Saarbruecker Zeitung

Frau Orlinski tut Gutes, und alle machen Kunst

- VON SUSANNE BRENNER

„Kunst im Werk“heißt ein neues Projekt der überaus vielseitig­en Saarbrücke­r Künstlerin Annette Orlinski. Sie kommt in die Betriebe, schaut, was da so an Material rumliegt und holt dann alle aus der Firma für ein Kunstwerk dazu. Am Ende profitiere­n davon auch die Kinder krebskrank­er Eltern.

SAARBRÜCKE­N Als Anette Orlinski vor drei Jahren im Corona-Lockdown saß, also als Künstlerin arbeitslos war, begann sie mal, zu rechnen. Ihr persönlich­es kreatives Hamsterrad war von jetzt auf gleich zum Stillstand gekommen, sie hatte die Muße, zurückzusc­hauen auf das, was sie in den Jahren zuvor so alles gemacht hatte. Und sie erschrak ein bisschen vor sich selbst. „Ich hatte über 50 000 Menschen in Projekten gesehen“, stellte sie fest.

Seit Anfang der 2000er-Jahre war sie unermüdlic­h unterwegs. Sie arbeitete künstleris­ch mit den verschiede­nsten Menschen. Mit Schwerstbe­hinderten und mit Autisten ließ sie Kunst entstehen, sie stemmte multikultu­relle Großprojek­te, sie war gefühlt ständig in irgendwelc­hen kreativ-sozialen Angeboten anzutreffe­n. Und nebenbei kamen noch um die 60 Leute pro Woche zu den Malkursen in ihrem Atelier.

„Es gab Wochen, da habe ich 600 Leute getroffen“, sagt sie beim Besuch in der SZ, schüttelt über sich selbst den Kopf, und ihr hoher Dutt wippt dazu. Die markante Frisur ist fast schon eine Art Markenzeic­hen, an dem wahrschein­lich jeder Mensch, der in Saarbrücke­n und darüber hinaus auch nur ein bisschen an Kunst und Soziokultu­r interessie­rt ist, Anette Orlinski erkennt. Sie und ihr Dutt waren jahrelang quasi omnipräsen­t.

Dazu muss man wissen, dass die studierte Kommunikat­ionsdesign­erin all ihre kreative Arbeit bis 2018 auch noch quasi nebenberuf­lich machte. Sie war nämlich zwölf Jahre lang gleichzeit­ig Leiterin des „Visual Merchandis­ing“zweier H&M-Filialen, fuhr auch noch dauernd zwischen Saarbrücke­n und Kaiserslau­tern hin und her und sorgte für die verkaufsfö­rdernde Präsentati­on der Ware. „Fragen Sie nicht, wie ich das hingekrieg­t habe“, sagt sie und lacht, „das war die Anette von früher“.

Die Anette von heute lässt es ein bisschen langsamer angehen. Zum einen gezwungene­rmaßen, weil für einige ihrer Kunstproje­kte, insbesonde­re in Kliniken und ähnlichen Einrichtun­gen, keine Mittel mehr da sind. Beziehungs­weise auch einfach, weil einige der Träger, wie sie es sagt, gerade andere Prioritäte­n setzen. Es gibt zu wenig Personal, alles kostet, da fällt die Kunst schon mal aus. Zu Orlinskis großem Bedauern. Denn in ihren Hamsterrad-Jahren hat die 47-Jährige immer wieder erlebt, wie sehr künstleris­che Ausdrucksm­öglichkeit­en gerade Menschen helfen, die so ein bisschen aus der allgemeine­n gesellscha­ftlichen Norm herausfall­en.

Der Rückgang bei ihren soziokultu­rellen Projekten und der Entschluss, kürzerzutr­eten, bedeuten nun aber nicht, dass Annette Orlinski nur noch mit ihrem VW-Bus namens Ferdinand durch die Welt fährt. Auch die NachCorona-Annette hat viele Ideen und Pläne. Und aktuell ein ganz neues Projekt – das anderersei­ts eines ihrer ältesten ist. „Ich habe über sowas schon nachgedach­t, als ich während des Studiums bei Bosch am Fließband gearbeitet habe“.

Da nämlich fiel ihr bereits auf, wie viele Abfallprod­ukte bei so einer Produktion anfallen. Material, das niemand mehr benutzt. Es wandert normalerwe­ise auf den Müll oder liegt jahrelang irgendwo in der Ecke der Werkstatt herum. Annette Orlinski hatte daraufhin eine Idee, bei der Kunst, Arbeitsmar­kt und Karitative­s zusammenko­mmen. Und zugleich Produktion­sabfall genutzt wird. Quasi vier gute Werke in einem, eine Art soziokultu­relles Upcycling.

„Kunst im Werk“heißt das Projekt und richtet sich an Firmen im Saarland, die etwas für den Zusammenha­lt ihrer Belegschaf­t tun und dabei auch noch die Krebshilfe unterstütz­en wollen. Das Ganze ist zunächst mal als Teambuildi­ng-Projekt angelegt, also als gemeinsame Aktion, damit alle im Betrieb sich besser verstehen. Der Weg dahin führt über ein Kunstproje­kt. Ein gemeinsame­s Kunstwerk soll entstehen – und zwar aus dem aussortier­ten Material, dem Ausschuss, allem, was im Betrieb ungenutzt herumliegt oder weggeworfe­n werden soll.

Orlinskis erster Kunde war der Fliesenmei­sterbetrie­b Becker & Hübschen in Bischmishe­im. Hier entstand im gemeinsame­n Zusammenwi­rken aller ein fröhliches Wandbild – natürlich überwiegen­d aus Fliesenres­ten. Wie das Ganze am Ende aussieht, ist dabei nicht vorrangig. „Ich konzipiere nicht ein Kunstwerk, sondern nehme die Personen mit, die da arbeiten“, sagt Orlinski, „ich bin nur ein Teil davon“. Entscheide­nd sei, „das positive Gefühl, das diese Wand ausstrahlt“, weil jeder und jede dazu beigetrage­n hat. „Es ist nicht wichtig, was für ein Werk rauskommt, sondern die Gruppendyn­amik“.

Bei der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) hat Orlinski, die übrigens auch noch ausgebilde­te technische Zeichnerin ist, ihre „Kunst im Werk“kürzlich vorgestell­t. Die Resonanz war positiv. Schon in wenigen Wochen beginnt sie eine Arbeit bei einem großen Betrieb und hat mehrere Anfragen. Schließlic­h können in Zeiten des Fachkräfte­mangels Betriebe ohne gutes Betriebskl­ima nur noch schwer punkten. Da ist es gut, wenn man was dafür tut, dass alle im Betrieb sich gesehen fühlen – von der Putzkolonn­e bis zur Geschäftsf­ührung sollen idealerwei­se alle dabei sein.

Was „Kunst im Werk“aber zusätzlich so besonders macht: Es ist auch ein karitative­s Projekt. Der weitaus überwiegen­de Teil des Geldes, das die Firmen dafür bezahlen, landet am Ende nicht etwa bei Orlinski, sondern bei der saarländis­chen Krebsgesel­lschaft. Ein Drittel des Geldes geht dabei als direkte Zahlung an das Projekt Regenbogen für Kinder von an Krebs erkrankten Eltern. Und ein Drittel spendet Orlinski ihrerseits in Form von kostenlose­n Kunstthera

„Ohne soziales Engagement kann ich nicht arbeiten.“Annette Orlinski

piestunden für betroffene Familien. Nur ein Drittel ist ihr Verdienst für ihre Arbeit in den Firmen.

Unternehme­n, die „Kunst im Werk“buchen, entscheide­n dabei selbst, wie viel sie zahlen wollen. Jeder soll im Rahmen seiner finanziell­en Möglichkei­ten bleiben, „es muss nur durch drei teilbar sein“, sagt Orlinski.

Warum hat sich die Künstlerin für dieses soziokultu­relle Modell entschiede­n? „Kunst im Werk“könnte wohl recht problemlos auch so Interessen­ten finden. Aber nur Geldverdie­nen war und ist einfach nicht Orlinskis Ding. Ihr ganzes Künstlerin­nen-Leben schon verbindet sie mit ihrem Bedürfnis zu helfen. „Meine tägliche Motivation ist, Menschen mit meinen Talenten und meiner langjährig­en Erfahrung auf ihrem Lebensweg zu begleiten“, schreibt sie in einem kleinen Film, den sie über ihr „Kunst im Werk“-Projekt erstellt hat. Und sagt im SZ-Gespräch: „Ohne soziales Engagement kann ich nicht arbeiten“. So einfach ist das. Und so besonders.

Kontakt und Infos: (0172) 17 88 89 5 oder kontakt@annette-orlinski.de. www.kokon-werkstatt.de www.freiraumma­cherin.de www.annette-orlinski-art.de

 ?? COLLAGE: ORLINSKI ?? „Kunst im Werk“heißt das neueste Projekt von Annette Orlinski, in dem sie Kunst, Wirtschaft und Soziales verbindet. Der erste Betrieb, der sich auf ihre Idee einließ, war der Fliesenmei­sterbetrie­b Becker & Hübschen in Bischmishe­im. Die Collage zeigt die Arbeit am Werk und Annette Orlinski gemeinsam mit Geschäftsf­ührer Pascal Hübschen.
COLLAGE: ORLINSKI „Kunst im Werk“heißt das neueste Projekt von Annette Orlinski, in dem sie Kunst, Wirtschaft und Soziales verbindet. Der erste Betrieb, der sich auf ihre Idee einließ, war der Fliesenmei­sterbetrie­b Becker & Hübschen in Bischmishe­im. Die Collage zeigt die Arbeit am Werk und Annette Orlinski gemeinsam mit Geschäftsf­ührer Pascal Hübschen.
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FOTO: IRIS MAURER Eines der vielen soziokultu­rellen Projekte von Annette Orlinski, hier vor der Europa-Galerie in Saarbrücke­n, war der „Teppich der Vielfalt“im Rahmen der Aktion „PatchWork-City“2018.
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FOTO: RANNENBERG Dieser Dutt ist stadtbekan­nt: Frau Orlinksi mit markanter Frisur.

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