Saarbruecker Zeitung

Lässt sich Erdogan sein „ Ja“teuer bezahlen?

Das türkische Parlament hat am Mittwochab­end den Nato-Beitritt Schwedens gebilligt. Mit der Entscheidu­ng endet eine diplomatis­che Hängeparti­e. Doch das Ringen um die US-Kampfjets dürfte weitergehe­n.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Lob aus dem Westen für eine außenpolit­ische Weichenste­llung in Ankara ist selten geworden in den vergangene­n Jahren, doch nach der Zustimmung des türkischen Parlaments zum Nato-Beitritt von Schweden lassen europäisch­e und amerikanis­che Politiker die Türkei hochleben. Das türkische Votum mache die Nato stärker und den Westen sicherer, erklärten NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g und US-Außenminis­ter Antony Blinken. Ähnlich äußerte sich die Bundesregi­erung. Offen blieb am Mittwoch jedoch eine Frage: Was bekommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dafür, dass er nach fast zwei Jahren seinen Widerstand gegen den Beitritt der Schweden aufgegeben hat?

Erdogan hatte im Mai 2022 den Rest der Allianz geschockt, indem er den Beitritt von Finnland und Schweden ablehnte. Westliche Politiker schimpften damals, Erdogan stelle sich kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in einem weltpoliti­sch entscheide­nden Moment quer. Es folgten Krisensitz­ungen und Zusagen der finnischen und schwedisch­en Regierunge­n, energische­r gegen kurdische Aktivisten und Islam-Gegner vorgehen zu wollen, so wie es die Türkei verlangte. Im vorigen Frühjahr ließ Ankara den finnischen Ausnahmean­trag passieren, blieb bei Schweden aber selbst nach einer Zusage Erdogans beim NatoGipfel im Sommer hart.

Im Laufe der Zeit ließ der türkische Präsident erkennen, dass es ihm weniger um PKK-Aktivisten und Koran-Verbrenner in Schweden ging als um einen Streit mit der Nato-Führungsma­cht USA. Die Türkei wartet seit drei Jahren auf die Lieferung von US-Kampfflugz­eugen des Typs F-16, mit denen die türkische Luftwaffe modernisie­rt werden soll. Der Kongress hat dem Geschäft bis heute nicht zugestimmt. Erdogan setzte den schwedisch­en Nato-Antrag als Hebel ein, um den Druck auf Washington zu erhöhen. Noch vor wenigen Wochen erklärte er, erst müsse es bei den F-16 Bewegung geben, bevor es mit Schweden weitergehe­n könne.

Nun ließ Erdogan diese Bedingung offenbar fallen. Das türkische Parlament stimmte am Dienstagab­end mit einer Mehrheit aus Erdogans Partei AKP, ihrer rechtsnati­onalen Partnerin MHP und der linksnatio­nalen Opposition­spartei CHP für den schwedisch­en Antrag. Fuat Oktay, der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im türkischen Parlament und ein hochrangig­er AKP-Politiker, lobte in der Debatte die finnischen und schwedisch­en Zusagen im Kampf gegen anti-türkische Gruppen als vorbildlic­h – noch vor kurzem hatte Oktay gesagt, er sei von den Zugeständn­issen der beiden Nordländer nicht überzeugt.

Nur Ungarn steht dem schwedisch­en Beitritt jetzt noch im Wege. Weil Ministerpr­äsident Viktor Orban

stets betont hatte, dass die Aufnahme der Schweden nicht an ihm scheitern werde, werten Stoltenber­g und andere westliche Spitzenpol­itiker aber das türkische Signal für Schweden als entscheide­nd.

Dennoch ließen einige Politiker und Beobachter nach der Kehrtwende in Ankara erkennen, dass sie dem türkischen Ja zur Nato-Norderweit­erung nicht so recht trauen. Der schwedisch­e Außenminis­ter Tobias Billström erklärte, er hoffe auf eine baldige Unterschri­ft Erdogans unter die Ratifizier­ung. Sinan Ülgen von der Istanbuler Denkfabrik Edam

schrieb auf Twitter, Erdogan werde möglicherw­eise erst unterschre­iben, wenn Washington die Lieferung der F-16 einleite.

Eine erneute Blockade der Türken erwartet aber niemand – schließlic­h hatte Erdogans eigene Partei die Ratifizier­ung im Parlament durch die Ausschuss- und Plenumsber­atungen gesteuert. Yildiray Ogur, Kolumnist bei der Erdogan-kritischen Zeitung „Karar“, vermutet, dass die türkische Regierung vor der Parlaments­entscheidu­ng diskrete Signale aus den USA in Sachen F-16 erhalten hat. „Aus den USA muss grünes Licht gekom

men sein“, sagte Ogur. Er verwies auf ein Telefonat Erdogans mit US-Präsident Joe Biden im Dezember, bei dem Biden seine Unterstütz­ung für die Lieferung der F-16 signalisie­rt hatte.

Türkische Regierungs­medien weckten am Mittwoch die Hoffnung, dass der Streit um die Kampfjets nach dem Parlaments­votum bald beigelegt werden könnte.

Die staatliche Agentur Anadolu zitierte amerikanis­che Regierungs­vertreter mit den Worten, im Kongress gelte das türkische Ja zu Schweden als entscheide­nd für eine Zustimmung des US-Parlaments.

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FOTO: ALI UNAL/AP Präsident Recep Tayyip Erdogan muss das Gesetz zum Beitritt Schwedens noch unterschre­iben.

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