Comic-Marathon: Die 9. Kunst kämpft weiter um Anerkennung
Einen Blick in die interessante Welt der Independent- Comics konnte man am Wochenende in der Stadtgalerie Saarbrücken werfen.
„Ich freue mich mega, dass wir heute diesen Comic-Marathon noch erleben dürfen“, begrüßt Hannah Mevis die Besucher in der Stadtgalerie und dankt ausdrücklich für die Unterstützung des Ministeriums für Bildung und Kultur Saarland. Im Rahmen ihrer noch bis 28. Januar in der Stadtgalerie laufenden Ausstellung „Erschöpfung“bietet die Künstlerin Workshops und andere Formate an. Heute ist die 9. Kunst zu Gast. Comic-Künstlerinnen und Comic-Künstler stellen sich und ihre Arbeit vor.
Den Auftakt macht Eva Gräbeldinger. „Ich bin heute für die Lesung meiner eigenen Sache hier, also meines eigenen Business', aber auch für das Leipziger Kollektiv Squash, in dem ich seit 2018 mitmache“, sagt die Leipziger Künstlerin. Sie liest zunächst aus ihrem „ganz frisch erschienenen“Werk. In „Botanik + Psychologie“begibt sich Gräbeldinger auf die Suche nach Blumen in Deutschland – und findet Bärlauch und Klee. Sie liest insgesamt zwölf, in einer unperfekten Filzstift-Optik dargebrachte Szenen mit kindlicher Verve – „Sukulente“reimt sich auf „Ente“. „Es ist auch okay, wenn ihr es nicht kauft“, sagt Gräbeldinger zum Abschluss.
Zeit für eine Bestandsaufnahme der deutschsprachigen Comic-Szenen: Der Saarbrücker Illustrator und Comic-Künstler Jonathan Kunz macht es sich in einem der Sitzsäcke neben seiner Leipziger Kollegin Gräbeldinger bequem. In ihrem „Downer-Gespräch“loten die beiden die Rahmenbedingungen für deutschsprachige Comicschaffende aus. Obwohl Gräbeldinger von vielen schönen Erlebnissen und breitem Zuspruch auf der vom Leipziger Kollektiv Squash veranstalteten „Snail Eye Festival“zu berichten weiß, fällt ihr Resümee dennoch bitter aus. Da ist die Rede von unbezahlter Mehrarbeit, abgelehnten Förderanträgen, mangelnder Wertschätzung und Sichtbarkeit dieser Kunstform, die immer noch um ihre Anerkennung als solche kämpft.
Während es für die schreibenden und malenden Zünfte bundesweit Fördertöpfe, Stipendien und gut dotierte Preise gibt, fristen die Comicschaffenden weiterhin ein prekäres Nischendasein und das, obwohl das Comic „eine sehr machbare Kunst ist, die ein breites, heterogenes Publikum anspricht, wodurch man gesellschaftlich viel erreichen kann“,
betont Kunz. „Comic wird nicht als Kunst angesehen – Literatur oder visuelle Kunst hingegen schon“, ergänzt Gräbeldinger.
So kann auch heute kaum ein Comic-Arbeiter von seiner Kunst leben. Bis zur Gründung der ComicGewerkschaft 2021 hatten deutsche Comic-Künstler keine Interessenvertretung. Das hat sich geändert,
aber viele Probleme sind geblieben. Im letzten Jahr vergab die Stadt Berlin siebzehn Comic-Stipendien in Höhe von 192 000 Euro. In diesem Jahr stellt sie sieben Kunstschaffenden mit 72 000 Euro nur noch ein Drittel der Summe von 2023 zur Verfügung und das, obwohl der Berliner Kunstetat für die Jahre 2024/25 erhöht wurde, wie die Comic-Gewerkschaft in einem Offenen Brief an Kultursenator Joe Chialo (CDU) kritisierte.
Ein besonderer Fokus des Saarbrücker Marathons liegt auch deshalb auf Community Building. Die Künstlerinnen und Künstler möchten sich vernetzen und zeigen, was die Kunstform des Comics kann und wie sie Menschen erreicht. Inklusivität, Diversität und Barrierefreiheit stehen ganz oben auf der Agenda. Es wird betont, dass Comics nicht nur von der Künstler-Blase geschätzt werden sollten. „Comics berühren und haben ein besonderes Potenzial. Denn Comics kann man lesen, bevor man lesen kann. Es handelt sich um ein barrierearmes Medium“, hebt Kunz hervor und weist noch einmal ausdrücklich auf die im Koalitionsvertrag festgehaltene Comic-Förderung hin.
Auch Kunz weiß vom „Clash von Idealismus und Realpolitik“zu berichten. Bereits seit mehreren Jahren veröffentlicht er gemeinsam mit Elizabeth Pich erfolgreich die Webcomic-Reihe „War and Peas“. Daneben verlegt er zusammen mit Comic-affinen Idealisten in Saarbrücken Comics im Polly-Verlag (wir berichteten). Während Kunz und seine Co-Autorin von „War and Peas“ leben können, gelinge das vielen anderen in der Szene nicht.
Sehens- und hörenswerte Kostproben gibt es im weiteren Verlauf des Comic-Marathons. Die aus Brüssel zugeschaltete Che Go Eun und Toni Stakenkötter nehmen die rund fünfzig Besucher mit auf ihre fantastischen Reisen. Manon Scharstein widersetzt sich dem Prinzip des raumgreifenden Schweigens und der damit einhergehenden Macht des Patriarchats und bekommt dafür viel Zuspruch. „Mir hat es gut gefallen, weil es nicht auf perfekte Zeichnungen und das Erfüllen von Normen ankommt, sondern auf wirkliche Situationen, die manchmal auch völlig absurd sind“, sagt Besucherin Annabel Reiter (17). Auch Hannah Mevis ist rundum zufrieden und hofft auf eine Fortführung des Formats.
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