Arznei-Engpässe schlimmer als gedacht
Apotheker und Hausärzte schlagen Alarm. Der Medikamentenmangel bereitet ihnen mehr und mehr Sorge. Engpässe gebe es vor allem bei Antibiotika, Blutdruckund Diabetesmitteln. Grund ist der hohe Kostendruck, der die Hersteller belastet.
SAARBRÜCKEN In den Regalen der saarländischen Apotheken herrscht zwar keine gähnende Leere, doch der Medikamentenmangel ist derzeit gravierender als bisher angenommen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet fast 500 Präparate auf, die nur schwer oder gar nicht zu bekommen sind. Allerdings sind beim BfArM „nur die verschreibungspflichtigen Arzneimittel gelistet“, merkt Susanne Koch an, Vorsitzende des saarländischen Apothekervereins. Wenn man die verschreibungsfreien Präparate hinzunimmt, „sind es einige Tausend, die nicht zu bekommen sind“, zitiert das Handelsblatt den Vorsitzenden des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis.
Nicht nur der Apothekerverein, auch die Hausärzte schlagen Alarm. „Der Medikamentenmangel hat sich deutlich verschärft“, teilte der Saarländische Hausärzteverband auf Anfrage mit. „Es treten viele Engpässe bei Antibiotika, Blutdruckund Diabetesmitteln auf“, sagt der Landesvorsitzende Dr. Michael Kulas. „Wenn es zu Komplikationen bei Grippe- und anderen Erkältungserkrankungen kommt, sind oft die Präparate der ersten Wahl nicht zu erhalten, und man muss auf andere Präparate ausweichen“, erläutert er.
Die Folgen schildert Stefan Behrens, stellvertretender Vorsitzender des Apothekervereins Saar: „Hier entstehen natürlich viele Verunsicherungen bei unseren Patienten, da sie sich immer wieder auf andere Stoffe einstellen müssen oder zumindest den gleichen Stoff eines anderen Herstellers – anderes Aussehen der Packung und der Tablette – bekommen und dadurch verunsichert sind“, sagt er. Außerdem „können die unterschiedlichen Hersteller in den Hilfsstoffen variieren und damit auch Unverträglichkeiten auftreten, die vorher nicht da waren“.
Seine Kollegin Susanne Koch schildert gar, dass es bei „speziellen Arzneimitteln oder ungünstigen Konstellationen aus Arzt, Patient, Apotheke auch durchaus Situationen gibt, wo wir nicht weiter helfen können und den Patienten zurück zum Arzt oder in die Klinik verweisen müssen – leider!“
Auch die Kinderärzte sind alarmiert. Deren Berufsverband hatte bereits im April zusammen mit Kollegen aus Frankreich, Südtirol, Österreich und der Schweiz an die Gesundheitsminister der jeweiligen Länder davor gewarnt, dass die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet sei.
Grund: „Bei Kinderarzneimitteln war der Kostendruck über Jahre besonders hoch. Denn diese hatten bislang einen niedrigeren Festbetrag als Arzneimittel für Erwachsene“, so der Verband Progenerika. Außerdem seien die meisten Kinderarzneien Säfte, deren Herstellung wesentlich aufwändiger sei als die von Pillen. „Immer mehr Unternehmen haben deshalb die Produktion von Kinderarzneimitteln eingestellt“, schreibt
Progenerika.
Die Ursachen für den Medikamentenmangel reichen in Deutschland weit zurück. Anfang der 2000er Jahre waren die Preise für patentfreie Arzneien – sogenannte Generika – stark gestiegen. Die Politik hielt mit Rabattverträgen dagegen. Die Hersteller müssen sich seitdem bei den Krankenkassen um Aufträge bewerben. Wer das günstigste Angebot abgibt, bekommt für zwei Jahre den Zuschlag. Apotheker müssen seit 2007 vor allem die Medikamente verschreiben, für die es Rabattverträge gibt. Inzwischen ist der Markt umgekippt.
„Generika stellen 80 Prozent der Arzneimittel dar und machen nur einen minimalen Anteil an den Arzneimittelausgaben aus“, heißt es bei Progenerika. Dieser Anteil „beträgt – nach Abzug aller Abschläge und Rabatte – bloß noch sieben Prozent“. Einige Wirkstoffe seien kaum noch kostendeckend zu produzieren – zum Beispiel das Brustkrebsmittel Tamoxifen. „Deshalb ziehen sich immer mehr Hersteller aus der Produktion zurück.“Inzwischen stammen zwei Drittel der Wirkstoffe aus China und Indien.
Für Apothekerverein-Chefin Susanne Koch ist daher klar, „dass die Produktion von Wirk- sowie Rohstoffen, aber auch von Fertigprodukten nach Deutschland respektive Europa zurückgeholt werden muss“. Außerdem müsse die „Preisspirale nach unten beendet werden, um den Kostendruck zu senken“.
Der deutsche Gesetzgeber hat reagiert und vergangenes Jahr das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) beschlossen. Dadurch sollen etwa für Kinderarzneimittel die Festbeträge ab 1. Februar um bis zu 50 Prozent erhöht werden. Das Handelsblatt zitiert hingegen einen Branchenkenner, der das Regelwerk als „Verschlimmbesserung“kritisiert.
Einen Tipp für Saarländer hat Koch noch: „Teilweise können Patienten in wenigen Fällen den Medikamentenmangel hierzulande durch einen Gang nach Frankreich oder Luxemburg beheben.“
„Der Medikamentenmangel hat sich deutlich verschärft. Es treten viele Engpässe bei Antibiotika, Blutdruck- und Diabetesmitteln auf.“Dr. Michael Kulas Vorsitzender des Saarländischen Hausärzteverbandes