Wem der Freibetrag und wem Kindergeld nützt
Finanzminister Lindner will den Kinderfreibetrag erhöhen, das Kindergeld aber nicht. Sozialverbände kritisieren dies als „ zutiefst ungerecht“. Steuerexperten halten das für sinnvoll, damit beide Entlastungen gleichauf liegen. Die Fakten.
Kaum hat die Ampel-Koalition sich unter großen Mühen auf den Bundeshaushalt für 2024 geeinigt, bricht neuer Streit aus. Nun geht es um Kinderfreibetrag und Kindergeld. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Kinderfreibetrag erhöhen, aber nicht das Kindergeld. SPD-Politiker und Sozialverbände sind empört.
Worum geht es?
Der Freibetrag wurde zum 1. Januar bereits von 6024 auf 6384 Euro angehoben und soll nach den Plänen des Finanzministeriums rückwirkend zum Jahresbeginn auf 6612 Euro steigen. Auch der allgemeine Grundfreibetrag soll höher werden. Das Ministerium hält das für notwendig, weil infolge der Inflation auch die Bürgergeld-Sätze stark angehoben wurden. „Der Kinderfreibetrag in der Steuer sollte dagegen im üblichen Verfahren nachgezogen werden. Nichts anderes ist geplant“, betont die FDP. Das Kindergeld war 2023 auf einheitlich 250 Euro pro Monat und Kind gestiegen. SPD-Politiker fordern, nun das Kindergeld erneut anzuheben.
Was bringt die Anhebung des Freibetrags den Familien?
Je höher das Einkommen einer Familie, desto stärker wirkt sich eine
Erhöhung des Freibetrags aus: „Bei einem zusammenveranlagten Ehepaar mit einem zu versteuerndem Einkommen von 50 000 Euro hätte die Anpassung um weitere 228 Euro keinen Effekt“, sagt Tobias Hentze, Steuerexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Bei einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Euro betrüge der Effekt bei einem Kind rund 80 Euro aufs Jahr gerechnet, bei einem Einkommen von 120 000 Euro rund 90 Euro. „Bei zwei Kindern lägen die Werte bei rund 150 Euro und 170 Euro“, so Hentze. Alleinerziehende mit einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 Euro und einem Kind hätten einen Nettoeffekt von rund 75 Euro.
Wann bringt Kindergeld mehr, wann der Freibetrag?
Das Finanzamt prüft das schon jetzt und wählt stets die Option, die für die Bürger am günstigsten ist. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) nennt Beispiele. Für ein gemeinsam veranlagtes Ehepaar mit einem Kind gilt demnach: Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 80 000 Euro ist der Kinderfreibetrag günstiger als das Kindergeld. Hat das Paar zwei Kinder, gilt: Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 84 900 Euro ist der Kinderfreibetrag günstiger als das Kindergeld. Für eine Alleinerziehende mit einem Kind gilt: Ab rund 44 300 Euro ist der Freibetrag günstiger als das Kindergeld.
Welche Vorbehalte hat die SPD?
In der SPD hält man eine Erhöhung des Freibetrags ohne weitere Erhöhung des Kindergeldes für ungerecht. Davon würden nur Familien mit sehr hohen Einkommen profitieren, hieß es. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich brachte gar ein völlig neues Kindergeld ins Gespräch. „Warum der Finanzminister wenige Tage nach der Entscheidung über den
Haushalt 2024 mit einer Erhöhung des Kinderfreibetrags um die Ecke kommt, ist mir unbegreiflich“, sagte Mützenich unserer Redaktion. „In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder hören müssen, dass für Arbeitnehmer, für die Absenkung des Strompreises oder für die Landwirte kein Geld da ist. Jeder, so der Finanzminister noch auf der Demonstration am vergangenen Montag, müsse einen Konsolidierungsbeitrag leisten“, sagte Mützenich. „Warum das nicht für die Spitzenverdiener
gelten soll, entzieht sich meiner Fantasie. Im Übrigen haben wir die deutliche Kindergelderhöhung im Vorgriff auf die Kindergrundsicherung damals vorangetrieben und die FDP hatte als Kompensation den Inflationsausgleich und die Rechtsverschiebung bei den Spitzeneinkommen gefordert. So viel zur Herleitung der damaligen Verabredung“, so der Fraktionschef. „Damit zukünftig weitere Debatten über die ungleichen Leistungen für Kinder gar nicht mehr aufkommen, sollten
wir den Kinderfreibetrag durch ein neues Kindergeld ersetzen.“Details nannte er nicht.
Was sagen Experten zu Lindners Vorstoß?
Das IW hält den Plan des Finanzministeriums für sinnvoll: „Ohne regelmäßige Erhöhungen werden sowohl das Kindergeld als auch der Kinderfreibetrag von der Inflation entwertet. Daher ist es richtig, dass die Politik beide Größen regelmäßig anpasst“, sagt Tobias Hentze. „Der jetzt zur Diskussion stehende Erhöhungsschritt beim Kinderfreibetrag würde dafür sorgen, dass Kindergeld und Kinderfreibetrag seit dem Jahr 2020 nahezu gleichauf um gut 22 Prozent gestiegen sind.“Auch gegenüber den Jahren 2015 (plus 33 Prozent) und 2010 (plus 36 Prozent) wäre so eine gleichmäßige Entwicklung sichergestellt, so der IW-Experte. Ähnlich sieht es der Steuerzahler-Bund: „Die Erhöhung des Kinderfreibetrags ist verfassungsrechtlich geboten und daher politische Pflicht. Falls das Kindergeld nicht weiter erhöht wird, wäre das aber keine Ungleichbehandlung“, sagte BdSt-Präsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. „Der Kinderfreibetrag ist für alle gleich, nur der steuerliche Effekt unterscheidet sich. Wer mehr verdient, zahlt höhere Steuersätze, profitiert dann aber auch mehr von Freibeträgen.“Das sei beim Kinderfreibetrag nicht anders als beim ArbeitnehmerPauschbetrag, erläuterte Holznagel: „Wenn die Ampel-Koalition mehr Mut beim Subventionsabbau hätte, könnte sie auch leichter das Kindergeld erhöhen.“
Was kritisieren Sozialverbände?
Der Paritätische Gesamtverband nennt Lindners Plan „zutiefst ungerecht“. Er fordert eine Anhebung des Kindergelds von 250 auf 377 Euro pro Kind im Monat. „Mit seinen Plänen zementiert der Finanzminister die Ungleichbehandlung von Spitzenverdienern und Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Alle Kinder müssten dem Staat gleich viel wert sein.
Wie soll es jetzt weitergehen?
Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Es werde derzeit geprüft, welche Auswirkungen die aktuellen Lohnentwicklungen, die Inflation und anderes auf die zugrunde zu legenden Berechnungen hätten. Dann müsse geklärt werden, ob neben der Anpassung des Freibetrags auch eine Anpassung beim Kindergeld möglich sei. „Diese Gespräche werden in den nächsten Wochen regierungsintern geführt.“Von rein internen Gesprächen kann jedoch keine Rede sein, es gibt weiterhin viele öffentliche Wortmeldungen zum neuen Ampel-Streit.