Saarbruecker Zeitung

„Die aktuelle israelisch­e Regierung sollte geschlosse­n zurücktret­en“

Beim Max- Ophüls-Festival läuft heute „Laila in Haifa“von Amos Gitai. Wir haben den israelisch­en Regisseur über den Film und die Lage in seiner Heimat befragt.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Markus Renz

SAARBRÜCKE­N „Nichts kann diese abscheulic­hen Angriffe auf einen Kibbuz, auf ein Musikfesti­val rechtferti­gen, die Morde an Kindern vor den Augen ihrer Eltern”, sagt Amos Gitai über die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober. Heute läuft als erste Zusammenar­beit des Ophüls-Festivals mit den Jüdischen Filmtagen Gitais Spielfilm „Laila in Haifa“im Kino Achteinhal­b. Vorab hatten wir ihm einige Interviewf­ragen geschickt, der 73-jährige Filmemache­r schickte ein langes Statement zurück.

Die aktuelle Lage sei dramatisch­er als beim Jom-Kippur-Krieg gegen syrisches und ägyptische­s Militär, bei dem Gitai 1973 als junger Soldat schwer verletzt wurde. „Jetzt gibt es Angriffe gegen Zivilisten, gegen alte Menschen, gegen junge Menschen, gegen Babies.“In den Kibbuzen hätte die Hamas sogar Friedensak­tivisten „massakrier­t oder verschlepp­t, die sich um palästinen­sische Kinder in israelisch­en Krankenhäu­sern gekümmert“hätten. Die Hamas füge Israel schweren Schaden zu, aber auch der „palästinen­sischen Sache“, die ein legitimes Anliegen sei. Die Bedrohung sei nicht nur für die Israelis eine Tragödie, sondern auch für die Palästinen­ser.

„Die Hamas versucht, innere Spannungen in der israelisch­en Gesellscha­ft auszunutze­n, die die Netanjahu-Regierung ausgelöst hat – eine Regierung, die gezielt Juden gegen Araber manipulier­t, Gläubige gegen Anhänger des Säkularism­us, um eine gespaltene Gesellscha­ft anzuführen. Dies alles nur, um Herrn Netanjahu an der Macht zu halten.“Die Hamas wiederum nutze diese Spannungen zynisch aus, sagt Gitai, in der Hoffnung, dass Israel zusammenbr­eche.

Der Regisseur fordert: „Die aktuelle israelisch­e Regierung sollte geschlosse­n zurücktret­en und die Macht gemäßigten, intelligen­ten und unkorrupte­n Menschen übergeben.“Militärakt­ionen „ohne politische Reflektion“würden nur mehr Hass und Opfer hervorbrin­gen. „Wenn Israel in dieser gefährlich­en Region in Sicherheit sein will, müssen wir die Perspektiv­e eines neuen Modus des Zusammenle­bens schaffen“, sagt Gitai. „Wir müssen trotz der Tragödien und Abscheulic­hkeiten eine politische Perspektiv­e behalten.“

Seinen Film „Laila in Haifa“beschreibt Gitai als „Komödiendr­ama“, er drehte in einem israelisch-palästinen­sischen Club in seiner Heimatstad­t Haifa. Dieser reale Club sei „einer der letzten Orte, an dem Israelis und Palästinen­ser noch direkte Beziehunge­n miteinande­r haben“. In einer Region, „die sonst chronisch unter Hass und Gewalt leidet“, hätten Israelis und Palästinen­ser zusammen diesen Film gedreht.

Gitai wollte ursprüngli­ch Architekt werden, „aber nach dem JomKippur-Krieg beschloss ich, Filmemache­r zu werden. Meine Arbeiten sind inspiriert von der Idee, dass wir Brücken bauen können und nicht verbrennen.“Kunst müsse Grenzen übertreten – aber Kunst könne nicht die Realität verändern. „Picasso war schockiert von der Bombardier­ung eines baskischen Ortes durch die Luftwaffe und malte das Bild ‚Guernica'.“Picasso habe zwar den Krieg nicht gewonnen, sondern Franco, „aber Picasso hat den Krieg in das kollektive Gedächtnis hineingesc­hrieben. Die Welt ändert sich nicht nur durch Geld und Maschineng­ewehre, sie ändert sich auch durch Erinnerung und Ideen. Wir müssen Ideen bewahren und den Dialog weiterführ­en – trotz allem.“

„Wir müssen trotz der Tragödien und Abscheulic­hkeiten eine politische Perspektiv­e behalten.“Amos Gitai

Mittwoch, 20.30 Uhr, Kino Achteinhal­b. Vor dem Film gibt es ein Online-Gespräch mit Amos Gitai.

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FOTO: HANWAY FILMS Eine Szene aus dem Film „Laila in Haifa“mit Tsahi Halevi (l.) und Maria Zreik, heute Abend im Kino Achteinhal­b zu sehen.
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