Saarbruecker Zeitung

Erstes EM-„Endspiel“schon gegen Ungarn

Deutsche Handballer stehen bei der Heim-EM nach dem 22: 22-Krimi gegen Österreich unter Siegzwang.

- VON CHRISTOPH STUKENBROC­K UND MORITZ LÖHR

(sid) Juri Knorr kochte innerlich. „Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich glaube, ihr wollt, dass wir erfolgreic­h sind, oder? Dass wir wieder ein Wintermärc­hen für die Leute schaffen, einfach schöne Momente für jeden schaffen, der da draußen ist“, sagte der Spielmache­r der deutschen Handballer, spürbar tief getroffen: „Wenn wir alle das gleiche Ziel haben, sollten wir auch dafür arbeiten, solange es möglich ist.“

Und das ist es. Trotz aller Kritik nach dem EM-Hauptrunde­nspiel gegen Österreich (22:22) lebt der Traum vom Halbfinale. Mit zwei Siegen gegen Ungarn an diesem Montag (20.30 Uhr/ZDF und Dyn) und Kroatien am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD und Dyn) – aber auch nur dann – dürfte es noch für die Medaillens­piele reichen.

Knorr machte die verpasste Chance mit dem DHB-Team allerdings schwer zu schaffen. All die aufgestaut­en Emotionen krochen nach der verrückten Aufholjagd im Österreich-Krimi in ihm hoch – und fanden in der Interviewz­one ihr Ventil. Knorrs Auftritt erinnerte an das legendäre „Eistonnen“-Interview von Per Mertesacke­r auf dem Weg zum WM-Titel der Fußballer 2014 in Brasilien. „Ich weiß nicht, was immer erwartet wird. Wir zerreißen uns auf der Platte“, sagte Knorr, bislang in jeder Partie bester DHB-Werfer. Gegen Österreich sei Deutschlan­d „an unseren freien Chancen gescheiter­t. Das bedeutet nicht, dass wir heute schlecht Handball gespielt haben.“

Langweilig, so viel steht fest, wird es mit der deutschen Mannschaft nicht. Dank des Punktgewin­ns ist das Halbfinale weiterhin in Reichweite. Doch Alfred Gislason winkte ab, auf höhere Mathematik hatte der Bundestrai­ner keine Lust. „Wir brauchen nichts weiter rechnen, wir müssen das Spiel gegen Ungarn gewinnen“, sagte Gislason und schob ob der jüngsten Eindrücke seiner „Drama-Queen“hinterher: „Wenn wir das machen wollen, müssen wir sehr gut spielen, das ist ohne Frage.“

Fakt ist: Damit das Turnierzie­l noch erreicht werden kann, muss das bislang ungeschlag­ene Öster

reich (4:2) bei seinen Partien gegen Olympiasie­ger Frankreich (6:0) und Island (1:5) Federn lassen – was nach den bisherigen Eindrücken durchaus realistisc­h erscheint.

Die schwierige­re Komponente dürfte beim deutschen Team liegen. Die über weite Strecken „grausame“Offensivle­istung (Gislason) mit 23 Fehlwürfen und elf technische­n Fehlern ließ die 19 750 Fans in Köln immer wieder verzweifel­n. „Das ist der Grund dafür, dass wir so große Probleme hatten“, sagte Gislason. Im Angriff „waren wir nicht gut genug. Die Mannschaft hat sich selbst immer wieder eingegrabe­n und festgefahr­en.“Erst ein Kraftakt in der Schlussvie­rtelstunde und ein erneut famoser Andreas Wolff im Tor sicherten dem deutschen Team den womöglich noch wertvollen Punkt. 16:21 lag die DHB-Auswahl zwölf

Minuten vor Schluss zurück, ehe sie Tor um Tor aufholte und in einer nervenaufr­eibenden Schlusspha­se 52 Sekunden vor dem Ende durch Christoph Steinert ausglich.

Johannes Golla trommelte seine Mitspieler noch auf dem Feld zusammen. Während die Österreich­er völlig euphorisie­rt über das Parkett tanzten, schworen sich der Kapitän und seine Mitspieler Arm in Arm auf die verbleiben­den EM-Prüfungen ein. „Man hat in den Gesichtern gesehen, dass die Enttäuschu­ng sehr, sehr groß ist“, berichtete Golla. Das DHB-Team sei sich aber einig: „Wir haben noch zwei Spiele. Die wollen wir natürlich gewinnen.“

Das soll auch durch eine Wagenburg-Mentalität gelingen. Die angekündig­ten Mediengesp­räche mit den Spielern für Sonntag wurden abgesagt. Stattdesse­n blieben Gol

la und Co. für Regenerati­on und Videostudi­um im Hotel. „Es ist auf gar keinen Fall Ziel, das Team irgendwie abzuschott­en“, sagte DHB-Sport

vorstand Axel Kromer: „Allen ist geholfen, wenn die Mannschaft sich optimal vorbereite­n kann. Dann ist die Mannschaft länger im Turnier.“

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FOTO: FASSBENDER/AFP Selten hat man Alfred Gislason, den Bundestrai­ner der deutschen Handball-Nationalma­nnschaft, so unzufriede­n gesehen wie am Samstag beim 22:22 gegen Österreich. „Grausam“sei die Offensivle­istung seines Teams gewesen.
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FOTO: SIMON Die Enttäuschu­ng steht den deutschen Spielern um den erneut überragend­en Torwart Andreas Wolff (rechts) ins Gesicht geschriebe­n.

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