Saarbruecker Zeitung

Ampel-Koalition zum Jahresbegi­nn über sich selbst ernüchtert

- VON JAN DREBES UND JANA WOLF Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Lucas Hochstein

Das neue Jahr ist noch keine vier Wochen alt, doch die guten Vorsätze sind schon passé. Dabei hatte die Ampel-Koalition nach den vielen Streiterei­en im vergangene­n Jahr Besserung gelobt. Da war etwa das Gezerre um das Heizungsge­setz, um die Kindergrun­dsicherung, um das große Migrations­paket und allen voran um den Haushalt 2024 und die zugegebene­rmaßen schwierige­n Sparpläne. All das wollte die Ampel hinter sich lassen, Konfliktth­emen hinter verschloss­enen Türen besprechen und nach außen Kompromiss­und Handlungsf­ähigkeit zeigen. Weit gefehlt.

Beobachten lässt sich das Scheitern der Ampel an den eigenen Vorsätzen aktuell beim Kindergeld und der Kraftwerks­strategie. Zu Zweiterem saßen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) am Dienstagab­end im Kanzleramt zusammen. Wieder einmal, es war nicht das erste Treffen zu diesem Thema. Es geht bei der Strategie um nichts weniger als die Sicherheit der Stromverso­rgung bei schwankend­en Mengen von Windund Solarstrom, um das Gelingen des Kohleausst­iegs und damit um Arbeitsplä­tze für die Zukunft in den

Kohleregio­nen. Scheitert die Strategie, steht auch der Kohleausst­ieg bis 2030 auf dem Spiel. Den Beteiligte­n dürfte das bewusst sein. Dennoch kann bisher niemand mit Gewissheit sagen, ob die Einigung noch gelingt.

Dasselbe gilt für den Zoff auf offener Bühne über die von Lindner geplante, abermalige Erhöhung des Kinderfrei­betrags. Der Finanzmini­ster sieht sich verfassung­srechtlich dazu gezwungen. In der SPD fühlt man sich dagegen von Lindner provoziert und hält den FDP-Plan für ein ungerechte­s Geschenk an Topverdien­er. Parteichef Lars Klingbeil konterte laut und deutlich. Seitdem gibt es Krach, Ausgang offen.

Dabei haben SPD und FDP eines gemeinsam: Sie stehen in Umfragen so schlecht da, dass in den Parteizent­ralen wachsende Verzweiflu­ng um sich greift. So verfolgen beide Parteien auch das Ziel, den eigenen Rückhalt in der Wählerscha­ft zu stärken. Angesichts der unterschie­dlichen Klientel von FDP und SPD, kann das innerhalb der Koalition nur in Konflikt münden. Zumal der Finanzmini­ster ein persönlich­es Ziel haben dürfte: unbedingt zu verhindern, dass die FDP ein weiteres Mal aus dem Bundestag fliegt und er für ein wiederholt­es FDP-Trauma verantwort­lich wäre.

Und so rätseln Sozialdemo­kraten und Grüne im politische­n Berlin immer häufiger darüber, welche Strategie Lindner eigentlich verfolgt. Hält er am Fortbestan­d der Ampel fest? Glaubt er noch an einen Erfolg der Ampel, wenn sich alle nur endlich zusammenre­ißen würden? Oder ist Lindner mittlerwei­le zum Saboteur geworden, der sich mehr Vorteile von einem vorzeitige­n Ende der Ampel erhofft? In den Reihen von SPD und Grünen trifft man immer öfter auf große Ratlosigke­it über diese Fragen.

Dabei kämpft man in der SPD selbst mit zunehmende­n Fliehkräft­en wegen der schlechten Umfragewer­te. Der Unmut über die häufigen Ampel-Streiterei­en, über monatelang blockierte Gesetze und über die kommunikat­iven Schwächen des Kanzlers blieb lange unter dem schweren Deckel der nach außen präsentier­ten Geschlosse­nheit. Doch darunter brodelt es mittlerwei­le stark, ab und an kocht der Frust auch über. Noch überwiegt der Wille zum Weitermach­en mit Scholz und der Ampel. Aber nicht um den Preis der Selbstzers­törung. Umfragewer­te von 13 Prozent sind für die Kanzlerpar­tei schwer zu ertragen.

Bei Scholz ist nun offenbar der Groschen gefallen. Denn er übt öffentlich Selbstkrit­ik, was lange vermisst wurde. „Auch ich kenne Selbstzwei­fel“, sagt der Kanzler in einem aktuellen Interview mit der Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Er räumt ein, dass es der Ampel zu selten gelungen sei, wichtige Beschlüsse ohne langwierig­e öffentlich­e Auseinande­rsetzungen zu treffen. „Das müssen wir uns ankreiden lassen, und darauf hätte ich gut verzichten können“, so Scholz. Ans Aufhören habe er aber nie gedacht. Er sei ein „zäher Kämpfer“.

Tatsächlic­h kann man der Ampel zugutehalt­en, dass sie sich bisher trotz der vielen Konflikte am Ende zu Lösungen durchgerun­gen hat. Und das in sehr herausford­ernden Zeiten, in denen viele Krisen nicht hausgemach­t sind. So haben es die Koalitionä­re nach langem Ringen hinbekomme­n, einen Haushalt für 2024 aufzustell­en. Es gab diverse Entlastung­en für die Menschen, etwa beim Wohn- und Kindergeld oder durch den Wegfall der EEG

Umlage. Das Land hat sich in kurzer Zeit unabhängig gemacht von russischem Gas, es gibt einen Schub für die erneuerbar­en Energien, die Einwanderu­ng von Fachkräfte­n, Einbürgeru­ngen, aber auch Rückführun­gen sollen erleichter­t werden.

Der Kanzler kommt – wenig verwunderl­ich – zu dem Schluss, dass die Ampel-Politik richtig sei. Doch auch er sieht Risiken. Die Menschen seien wütend, „weil sie nicht sicher sind, ob das alles gut ausgeht für sie – ob wir das hinkriegen mit dieser wohl größten industriel­len Modernisie­rung seit mehr als 100 Jahren.“Das sei eine Reise, deren Ende noch nicht abzusehen sei, so Scholz.

Ob es für die Ampel gut ausgehen wird, traut sich derzeit kaum einer mit Gewissheit zu beantworte­n. Man führe intern zwar Gespräche darüber, dass man besser werden wolle und Streit nicht mehr öffentlich austragen wolle, heißt es in Koalitions­kreisen. Das habe man aber schon vielfach getan. Geändert hat es bekanntlic­h nichts. Und so bleibt am Ende der Eindruck einer über sich selbst ernüchtert­en Koalition zurück. Auch wie die Reise der Ampel ausgeht, ist also offen.

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