„Die Urteile waren eine Befreiung“
Vorsitzender der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen äußert sich zu Freisener Ex-Pfarrer.
Nachdem auch das Kirchengericht Köln das Urteil gegen den ehemaligen Freisener Pfarrer gesprochen hat (wir berichteten), schlägt Johannes Heibel, der Vorsitzende der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, ebenfalls ein Kapitel zu. Im SZ-Gespräch erzählt er von diesem und einem ganz ähnlich gelagerten Fall.
Herr Heibel, im Fall des ehemaligen Freisener Pfarrers hat jetzt auch das Kölner Kirchengericht ein Urteil gesprochen. Schuldig. Wie haben Sie dieses Urteil aufgenommen?
HEIBEL Dieses Urteil habe ich auch in dieser Deutlichkeit mehr als erwartet. Insofern war es für mich keine Überraschung. Mit ausschlaggebend war sicherlich die rechtskräftige Verurteilung des beschuldigten Priesters in strafrechtlicher Hinsicht.
Sie stehen der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vor. Wie wichtig ist dieses Urteil für die Opfer?
HEIBEL Nach der Verurteilung des Priesters vor einem weltlichen Gericht, ist das Urteil für die Betroffenen eine nochmalige Bestätigung, dass die Richter ihnen geglaubt haben und den Aussagen des Priesters keinen Glauben geschenkt haben. Es hilft ihnen dabei, in Zukunft mit dem erfahrenen Leid besser und vor allen Dingen souveräner umzugehen und sich selbst keine Vorwürfe mehr zu machen.
Gab es nach dem Urteil schon Reaktionen?
HEIBEL Insbesondere von einem seiner vielen Opfer weiß ich, dass die Verurteilung des Kirchengerichts für ihn sehr wichtig war, da er sich auch von hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche, insbesondere von Kardinal Marx und den Bischöfen Bätzing und Ackermann, unverstanden und über viele Jahre im Stich gelassen fühlte. Dieser Zustand hat sich zusätzlich extrem auf seine Gesundheit ausgewirkt. Die Urteile waren für ihn eine Befreiung, die er auch öffentlich mitgeteilt hat. Was vielleicht viele noch nicht wissen, er hat im vergangenen Jahr das Gleitschirmfliegen erlernt und schon einige Flüge vollkommen selbstständig absolviert. Deutlicher kann man meiner Ansicht nach Befreiung nicht zeigen oder leben. Es freut mich ungemein für ihn.
Dieser Fall hat Sie lange beschäftigt. Können Sie uns erzählen, wann Sie das erste Mal damit zu tun hatten?
HEIBEL Im Jahre 2016 habe ich Hinweise auf einen im Jahre 2002 rechtskräftig verurteilten Priestertäter bekommen, die mich veranlassten, mich nochmals intensiv mit dem noch nicht aus dem Klerikerstand entlassenen Priester zu beschäftigen. Mit der gründlichen Aufarbeitung des Falles war ich rund fünf Jahre beschäftigt. Ergebnis meiner Arbeit war unter anderem, dass der erste Priestertäter Ende 2019 vom Papst aus dem Klerikerstand entlassen wurde. Dieser Priestertäter stammte aus Freisen und pflegte zu dem nun Verurteilten, ehemaligen Gemeindepfarrer von Freisen, eine enge freundschaftliche Beziehung. Der verurteilte Ex-Gemeindepfarrer hat auch mit ihm seinen Primizgottesdienst gefeiert. Als ich davon erfuhr, habe ich mich natürlich auch für diesen Priestertäter interessiert, insbesondere, was die beiden miteinander verband. Dabei traf ich auf Menschen, die mir dazu
Näheres mitteilen konnten. So habe ich zum Beispiel Briefe vom Ex-Gemeindepfarrer von Freisen an seinen Nachbarn einsehen können. Diese zum Teil bösartigen Schreiben lagen wohl auch dem Bistum Trier vor. Darüber hinaus wurden mir zwei interessante Briefe zugespielt, die der damalige Generalvikar Bätzing dem damaligen Gemeindepfarrer von Freisen schrieb. Diese Briefe habe ich Bischof Bätzing sogar in einem persönlichen Gespräch vorgelegt und ihn damit konfrontiert. Er hat darauf zu meinem Erstaunen sehr gelassen reagiert und auch nicht gefragt, wie ich in den Besitz dieser Briefe gekommen bin. Dass das Bistum diesen Priester für viele Jahre, auch unabhängig von den Missbrauchsvorwürfen, einfach so gewähren ließ, ist mir bis heute ein Rätsel und unverantwortlich.
Inwieweit unterscheidet sich dieser Fall von anderen? Oder ähnelt er eher anderen Erfahrungen?
HEIBEL Dieser Fall hat einige Besonderheiten, die sich von mir bekannten anderen Priesterfällen zumindest in Teilen unterscheiden. So war ich erstaunt darüber, dass sich zumindest zwei seiner Opfer, die bei der katholischen Kirche angestellt sind, zu einer Aussage in beiden Verfahren gegen den Priestertäter entschlossen haben. Sie waren letztlich ausschlaggebend dafür, dass der Mann überhaupt verurteilt werden konnte. Vor diesen beiden Männern habe ich großen Respekt und bin ihnen sehr dankbar. Damit konnten die Betroffenen aus den bereits verjährten Fällen zumindest im Nachhinein Gerechtigkeit und Genugtuung erfahren und einen gewissen Abschluss finden. Ich habe mit beiden Männern gesprochen und mich für ihren Mut und ihr Engagement bedankt. Das war mir sehr wichtig.
Im zweiten Fall, den sie vorhin angesprochen haben, ging es um einen Pfarrer in Österreich, der 2019 aus dem Klerikerstand entlassen wurde. Und: Der den ehemaligen Freisener Pfarrer kennt. Erzählen Sie noch ein bisschen mehr davon.
HEIBEL Zu dem aus Freisen stammenden Priestertäter und seiner Freundschaft mit dem ehemaligen, jetzt verurteilten Gemeindepfarrer von Freisen, gäbe es noch vieles zu sagen. So hat er beispielsweise die Priesterweihe seines Schützlings, die unter dubiosen Umständen in Rumänien zustande kam, in der Kirchenzeitung von Freisen mit Stolz öffentlich gemacht. Auch hat er ihn mit einer Gruppe von Messdienern in seinem Kloster in Österreich für einige Tage besucht und ihm auch die Möglichkeit gegeben, trotz eines Zelebrationsverbotes nach seiner rechtskräftigen Verurteilung im Jahre 2002, zumindest einen Gottesdienst mit der Gemeinde in Freisen zu feiern. Letzteres wurde auch dem Bistum Trier bekannt. Konsequenz war eine schlichte Ermahnung, dass er dies zukünftig unterlassen solle. Das schien ihn aber nicht sonderlich zu interessieren. Er feierte noch einmal einen Gottesdienst gemeinsam mit seinem Freund und anderen in dessen Haus in Franken. Anlass war der 50. Geburtstag seines Schützlings. Auch das war eigentlich verboten. Damit aber nicht genug. Er besaß sogar noch die Dreistigkeit, dies groß in der Kirchenzeitung in Freisen mit Foto zu veröffentlichen. Nichts passierte.
Sehen Sie Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen?
HEIBEL Bei der Aufarbeitung der beiden Fälle fiel mir auf, dass sich die Strategien der beiden Priestertäter ähneln. Insbesondere was den Einsatz von Alkohol angeht. Mehr will ich dazu nicht ausführen, auch mich mit Vermutungen zurückhalten, was die Beziehung der beiden miteinander angeht.
Seit 2018 wurde vor dem Kirchengericht in Köln der Fall des Freisener Ex-Pfarrers verhandelt. Was glauben Sie, warum hat das so lange gedauert? Und wie wichtig war die Entscheidung des Saarbrücker Gerichts?
HEIBEL Ich denke, dass das Kirchengericht erst einmal den Ausgang der Verfahren vor dem weltlichen Gericht abwarten wollte. Der Ausgang vor dem Saarbrücker Landgericht war meiner Ansicht nach schließlich mit entscheidend für das Urteil des Kirchengerichts.
Und glauben Sie, dass die Betroffenen nun zur Ruhe kommen können?
HEIBEL Ich kann nur hoffen und es ihnen von Herzen wünschen, dass sie nun endlich zur Ruhe kommen. Wir werden auch zukünftig für sie ein Ansprechpartner sein und sie gegebenenfalls unterstützen.
In dieser Woche wurde bekannt, dass der ehemalige Freisener Pfarrer Rekurs gegen das Urteil im kirchlichen Strafverfahren eingelegt hat. Was sagen Sie dazu?
HEIBEL Dass der verurteilte Freisener Ex-Gemeindepfarrer nun in Rom Widerspruch eingelegt hat, wundert mich keinesfalls. In meiner bereits mehr als drei Jahrzehnte langen Arbeit unter anderem für Opfer von klerikaler Gewalt sah ich mich des Öfteren mit solch uneinsichtigen Tätern konfrontiert. Zum Beispiel ist da der Fall des Pfarrers W., der mir stets in Erinnerung bleiben wird. Neun Jahre nach seiner rechtskräftigen Verurteilung vor dem Landgericht Coburg im Jahre 2000, schickte W. 2009 Detektive zu zwei Opferfamilien und bat die Betroffenen, ihre Aussagen aus dem Verfahren in Coburg zurückzunehmen. Sie hätten nichts zu befürchten. Er bräuchte dies nur für seinen Seelenfrieden. In Wirklichkeit hatte er ein Wiederaufnahmeverfahren im Sinn. In meinen Büchern „Der Pfarrer und die Detektive“und „Telefonat mit einem Priestertäter“schildere ich ausführlich diesen Fall, mit dem ich mich seit März 1991 bis ins Jahr 2015 konfrontiert sah. www.initiative-gegen-gewalt.de www.schutzbaer-bulli.de