„Wir schauen nicht in den Rückspiegel“
Der CDU-Vorsitzende will mit einem neuen Grundsatzprogramm seine Partei für die Zukunft in Stellung bringen.
BERLIN Er würde das Land anders führen: Der CDU-Vorsitzende und Unionsfraktionschef Friedrich Merz sieht Deutschland in großer Unruhe. Die Proteste gegen die AfD begrüßt Merz - und für 99 Prozent der CDUMitglieder legt er die Hand ins Feuer, dass sie „anständige Christdemokraten“sind.
Herr Merz, zum Jahresbeginn ist das Land aus vielen Gründen in Wallung. Wie blicken Sie darauf?
MERZWir gehen in ein weiteres Jahr großer Unsicherheiten. Das spiegelt sich in der Bevölkerung wider, wie wir an den Demonstrationen der Bauern und Mittelständler sehen. Es gibt eine große Unruhe, auch weil Erklärungen und politische Führung fehlen. Die Menschen fühlen sich nicht nur falsch regiert, sie fühlen sich von der Politik weitgehend alleingelassen.
Also auch von der Union?
MERZ Die Tatsache, dass wir nun seit langer Zeit mit Abstand in Deutschland die stärkste Partei sind, spricht eher dagegen. Ich räume aber ein, wir müssen das Vertrauen in unsere Kompetenzen weiter ausbauen. Die Bevölkerung muss wieder sagen: die von der CDU können das besser! Daran arbeiten wir. Und dazu schauen wir nicht in den Rückspiegel, sondern mit unserem neuen Grundsatzprogramm nach vorn.
Würden Sie das Land anders führen?
MERZ In der Sache würden wir viele Entscheidungen anders treffen. Und wir würden genauer hinschauen und vor allem zuhören, was die Menschen denken und sagen. Dazu gehört dann auch, Wege und Ziele aufzuzeigen, die Bürger mitzunehmen.
Was meinen Sie denn konkret?
Merz Wenn die Regierung der Meinung ist, dass ihre Änderungen beim Staatsbürgerschaftsrecht richtig sind, müsste sie doch für Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern werben. Stattdessen lässt die Ampel die Bevölkerung mit der Entscheidung vollkommen allein, obwohl eine Zweidrittel-Mehrheit dagegen ist, dass die doppelte Staatsbürgerschaft zum Regelfall wird. In einer Zeit, wo das Land ohnehin in großer Unruhe ist.
Wird die Migration Ihr Wahlkampfthema in diesem Jahr?
MERZ Das hängt davon ab, ob das Problem bis dahin gelöst ist, aber das sehen wir im Augenblick nicht. Es täte dem Land auch nicht gut, wenn wir immer nur weiter über die Migration in den Wahlkämpfen sprechen müssten. Das Problem muss gelöst werden. Wir müssten auch viel mehr über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft diskutieren. Da haben wir genug zu besprechen.
Wären Sie denn noch einmal zur Kooperation mit der Ampel bereit?
MERZ Uns stellt sich eher die Frage, ob die Bundesregierung daran überhaupt ein ernsthaftes Interesse hätte. Dies sehen wir nicht. In Sachen Migration hat Scholz die Kooperation beendet, zu anderen Themen gibt es keine Gespräche.
Wie ist Ihr Verhältnis zur SPD-Spitze?
„Es täte dem Land nicht gut, wenn wir immer nur weiter über die Migration in den Wahlkämpfen sprechen müssten.“Friedrich Merz CDU-Vorsitzender und Chef der Unionsfraktion im Bundestag
MERZ Es gab massive persönliche Angriffe von Frau Esken und Herrn Klingbeil gegen die CDU und auch gegen mich persönlich auf dem SPD-Parteitag. Es ist auch kein Zufall, dass die SPDSpitze uns häufig in einem Atemzug mit der AfD nennt. Die SPD verlegt sich auf ihren Kampf gegen „rechts“und adressiert ihn damit auch an uns. Das weise ich mit aller Deutlichkeit und Klarheit zurück. Da hört der Spaß auf.
Das klingt nicht nach einer neuen GroKo in absehbarer Zeit.
MERZ Bei 13 Prozent für die SPD kann man von einer „großen“Koalition ja ohnehin nicht mehr sprechen. Bei diesen Umfragewerten sollte sich die SPD beginnen zu fragen, ob sie nicht auf dem falschen Weg ist. Ich habe es immer für notwendig gehalten, dass wir eine starke sozialdemokratische Partei in Deutschland haben, die mitte-links bindet. Genauso wie es eine starke Union geben muss, die mitte-rechts bindet. Wenn die SPD diesen Anspruch aufgibt, ist das auch zum Schaden des Landes. Ich gebe ihn für die CDU nicht auf.
Auf welche Ränder schauen Sie genau?
MERZ Ich schaue nicht auf die Rechtsextremisten, die jetzt eine große Rolle in der AfD spielen. Mir geht es um die Menschen, die ohne Wenn und Aber auf dem Boden unserer Verfassung stehen und vielleicht eher konservativ sind. Diese Menschen sind erreichbar für die CDU.
Aber es gab auch Berichte über rechtsextremistische Bestrebungen in der CDU. Wie gehen Sie damit um?
MERZ Es gibt keine „rechtsextremistischen Bestrebungen“in der CDU. Unter den fast 400 000 CDU-Mitgliedern gibt es vielleicht eine Handvoll, die irgendwann falsch abgebogen ist. Von denen trennen wir uns. Ich lege für 99 Prozent unserer Mitglieder die Hand ins Feuer, dass sie anständige Christdemokraten sind.
Wie bewerten Sie die Proteste gegen die AfD nach den Potsdamer Enthüllungen?
MERZ Ich begrüße diese Proteste
sehr. Ich sage aber auch: Unser Land bräuchte mehr Bürgerinnen und Bürger, die dann am Montag auch in eine der demokratischen Parteien eintreten und sich der Mühe des politischen Alltags unterziehen. Nur dann bleiben wir eine wehrhafte Demokratie.
Habe Sie schon an einer Demo teilgenommen?
MERZ Ich war einer der Redner auf der Demonstration der Landwirtinnen und Landwirte vor zwei Wochen in meinem Wahlkreis. Ansonsten ist es die Hauptaufgabe von uns Politikern, in den Parlamenten und Regierungen gute Politik zu machen. Wir sind in erster Linie der Adressat und nicht Akteur der Proteste.
Weiten wir mal den Blick und schauen in die USA. Bereitet sich die Bundesregierung genügend auf eine erneute Präsidentschaft Trumps vor?
MERZ Die Bundesregierung kann sich auf einen solchen erneuten Regierungswechsel in den USA nicht allein vorbereiten. Das ist Aufgabe der gesamten EU. Aber: Dabei muss
Deutschland eine führende Rolle übernehmen. Am besten zusammen mit Frankreich. Meine Befürchtung ist, dass sich die Europäer von einer erneuten Wahl von Donald Trump wieder einmal überraschen lassen. Es sind wieder die Schlafwandler unterwegs.
Auch hinsichtlich der Ukraine?
MERZ Wir tun schon ziemlich viel für die Ukraine, aber oftmals erst nach langem Zögern. Militärisch können und müssen wir einfach mehr machen. Die Franzosen, die Briten und die Amerikaner liefern Marschflugkörper, wir liefern sie nicht. Aber in diesem Krieg sind Marschflugkörper von mittlerer Reichweite möglicherweise eine entscheidende Waffe. Die Bundesregierung muss ihren Kurs bei Taurus ändern. Dieses Zaudern und Zögern schadet auch deutschen und europäischen Interessen.
Braucht die Bundeswehr auch Soldaten ohne deutschen Pass?
MERZ Die Idee ist weder neu noch besonders originell. So hat es schon einmal eine Diskussion darüber gegeben, ob zum Beispiel EU-Staatsbürger in der Bundeswehr dienen können. Dem stehe ich offen gegenüber. Wir brauchen mehr Soldatinnen und Soldaten. Deswegen ist auch die Debatte über die Einführung des schwedischen Modells richtig. In Schweden werden erst einmal alle jungen Frauen und Männer gemustert, um ihnen dann ein Angebot für eine Verwendung zu machen. Das wäre ein erster Schritt, der in eine allgemeine Dienstpflicht oder in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr führen kann. Ich höre und bekomme dafür sehr viel Zuspruch. Gerade von jungen Menschen.
Verraten Sie uns noch, wie läuft die Kür des Kanzlerkandidaten wirklich ab?
MERZ Diese Personalentscheidung werden Markus Söder und ich wie verabredet im Spätsommer vorbereiten. Dann beziehen wir die Vorstände unserer beiden Parteien mit ein. Ob vor oder nach den Landtagswahlen im September, werden wir noch besprechen. Wir haben keine Eile.