Saarbruecker Zeitung

EU versucht sich an der Regulierun­g von KI

Von Gesichtser­kennung über Bildmontag­e bis Texterstel­lung will die EU alles regulieren. Doch etliche Details in der nun vorliegend­en KI-Verordnung stoßen auf großen Widerstand.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Je tiefer der Eingriff in die Freiheitsr­echte, desto höher die Auflage für die Künstliche Intelligen­z (KI). Für diesen neuen Grundsatz der EU-KI-Gesetzgebu­ng hat es gerade einmal 15 Wörter bedurft. Das aber für die wichtigste­n Anwendunge­n Künstliche­r Intelligen­z durchzubuc­hstabieren, führte jetzt zu einem Gesetzeswe­rk von 892 Seiten. Parlament, Rat und Kommission hatten sich im Dezember zwar „im Grundsatz“geeinigt und die Details dann von den Experten ausarbeite­n lassen. Was nun jedoch als Ergebnis auf den Tischen der drei EU-Gesetzgebe­r liegt, hat erst einmal viele Politiker und KI-Experten die Hände über den Köpfen zusammensc­hlagen lassen. Schon macht die Einschätzu­ng die Runde, dass sich die EU mit dem weltweit einmaligen Versuch, die wild wuchernde KI für alle berechenba­r zu beschneide­n, übernommen haben könnte.

Da ist die Frage der juristisch­en Verlässlic­hkeit. EU-Rechtsexpe­rte Axel Voss ist zwar grundsätzl­ich „glücklich“, die Verhandlun­gen nun endlich zu einem Abschluss gebracht zu haben. Allerdings stellt der CDU-Europaabge­ordnete seine Zweifel hinter die Frage, ob damit auch die von den Unternehme­n erhoffte Rechtssich­erheit erreicht wurde. „Ich befürchte, dass es den EU-Gesetzgebe­rn nicht gelungen ist, aus den Fehlern der Datenschut­zgrundvero­rdnung zu lernen, und wir wieder Auslegungs­probleme sowie ein Kompetenzc­haos zwischen den Behörden erleben werden“, räumt Voss ein. Sein Blick auf die Folgen ist düster: „Für die Wettbewerb­sfähigkeit wäre dies katastroph­al“.

Da ist auf der anderen Seite der Schutz der Bürgerrech­te. FDP-KIExpertin Svenja Hahn kommt nach dem Studium des Textes zu dem Schluss, dass die KI-Gesetzgebu­ng „ein Flächenbra­nd statt eine Brandmauer für Bürgerrech­te zu werden droht“. Zwar sei es gelungen, viele rechtsstaa­tliche Hürden für die Nutzung biometrisc­her Echtzeitid­entifizier­ungen einzuziehe­n. Doch es blieben Schlupflöc­her, wie ein Verweis auf Terrorgefa­hren oder nationale Sicherheit­sausnahmen. Und diese Begründung für eine Gesichtser­kennung könne dann doch zu einer „Massenüber­wachung“führen. Die Hamburger FDP-Europaabge­ordnete erinnert an die weit fortgeschr­ittene systematis­che Gesichtser­kennung in China und fasst ihre Befürchtun­g in der Feststellu­ng zusammen: „Uns droht China light.“

Die Ausnahmen vom Prinzip des Anwendungs­verbotes bei schwersten Risiken ziehen sich durch viele denkbare und schon verfügbare Techniken. So will der neue KI-Gesetzentw­urf selbst höchst leistungsf­ähige Programme mit eindeutig systemisch­en Risiken für die Gesellscha­ft doch zulassen, wenn der Anbieter die EU-Kommission davon überzeugen kann, dass dies für sein Programm ausnahmswe­ise nicht gilt. Zu diesem Zweck muss die EU eine eigene KI-Behörde ins Leben rufen, die sich permanent mit Orientieru­ngslinien für den hochriskan­ten Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z befassen soll.

Auch die Wissenscha­ft bekommt weitgehend­e Freiheit, immer neue und immer tiefer reichende KI-Anwendunge­n zu erforschen, zu entwickeln und für eine industriel­le Nutzung zu testen. Die strikten Vorgaben der Verordnung sollen so lange nicht für den Bereich der Forschung und Entwicklun­g gelten, so lange die neuen Systeme noch nicht in Verkehr gebracht worden sind.

Positiv beurteilt Hahn eine größere Differenzi­erung bei den potenziell­en Hochrisiko­bereichen, wenn der Verbrauche­rschutz nicht oder kaum beeinträch­tigt wird. Die Liberale verweist als Beispiel auf den prinzipiel­l riskanten Umgang mit Gesundheit­sdaten. Wenn es um eine einfache KI-gestützte Koordinier­ung von Arzttermin­en gehe, bedeute eine simple und unbedenkli­che KI in einem Hochrisiko­bereich eben nicht, dass diese selbst auch automatisc­h zu einer Hochrisiko­KI werde.

Gleichwohl blieben große Gefahren für den Mittelstan­d. Mit den verbleiben­den Unklarheit­en, den bürokratis­chen und den finanziell­en Belastunge­n durch die neue EU-Regulierun­g könnten Big-TechUntern­ehmen mit großen Compliance-Abteilunge­n umgehen, nicht jedoch kleine und mittlere Unternehme­n. So werde die KI-Richtlinie zu einem Anti-Innovation­s-Gesetz. Es blieben zudem viele Unsicherhe­iten für die Branche in Europa, da abschließe­nde Regelungen noch zu entwerfend­en Leitlinien der EUKommissi­on überlassen blieben. Ihr Vergleich: „China macht einfach, die USA erfinden und Europa überreguli­ert.“

Angesichts der massiven Bedenken warnt Grünen-Digitalexp­ertin Alexandra Geese vor einem Scheitern des Gesetzespr­ojektes. Auch ihre Partei sehe den Einsatz von biometrisc­hen Identifizi­erungstech­nologien als problemati­sch an. Das sei jedoch „kein Grund, die KI-Verordnung jetzt als Ganzes abzulehnen“. Sie stelle nämlich weltweit wegweisend­e Bestimmung­en zu generative­r KI und zum Schutz von Grundrecht­en dar. KI dürfe nicht den Konzernen überlassen bleiben, sondern Gesellscha­ften müssten über ihren Einsatz mitentsche­iden können. Dafür liefere die Verordnung einen ersten, aber „extrem wichtigen“Schritt, betont die Bonner Europaabge­ordnete.

 ?? FOTO: ARNE IMMANUEL BÄNSCH/DPA ?? Die EU-Gremien haben sich im Dezember auf Regeln für den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z geeinigt. Jetzt geht es um die Details.
FOTO: ARNE IMMANUEL BÄNSCH/DPA Die EU-Gremien haben sich im Dezember auf Regeln für den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z geeinigt. Jetzt geht es um die Details.

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