Drohende Reise zurück in die Zukunft besorgt die EU
In Brüssel fürchten EU-Vertreter eine mögliche Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus. Vorbereitet aber scheinen sie darauf nicht.
Das Planspiel wird dieser Tage immer drängender in Brüssel: Was passiert, wenn Donald Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? Die Zeitreise zurück in die Zukunft löst bei den Europäern ein Gefühl zwischen Unglaube und Sorge aus. Mitunter ist fast Panik zu verspüren beim Blick über den Atlantik. Das Szenario, das EU-Vertreter lange als unmöglich weggelächelt haben, wird plötzlich realistisch. Wie aber stellt sich die Gemeinschaft darauf ein? Diplomaten versuchen zu versichern: „Wir werden es nehmen, wie es kommt“, sagte ein Beamter selbstbewusst. Gleichwohl scheint die EU zumindest offiziell keine konkreten Schritte vorzubereiten. Dabei wären die Konsequenzen einer Wiederwahl Trumps enorm.
Erst kürzlich erzählte der Binnenmarktkommissar Thierry Breton im EU-Parlament die Anekdote, nach der Trump während seiner Amtszeit im Gespräch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gedroht hatte, den Europäern im Notfall keine Militärhilfe zu leisten – und damit die Nato-Bündnisverpflichtung zu ignorieren. „Sie müssen sich klarmachen, dass wir Ihnen niemals helfen werden und Sie niemals unterstützen werden, wenn Europa angegriffen werden sollte“, soll der Trump demnach 2020 gesagt haben. Als „lauten Weckruf“bezeichnete Breton die Aussagen Trumps rückblickend.
Haben die Europäer aber tatsächlich ihre Lektion gelernt aus den ersten Trump-Jahren? „Nicht vollständig“, sagt Ricardo Borges de Castro von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC). „Sonst wären wir jetzt besser vorbereitet, wir hätten mehr Investitionen getätigt und insgesamt mehr unternommen.“Selbst mit Joe Biden im Amt hätte man noch mehr über die eigene Sicherheit, Verteidigung und Abschreckung nachdenken sollen, so Borges de Castro. Statt langfristig zu planen, habe jedoch mitunter „ein Gefühl der Selbstzufriedenheit“geherrscht.
Die größte Herausforderung beträfe die Unterstützung für die Ukraine, darin sind sich so ziemlich alle EURegierungen einig. Die Lücke wäre riesig. So würden etwa die 50 Milliarden Euro, die die EU-Länder für die kommenden vier Jahre bereitstellen wollen, nicht im Ansatz den Bedarf der Ukraine decken. Sollte Trump wie befürchtet die bisherige massive USHilfe für Kiew beenden, „kommen wir an einen kritischen Punkt“, sagt Borges de Castro. Dann müsse Europa aktiver werden. Dort ist unbestritten, dass man mehr für die eigene Verteidigung tun muss. Gleichwohl heißt es oft, man sei bereits am Limit, zudem hätte die Rüstungsindustrie kaum die Kapazitäten, den Wegfall der US-Lieferungen zu kompensieren. Viele Experten lassen die Argumente jedoch nicht gelten. Die Ressourcen und das Geld seien vorhanden, sagt Experte Borges de Castro. „Aber das wird mit enormen Einsparungen in anderen Politikbereichen verbunden sein.“Wo also würde der rot Stift angesetzt? Auf die Staatenlenker dürften harte Zeiten zukommen, sollten sie ihren Wählern vermitteln müssen, wie viele Milliarden aus den nationalen Töpfen in die Verteidigung statt in versprochene Projekte fließen würden.
„Europa muss sich auf sich selbst besinnen“, verlangte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley, die bei der EU-Wahl im Juni für die Sozialdemokraten als Spitzenkandidatin antritt, kürzlich. Auch der belgische Premier Alexander De Croo, dessen Land aktuell die Ratspräsidentschaft innehat, warnte zu Jahresbeginn, die EU werde mehr denn je auf sich gestellt sein. „Wir sollten uns als Europäer nicht vor dieser Aussicht fürchten, sondern sie begrüßen.“Europa müsse „stärker, souveräner und unabhängiger“werden. Wie schnell kann sich die EU von den USA unabhängiger machen? Was jetzt notwendig wäre, so sagt Politikwissenschaftler Borges de Castro, wäre der Kontaktaufbau zu Trumps Team.