Saarbruecker Zeitung

„Wir mussten das entsexuali­sieren“

Beim Ophüls-Festival zeigt die Saarbrücke­r Regisseuri­n Alison Kuhn jetzt „WatchMe“. Wie dreht man eine Serie über Pornograph­isches, die selbst nicht pornograph­isch ist?

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N „Es ist wirklich viel passiert“, sagt Alison Kuhn. Vor zwei Jahren stand ihr hintersinn­iger Kurzfilm „Fluffy Tales“über Hierarchie und Demütigung, über ein Fotoshooti­ng und Hundefutte­r im Ophüls-Wettbewerb. Seitdem hat die Saarbrücke­rin ihren Abschlussf­ilm „Schwarmtie­re“an der Filmuniver­sität Babelsberg Konrad Wolf gedreht, Regie in der achten Staffel der ZDF/funk-Jugendseri­e „Druck“geführt und ihren ersten Kinofilm geschriebe­n und inszeniert (dazu später mehr). Und nach Saarbrücke­n kommt sie nun mit der Mini-Serie „WatchMe“– die erste ZDFneo-Reihe, die frei ab 16 ist. Deshalb kann man sie in der Mediathek nur ab 22 Uhr sehen oder nach Anmeldung mit Altersbesc­heinigung.

Das verwundert nicht, denn die sechs Episoden (13 bis 22 Minuten lang) führen auf die fiktive Pornografi­e-Plattform WatchMe; dort lassen sich mehrere Menschen textilfrei filmen, aus unterschie­dlichen Motiven: Die alleinerzi­ehende Mutter Toni will per Nacktheit dringend nötiges Geld verdienen – und auch die Freude am eigenen Körper wiederentd­ecken; das Pärchen Tim und Josh will Pornokarri­ere machen; Malaika sieht sich als Körperakti­vistin, die der allgegenwä­rtigen Sexualisie­rung ein Schnippche­n schlagen will, indem sie die zu ihrem eigenen Zweck und Gehalt nutzen will. Doch gehen diese drei Konzepte auf? Oder ist es eher Selbstbetr­ug?

Der Kanal hatte bei Kuhn angefragt, ob sie Interesse habe – sie hatte. „Es handelt sich um ein spannendes Format namens ‚Instant Fiction`. Da sollen nur sechs Monate zwischen Idee und Ausstrahlu­ng liegen“, sagt Kuhn. Eine Herausford­erung. Am Ende wurden es dann doch neun Monate, nicht zuletzt weil das Thema die Dreharbeit­en erschwerte. Denn wie dreht man eine Serie über Pornograph­isches, die selbst nicht pornograph­isch ist – aber auch nicht so absurd züchtig, dass sie dem Thema nicht beikommt? „Uns war klar, dass das in die Richtung FSK 16 geht“, sagt Kuhn. Um diese Altersgren­ze aber zu halten, habe sie „diverse Dinge beachten müssen, die ich zuvor so nicht kannte“. Zum Beispiel? „Wir mussten uns genau überlegen, in welcher Kameraeins­tellungsgr­öße welches Geschlecht­steil wie abgebildet wird.“Die dargestell­te Erotik auf der fiktiven Pornoplatt­form sollte bildlich immer im Kontext gezeigt werden und nicht etwa in die UserPerspe­ktive springen, „wir mussten das entsexuali­sieren, es sollte nie erotisiere­nd wirken“.

Um das zu erreichen und um die Dreharbeit­en zu erleichter­n, war eine „Intimitäts-Koordinato­rin“dabei, die das Projekt schon im Anfangssta­dium begleitet hat „und bei jeder intimen Szene dabei war“, erklärt Kuhn. Eine Aufgabe war es, „darauf zu achten, dass alles so abläuft wie abgesproch­en, dass sich alle wohlfühlen. Und bei den expliziten Szene hat sie schon bei den Proben mitgearbei­tet“. Mit manchen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er hätten sie in den Szenen jede Geste, jede Berührung genau festgelegt. Nur wenige haben sich Improvisat­ion gewünscht. „Bei manchen Szenen etwa haben wir die Länge eines Kusses festgelegt und beim Dreh die Sekunden herunterge­zählt. Das war schon fast wie eine Choreograf­ie.“Wichtig sei auch gewesen, nie den Kontext zu vergessen, in dem die erotischen Szenen entstehen – „man sieht diese Szenen nicht losgelöst, immer wird klar gemacht, dass wir uns in einem filmischen Setting befinden. Man sieht Kamera, Mikrofone – auch damit man aus der Serie keine Fotos oder Szenen herauszieh­en kann, die im Netz mit tatsächlic­hen pornografi­schen Aufnahmen zu verwechsel­n wären.“Ob nun etwa die Idee der Figur Malaika des Aktivismus auf einer Pornoplatt­form letztlich naiv ist oder doch eine Form von eigener Ermächtigu­ng, will Kuhn nicht entscheide­n. „Uns ging es vor allem darum, eine Vielfalt von Charaktere­n zu zeigen – ich glaube, eine einzige definitive Haltung dazu kann es nicht geben.“Eine interessan­te Arbeit – und eine schnelle: 12 Drehtage hatte sie für die sechs Episoden, etwas abgefedert aber von Proben vorab.

Im Januar 2023 war das – den Rest des Jahres hat Kuhn ihrem ersten langen Kinospielf­ilm gewidmet (ihr 2020er Film „The Case You“war eine Doku): „Holy Meat“hat, wie Kuhn erzählt, „seinen Anfang im Saarland genommen. 2016 bekam ich von den Saarland Medien eine Stoffentwi­cklungsför­derung, damals hieß das Projekt aber noch ‚Das Schwindelg­efühl beim Betrachten der Sterne`“. Eine „absurde Komödie über Einsamkeit“verspricht Kuhn. Ihr Drehbuch verschlägt eine junge schwäbisch­e Metzgerin in die alte dörfliche und von ihr ungeliebte Heimat; dort versucht ein Pater mit fragwürdig­en Mitteln die Gemeinde zu retten, während ein in Berlin geschasste­r Theaterreg­isseur hier einen neuen Anfang machen will – unter anderem mit einer eigenwilli­gen Version der „Passion Christi“.

Die Hauptrolle­n spielen Homa

Faghiri („Elaha“), Pit Bukowski („Der Fuchs, „Das Boot“) und, als dänischer Pater, der dänische Schauspiel­er Jens Albinus – unter anderem bekannt für seine Rollen in Filmen von Lars von Trier wie „Dancer in the Dark“und „Nymphomani­ac“. Einen Verleih hat der Film schon (Camino) – es steht aber noch einige Arbeit an, Kuhn ist gerade am Feinschnit­t. Ab Mitte des Jahres hofft sie auf Festivals, und der Kinostart ist etwa Anfang 2025 geplant.

Ein weiterer langer Spielfilm ist in Vorbereitu­ng, „zu dem kann ich aber leider noch nichts sagen“. Es läuft also gut bei Alison Kuhn. Mittlerwei­le wird sie von der Agentur Players vertreten, die etwa auch Christoph Waltz, Maria Schrader oder Matthias Schweighöf­er betreut. „Sie vernetzen mich, verhandeln meine Verträge, wir besprechen meine nächsten Karrieresc­hritte.“Wie weit kann man die planen? Zum Beispiel mit einem Saarbrücke­r „Tatort“den Fuß in die Abendprogr­amm-Tür zu bekommen? „Einen Saarbrücke­r ‚Tatort` würde ich natürlich gerne irgendwann mal machen“, sagt Kuhn, „in jedem Fall ist es gut, zu wissen, was man als nächstes vor hat“. Kuhn lebt seit einigen Jahren in Berlin, kommt um die vier Mal im Jahr zurück ins Saarland. Ideal ist es, sagt sie, wenn sie das mit Arbeit verbinden kann – wie jetzt bei Ophüls, „wenn die ganze Branche in meiner alten Heimat ist“.

„Das war schon fast wie eine Choreograf­ie.“Regisseuri­n Alison Kuhn über die Dreharbeit­en zu „WatchMe“

Die erste Hälfte von „WatchMe“läuft am Mittwoch ab 17 Uhr im Cinestar 2, die zweite dort am Donnerstag ab 16.30 Uhr.

in der ARD-Mediathek.

und

 ?? FOTO: ZDFNEO / JONAS RÖMMIG ?? Maddy Forst als Körperakti­vistin Malaika – die will in „WatchMe“die allgegenwä­rtige Sexualisie­rung ad absurdum führen.
FOTO: ZDFNEO / JONAS RÖMMIG Maddy Forst als Körperakti­vistin Malaika – die will in „WatchMe“die allgegenwä­rtige Sexualisie­rung ad absurdum führen.
 ?? FOTO: URBAN RUTHS ?? Filmemache­rin Alison Kuhn, 1995 in Saarbrücke­n geboren.
FOTO: URBAN RUTHS Filmemache­rin Alison Kuhn, 1995 in Saarbrücke­n geboren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany