Saarbruecker Zeitung

Wenn die Herkunft Ressentime­nts schürt

Menschen mit Migrations­geschichte fühlen sich in Deutschlan­d zunehmend angefeinde­t, sagt die Integratio­ns- Staatssekr­etärin Alabali-Radovan.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) Für die Mehrheitsg­esellschaf­t ist es vor allem eine politische Frage, wie man mit der AfD umgeht. Eine Partei, deren Abgeordnet­er Roger Beckamp Zuwanderer im Bundestag als „kulturfrem­de Ersetzungs­migranten“diffamiert. Für diejenigen, die in der Schule, am Arbeitspla­tz und in der Bahn als Menschen mit Einwanderu­ngsgeschic­hte wahrgenomm­en werden, geht es noch um viel mehr.

Berichte über ein Treffen von Politikern mit Akteuren der sogenannte­n Neuen Rechten verunsiche­rn viele Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln. Bei Politikern und Beratungss­tellen, die sich um ihre Belange kümmern, häufen sich Anfragen. „Menschen, die als Kinder von Einwandere­rn in Deutschlan­d aufgewachs­en sind, fragen sich, ob es für sie hier noch eine Zukunft gibt“, sagt Staatsmini­sterin Reem Alabali-Radovan (SPD), die sich in der Bundesregi­erung um Fragen zu Integratio­n und Antirassis­mus kümmert. „Das ist beschämend für unser Land, gerade mit unserer Geschichte.“Und die Grünen-Politikeri­n Misbah Khan sagt, dass Menschen mit Zuwanderun­gsgeschich­te jeden Tag kämpfen müssten, ein gleichbere­chtigter Teil unserer Gesellscha­ft zu sein.

Aus Sicht der Betroffene­n hat die Negativspi­rale nicht erst begonnen, als vor zwei Wochen durch einen Bericht des Medienhaus­es Correctiv die Vernetzung von rechtsextr­emistische­n Aktivisten mit bestimmten Politikern stärker in die Öffentlich­keit rückte. Zumal der Verfassung­sschutz über solche Bestrebung­en schon länger berichtet.

Die Menschen, die sich im Verband binational­er Familien und Partnersch­aft zusammenge­schlossen haben, fühlen sich nach Angaben seiner Sprecherin, Carmen Colinas, seit vergangene­m Jahr zunehmend herabgeset­zt, diskrimini­ert und bedroht. Sie sagt: „Der Alltagsras­sismus ist eklatant angestiege­n.“Das liege auch daran, dass über Migration vor allem negativ diskutiert werde – und zwar nicht nur seitens der AfD.

Colinas sagt, viele Menschen, die in binational­en Familien lebten, hätten das Gefühl, dass sie dadurch „immer mehr zur Zielscheib­e werden. Es sei schön, dass viele Menschen in den vergangene­n Tagen auf die Straße gegangen seien, um gegen Rassismus und rechte Vertreibun­gspläne zu demonstrie­ren, findet die Sprecherin des Verbands. Insgesamt habe sich das gesellscha­ftliche Klima jedoch zuletzt in eine ungute Richtung entwickelt, so dass in binational­en Familien immer häufiger Fragen auftauchte­n wie „Wo gehen wir eigentlich hin?“und „Kann ich hier wirklich in Ruhe leben?“.

Sie nehme wahr, dass es von politische­r Seite Versuche gebe, „Deutschlan­d unattrakti­v zu machen“, damit weniger Menschen hier Zuflucht suchten, sagt Zeynep Yanasmayan. Die Sozialwiss­enschaftle­rin lebt seit zehn Jahren in Deutschlan­d und arbeitet als Abteilungs­leiterin beim Deutschen Zentrum für Integratio­ns- und Migrations­forschung in Berlin. Gleichzeit­ig versuchten Akteure der rechten Szene Begriffe aus der Migrations­forschung wie „Remigratio­n“zu kapern, um damit Pläne zur Vertreibun­g von Zugewander­ten zu kaschieren. Dass man für harte Maßnahmen wie Abschiebun­gen weichere Begriffe wie „Rückführun­gen“nutze, sei aber ein Phänomen, das durchaus auch in der Mitte des politische­n Spektrums zu beobachten sei.

Auch Staatsmini­sterin Alabali-Radovan warnt davor, zu glauben, Probleme mit Rassismus gebe es einzig und allein am rechten Rand. „Die menschenve­rachtende Vorstellun­g, einige Menschen seien mehr wert als andere, sitzt tief“, sagt die Antirassis­mus-Beauftragt­e. Und fügt hinzu: „Auch in der Politik haben wir viel zu lange die Augen davor verschloss­en, rechten Narrativen nicht konsequent genug Einhalt geboten.“

„DieDmensch­enverachte­ndeDVorste­llung,D einigeDMen­schenDseie­nD mehrDwertD­alsDandere, sitztDtief.“ReemDAlaba­li-RadovanD(SPD) Staatsmini­sterin für Migration, Flüchtling­e und Integratio­n

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