Frage.“
Fakt ist: Damit das Turnierziel noch erreicht werden kann, muss das bislang ungeschlagene Öster
reich (4:2) bei seinen Partien gegen Olympiasieger Frankreich (6:0) und Island (1:5) Federn lassen – was nach den bisherigen Eindrücken durchaus realistisch erscheint.
Die schwierigere Komponente dürfte beim deutschen Team liegen. Die über weite Strecken „grausame“Offensivleistung (Gislason) mit 23 Fehlwürfen und elf technischen Fehlern ließ die 19 750 Fans in Köln immer wieder verzweifeln. „Das ist der Grund dafür, dass wir so große Probleme hatten“, sagte Gislason. Im Angriff „waren wir nicht gut genug. Die Mannschaft hat sich selbst immer wieder eingegraben und festgefahren.“Erst ein Kraftakt in der Schlussviertelstunde und ein erneut famoser Andreas Wolff im Tor sicherten dem deutschen Team den womöglich noch wertvollen Punkt. 16:21 lag die DHB-Auswahl zwölf
Minuten vor Schluss zurück, ehe sie Tor um Tor aufholte und in einer nervenaufreibenden Schlussphase 52 Sekunden vor dem Ende durch Christoph Steinert ausglich.
Johannes Golla trommelte seine Mitspieler noch auf dem Feld zusammen. Während die Österreicher völlig euphorisiert über das Parkett tanzten, schworen sich der Kapitän und seine Mitspieler Arm in Arm auf die verbleibenden EM-Prüfungen ein. „Man hat in den Gesichtern gesehen, dass die Enttäuschung sehr, sehr groß ist“, berichtete Golla. Das DHB-Team sei sich aber einig: „Wir haben noch zwei Spiele. Die wollen wir natürlich gewinnen.“
Das soll auch durch eine Wagenburg-Mentalität gelingen. Die angekündigten Mediengespräche mit den Spielern für Sonntag wurden abgesagt. Stattdessen blieben Gol
la und Co. für Regeneration und Videostudium im Hotel. „Es ist auf gar keinen Fall Ziel, das Team irgendwie abzuschotten“, sagte DHB-Sport
vorstand Axel Kromer: „Allen ist geholfen, wenn die Mannschaft sich optimal vorbereiten kann. Dann ist die Mannschaft länger im Turnier.“