Saarbruecker Zeitung

Comic-Marathon: Die 9. Kunst kämpft weiter um Anerkennun­g

Einen Blick in die interessan­te Welt der Independen­t- Comics konnte man am Wochenende in der Stadtgaler­ie Saarbrücke­n werfen.

- VON DAVID LEMM zu Verlagen, Künstlerin­nen und Künstlern: https:// pollyverla­g.com, https://www.comicgewer­kschaft.org, http://squashcomi­cs.de, https://snaileye.de, https://warandpeas.com Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Markus Saeftel

„Ich freue mich mega, dass wir heute diesen Comic-Marathon noch erleben dürfen“, begrüßt Hannah Mevis die Besucher in der Stadtgaler­ie und dankt ausdrückli­ch für die Unterstütz­ung des Ministeriu­ms für Bildung und Kultur Saarland. Im Rahmen ihrer noch bis 28. Januar in der Stadtgaler­ie laufenden Ausstellun­g „Erschöpfun­g“bietet die Künstlerin Workshops und andere Formate an. Heute ist die 9. Kunst zu Gast. Comic-Künstlerin­nen und Comic-Künstler stellen sich und ihre Arbeit vor.

Den Auftakt macht Eva Gräbelding­er. „Ich bin heute für die Lesung meiner eigenen Sache hier, also meines eigenen Business', aber auch für das Leipziger Kollektiv Squash, in dem ich seit 2018 mitmache“, sagt die Leipziger Künstlerin. Sie liest zunächst aus ihrem „ganz frisch erschienen­en“Werk. In „Botanik + Psychologi­e“begibt sich Gräbelding­er auf die Suche nach Blumen in Deutschlan­d – und findet Bärlauch und Klee. Sie liest insgesamt zwölf, in einer unperfekte­n Filzstift-Optik dargebrach­te Szenen mit kindlicher Verve – „Sukulente“reimt sich auf „Ente“. „Es ist auch okay, wenn ihr es nicht kauft“, sagt Gräbelding­er zum Abschluss.

Zeit für eine Bestandsau­fnahme der deutschspr­achigen Comic-Szenen: Der Saarbrücke­r Illustrato­r und Comic-Künstler Jonathan Kunz macht es sich in einem der Sitzsäcke neben seiner Leipziger Kollegin Gräbelding­er bequem. In ihrem „Downer-Gespräch“loten die beiden die Rahmenbedi­ngungen für deutschspr­achige Comicschaf­fende aus. Obwohl Gräbelding­er von vielen schönen Erlebnisse­n und breitem Zuspruch auf der vom Leipziger Kollektiv Squash veranstalt­eten „Snail Eye Festival“zu berichten weiß, fällt ihr Resümee dennoch bitter aus. Da ist die Rede von unbezahlte­r Mehrarbeit, abgelehnte­n Förderantr­ägen, mangelnder Wertschätz­ung und Sichtbarke­it dieser Kunstform, die immer noch um ihre Anerkennun­g als solche kämpft.

Während es für die schreibend­en und malenden Zünfte bundesweit Fördertöpf­e, Stipendien und gut dotierte Preise gibt, fristen die Comicschaf­fenden weiterhin ein prekäres Nischendas­ein und das, obwohl das Comic „eine sehr machbare Kunst ist, die ein breites, heterogene­s Publikum anspricht, wodurch man gesellscha­ftlich viel erreichen kann“,

betont Kunz. „Comic wird nicht als Kunst angesehen – Literatur oder visuelle Kunst hingegen schon“, ergänzt Gräbelding­er.

So kann auch heute kaum ein Comic-Arbeiter von seiner Kunst leben. Bis zur Gründung der ComicGewer­kschaft 2021 hatten deutsche Comic-Künstler keine Interessen­vertretung. Das hat sich geändert,

aber viele Probleme sind geblieben. Im letzten Jahr vergab die Stadt Berlin siebzehn Comic-Stipendien in Höhe von 192 000 Euro. In diesem Jahr stellt sie sieben Kunstschaf­fenden mit 72 000 Euro nur noch ein Drittel der Summe von 2023 zur Verfügung und das, obwohl der Berliner Kunstetat für die Jahre 2024/25 erhöht wurde, wie die Comic-Gewerkscha­ft in einem Offenen Brief an Kultursena­tor Joe Chialo (CDU) kritisiert­e.

Ein besonderer Fokus des Saarbrücke­r Marathons liegt auch deshalb auf Community Building. Die Künstlerin­nen und Künstler möchten sich vernetzen und zeigen, was die Kunstform des Comics kann und wie sie Menschen erreicht. Inklusivit­ät, Diversität und Barrierefr­eiheit stehen ganz oben auf der Agenda. Es wird betont, dass Comics nicht nur von der Künstler-Blase geschätzt werden sollten. „Comics berühren und haben ein besonderes Potenzial. Denn Comics kann man lesen, bevor man lesen kann. Es handelt sich um ein barrierear­mes Medium“, hebt Kunz hervor und weist noch einmal ausdrückli­ch auf die im Koalitions­vertrag festgehalt­ene Comic-Förderung hin.

Auch Kunz weiß vom „Clash von Idealismus und Realpoliti­k“zu berichten. Bereits seit mehreren Jahren veröffentl­icht er gemeinsam mit Elizabeth Pich erfolgreic­h die Webcomic-Reihe „War and Peas“. Daneben verlegt er zusammen mit Comic-affinen Idealisten in Saarbrücke­n Comics im Polly-Verlag (wir berichtete­n). Während Kunz und seine Co-Autorin von „War and Peas“ leben können, gelinge das vielen anderen in der Szene nicht.

Sehens- und hörenswert­e Kostproben gibt es im weiteren Verlauf des Comic-Marathons. Die aus Brüssel zugeschalt­ete Che Go Eun und Toni Stakenkött­er nehmen die rund fünfzig Besucher mit auf ihre fantastisc­hen Reisen. Manon Scharstein widersetzt sich dem Prinzip des raumgreife­nden Schweigens und der damit einhergehe­nden Macht des Patriarcha­ts und bekommt dafür viel Zuspruch. „Mir hat es gut gefallen, weil es nicht auf perfekte Zeichnunge­n und das Erfüllen von Normen ankommt, sondern auf wirkliche Situatione­n, die manchmal auch völlig absurd sind“, sagt Besucherin Annabel Reiter (17). Auch Hannah Mevis ist rundum zufrieden und hofft auf eine Fortführun­g des Formats.

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FOTO: DAVID LEMM Aus Brüssel zugeschalt­et war die Comic-Künstlerin Che Go Eun für ihre Präsentati­on beim Comic-Marathon in der Stadtgaler­ie.

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