Wie kommt man von Ophüls zu „The Crown“?
Beim Max-Ophüls-Festival moderierte er einst Publikumsgespräche – mittlerweile ist Christian Schwochow ein gefeierter Regisseur, drehte „Bad Banks“, „The Crown“und für Netflix „München – Im Angesicht des Krieges“. Jetzt kommt er nach Saarbrücken zurück. W
Lang lang ist es her. Aber fragt man Christian Schwochow, bei welchen Filmen er einst beim Ophüls-Festival Publikumsgespräche moderierte, erinnert er sich ziemlich gut: „Da war ‚Muxmäuschenstill` dabei und hat dann den Ophüls-Preis gewonnen, ‚Katze im Sack` und auch ‚Der rote Elvis` über den Sänger Dean Reed in der DDR. Gleich fallen mir sicher noch ein paar mehr ein.“
Damals, fast 20 Jahre ist das her, war Schwochow noch kein Regisseur, sondern studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg, war Mitte 20 und schnupperte in Saarbrücken erste Festival-Luft. Jetzt ist er wieder da, nun als etablierter Filmemacher, mit Kinofilmen im Lebenslauf, Fernseharbeiten wie „Bad Banks“, internationalen Arbeiten wie „The Crown“und zuletzt der Netflix-Produktion „München – Im Angesicht des Krieges“. Als wir miteinander telefonieren, ist Schwochow gerade am Münchener Flughafen, frisch zurück aus Los Angeles von der Verleihung der „Emmy“-Fernsehpreise. „The Crown“war nominiert, blieb ohne Preis, gewann ein paar Tage zuvor aber einen „Golden Globe“, nicht den ersten, diesmal für Schauspielerin Elizabeth Debicki in der Rolle von Lady Diana.
An die frühen Saarbrücker Festivalzeiten denkt Schwochow, 1978 auf Rügen geboren, gerne zurück, „an die Camera Zwo und dieses schöne kleine Arthouse-Kino – Kino Achteinhalb, oder?“und „an diese große Begeisterung für Film, an Leute, die sich für das Festival eine Woche Urlaub nehmen“. Den Traum, bei Ophüls selbst mal einen Film zu zeigen, den hatte er durchaus, „aber als ich meinen zweiten Kurzfilm eingereicht habe, wurde der leider nicht genommen“. Das schmerzt Schwochow damals sehr, aber die Enttäuschung ist vergessen, als er 2008 mit seinem Abschlussfilm „Novemberkind“im Wettbewerb steht. Vor der Uraufführung in Saarbrücken macht er zwar
Urlaub in Argentinien, schaut „aber täglich am PC nach, wie viele Kinokarten schon verkauft sind“. Dann bei Ophüls spürt er die Begeisterung bei den Vorstellungen – und gewinnt den Publikumspreis. „Ich war so glücklich und wusste, dass das ein guter Start für den Film ist“.
Seitdem ist Schwochow immer mal wieder bei Ophüls: Sein Spielfilm „Die Unsichtbare“steht 2011 im Wettbewerb, 2018 ist er Mitglied der Spielfilmjury. Hat sich das Festival in seinen Augen über die Jahre verändert? „Nicht verändert hat sich“, sagt er, „dass es immer noch um die Filme geht, um die Künstlerinnern und Künstler dahinter – nicht um Empfänge, nicht um rote Teppiche oder Glamour“. Mittlerweile gäbe es aber mehr Angebote im Rahmenprogramm für die Nachwuchsfilmer. „Die Bedeutung des Festivals ist nach wie vor sehr groß.“Das wissen auch die Studentinnen und Studenten an seiner alten Filmhochschule in Ludwigsburg, sagt er, wo er seit einigen Jahren Regie lehrt.
Schaut man sich Schwochows Filmografie an, wirkt seine Karriere gut organisiert – nach dem „Novemberkind“-Abschlussfilm die Etablierung im Fernsehen mit der UweTellkamp-Adaption „Der Turm“; einem „Tatort“und der Reihe „Bad Banks“, parallel zu den Kinofilmen „Westen“, „Paula“, „Deutschstunde“
und „Je suis Karl“. Hatte er da eine Strategie, einen Masterplan, der aufgegangen ist? „Nein, das täuscht“, sagt Schwochow – zwar sei „Novemberkind“im Kino gut gelaufen, „aber es war nicht so, dass ich da plötzlich viele schöne Angebote bekommen hätte“. Erst lange drei Jahre später kann er seinen zweiten Spielfilm drehen, „Die Unsichtbare“. In der Zwischenzeit „habe ich Konzepte für Produktionsfirmen geschrieben und sehr günstig gelebt – so kam ich über die Runden“. Das sei ihm lieber gewesen, als etwas zu drehen, was ihn nicht wirklich interessiert.
Immerhin: Nach der „Unsichtbaren“(und der Durststrecke davor) kommt das Angebot für den Zweiteiler „Der Turm“, da hat Schwochow schon länger den Kinofilm „Westen“nach dem Drehbuch seiner Mutter Heide Schwochow vorbereitet – den dreht er zügig danach, hat seitdem viel und regelmäßig gearbeitet. „Man darf nicht zu Hause sitzen und auf den Anruf mit dem perfekten Dreh
buch warten“, sagt Schwochow, „man muss aktiv sein und die Dinge selbst vorantreiben“.
Dann kann eines zum anderen führen. Zum Beispiel zu „The Crown“(20162023), der weltweit erfolgreichen Serie übers britische Königshaus. Schwochows NSU-Fernsehfilm „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“läuft 2016 beim französischen Festival „Séries Mania“und macht eine Agentur in England auf Schwochow aufmerksam. „Damals hat sich der britische Markt gerade für ausländische Talente geöffnet“, sagt er, „also fuhr ich mal für eine Woche nach England, hatte Termine, traf Leute“. Danach passiert länger gar nichts, bis sich Schwochows Londoner Agent meldet, es gäbe da Interesse an ihm seitens „The Crown“. Bei einem kurzen Vorstellungsgespräch trifft er den Produzenten (neudeutsch „Showrunner“) Peter Morgan, der „eher muffelig“ist, wie Schwochow sagt. „Aber am Montag darauf hatte ich das feste Angebot, innerhalb von einer Woche war alles vertraglich geklärt.“Schwochow steigt in der
dritten Staffel ein, dreht danach zwei eigene Filme und kehrt dann nochmal zu der fünften und finalen sechsten Staffel zurück.
Wie muss man sich die „Crown“Produktion vorstellen – doppelt so groß wie eine deutsche TV-Arbeit? „Eher fünfmal so groß“, sagt Schwochow, mit mehr Personal, mehr Budget und mehr Drehzeit. Ist man in so einem Riesenzirkus auch als ein Regisseur von mehreren nur ein mittelgroßes Rädchen im Getriebe? „Das Ganze ist natürlich eine Riesenmaschine, eine gut geölte dazu“, sagt Schwochow, „aber am Ende bin ich es, der mit den Schauspielerinnen und Schauspielern auf dem Set steht“. Und mit einem guten Budget habe man mehr Zeit, „sodass man das Team und sich selbst nicht so durch einen Tag peitschen muss, wie es manchmal in Deutschland der Fall ist, weswegen die Leute nach zwei Monaten kaum noch können“.
Während der Arbeit an „The Crown“macht Netflix Schwochow das Angebot zum historischen Thriller „München – Im Angesicht des Krieges“mit Jeremy Irons als britischem Premier Neville Chamberlain, der den Zweiten Weltkrieg diplomatisch zu verhindern versucht. Der Streaming-Anbieter will den Film schnell produzieren, und so ist Schwochow in einer beneidenswerten Lage: Er kann, anders als viele Kolleginnen und Kollegen, während der Pandemie arbeiten. Veteran Jeremy Irons hat den Ruf, bei der Arbeit mitunter schwierig zu sein. „Es hat mich ein bisschen Zeit gekostet, um sein Vertrauen zu gewinnen“, sagt Schwochow, „aber wir sind gut ausgekommen miteinander“. Das Drehen während der Pandemie ist nicht ganz einfach, „mit Masken und Tests, aber es war eine schöne Arbeit“.
In Saarbrücken zeigt und diskutiert Schwochow in dieser Woche drei Filme, von denen einer besonders gut in die aktuelle Lage passt: „Je suis Karl“, über das Erstarken der Rechten, gedreht 2019. „Für den Film bin ich ja nicht nur gelobt, sondern auch sehr kritisiert worden“, sagt Schwochow, „der Film sei übertrieben und überzeichnet, hieß es damals teilweise – diese Kritik habe ich nie verstanden“. Die Bedrohung durch die Rechte sei lange unterschätzt worden, „auch wenn die ziemlich deutlich sagt, was sie vorhat. Das ist für mich unerklärlich.“Die Demonstrationen gegen Rechts im ganzen Land nach Bekanntwerden des „Remigrations“Treffens sind für ihn „gut, aber das wird nicht reichen. Man muss sich mit den Leuten auseinandersetzen. Man muss sich den vielleicht unangenehmen Gesprächen stellen, mit seinen Nachbarn oder auf der Straße oder im Bus.“Einen Versuch, die AfD zu verbieten, sieht er skeptisch. „Ich bin nicht sicher, ob man damit etwas löst. Das könnte eher eine Art Märtyrer-Mythos schaffen.“
Wie geht es für Schwochow weiter in diesem Jahr? So richtig weiß er es nicht. Die Arbeit an einer großen Serie für einen Streaming-Anbieter in Deutschland stand an, die Entwicklung war schon finanziert, doch der US-Mutterkonzern hat, wie es so unschön heißt, umstrukturiert und kein Interesse mehr an fiktionalen Programmen. „Da sind Hunderte von Leuten aus Deutschland plötzlich ohne Arbeit gewesen“; eine andere Heimat für die Serie zu finden, wird nicht einfach, schätzt er. Für sie hatte Schwochow „relativ sichere Projekte“abgesagt, die nun ohne ihn realisiert werden. „Zum ersten Mal seit einigen Jahren weiß ich nicht, was das nächste Projekt ist. Ich lese gerade verschiedene Sachen, habe mich aber noch nicht entschieden – und versuche diesen Zustand zu genießen. Erstmal bin ich ja beim Ophüls-Festival.“
„Ich habe sehr günstig gelebt – so kam ich über die Runden“Christian Schwochow über die Durststrecke nach dem ersten Kinofilm
Die Termine mit Christian Schwochow: „Die Unsichtbare“, Dienstag 18 Uhr, Camera Zwo. „Je suis Karl“, Freitag 18 Uhr, Cinestar 4. „Paula“, Samstag 13.30 Uhr, Cinestar 1 – nach dem Film, gegen 15.45 Uhr, beginnt ein Werkstattgespräch.
Info und Karten: www.ffmop.de Filmkritiken und Interviews: