Saarbruecker Zeitung

Drohende Reise zurück in die Zukunft besorgt die EU

In Brüssel fürchten EU-Vertreter eine mögliche Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus. Vorbereite­t aber scheinen sie darauf nicht.

- VON KATRIN PRIBYL

Das Planspiel wird dieser Tage immer drängender in Brüssel: Was passiert, wenn Donald Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? Die Zeitreise zurück in die Zukunft löst bei den Europäern ein Gefühl zwischen Unglaube und Sorge aus. Mitunter ist fast Panik zu verspüren beim Blick über den Atlantik. Das Szenario, das EU-Vertreter lange als unmöglich weggeläche­lt haben, wird plötzlich realistisc­h. Wie aber stellt sich die Gemeinscha­ft darauf ein? Diplomaten versuchen zu versichern: „Wir werden es nehmen, wie es kommt“, sagte ein Beamter selbstbewu­sst. Gleichwohl scheint die EU zumindest offiziell keine konkreten Schritte vorzuberei­ten. Dabei wären die Konsequenz­en einer Wiederwahl Trumps enorm.

Erst kürzlich erzählte der Binnenmark­tkommissar Thierry Breton im EU-Parlament die Anekdote, nach der Trump während seiner Amtszeit im Gespräch mit Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gedroht hatte, den Europäern im Notfall keine Militärhil­fe zu leisten – und damit die Nato-Bündnisver­pflichtung zu ignorieren. „Sie müssen sich klarmachen, dass wir Ihnen niemals helfen werden und Sie niemals unterstütz­en werden, wenn Europa angegriffe­n werden sollte“, soll der Trump demnach 2020 gesagt haben. Als „lauten Weckruf“bezeichnet­e Breton die Aussagen Trumps rückblicke­nd.

Haben die Europäer aber tatsächlic­h ihre Lektion gelernt aus den ersten Trump-Jahren? „Nicht vollständi­g“, sagt Ricardo Borges de Castro von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC). „Sonst wären wir jetzt besser vorbereite­t, wir hätten mehr Investitio­nen getätigt und insgesamt mehr unternomme­n.“Selbst mit Joe Biden im Amt hätte man noch mehr über die eigene Sicherheit, Verteidigu­ng und Abschrecku­ng nachdenken sollen, so Borges de Castro. Statt langfristi­g zu planen, habe jedoch mitunter „ein Gefühl der Selbstzufr­iedenheit“geherrscht.

Die größte Herausford­erung beträfe die Unterstütz­ung für die Ukraine, darin sind sich so ziemlich alle EURegierun­gen einig. Die Lücke wäre riesig. So würden etwa die 50 Milliarden Euro, die die EU-Länder für die kommenden vier Jahre bereitstel­len wollen, nicht im Ansatz den Bedarf der Ukraine decken. Sollte Trump wie befürchtet die bisherige massive USHilfe für Kiew beenden, „kommen wir an einen kritischen Punkt“, sagt Borges de Castro. Dann müsse Europa aktiver werden. Dort ist unbestritt­en, dass man mehr für die eigene Verteidigu­ng tun muss. Gleichwohl heißt es oft, man sei bereits am Limit, zudem hätte die Rüstungsin­dustrie kaum die Kapazitäte­n, den Wegfall der US-Lieferunge­n zu kompensier­en. Viele Experten lassen die Argumente jedoch nicht gelten. Die Ressourcen und das Geld seien vorhanden, sagt Experte Borges de Castro. „Aber das wird mit enormen Einsparung­en in anderen Politikber­eichen verbunden sein.“Wo also würde der rot Stift angesetzt? Auf die Staatenlen­ker dürften harte Zeiten zukommen, sollten sie ihren Wählern vermitteln müssen, wie viele Milliarden aus den nationalen Töpfen in die Verteidigu­ng statt in versproche­ne Projekte fließen würden.

„Europa muss sich auf sich selbst besinnen“, verlangte die Vizepräsid­entin des EU-Parlaments Katarina Barley, die bei der EU-Wahl im Juni für die Sozialdemo­kraten als Spitzenkan­didatin antritt, kürzlich. Auch der belgische Premier Alexander De Croo, dessen Land aktuell die Ratspräsid­entschaft innehat, warnte zu Jahresbegi­nn, die EU werde mehr denn je auf sich gestellt sein. „Wir sollten uns als Europäer nicht vor dieser Aussicht fürchten, sondern sie begrüßen.“Europa müsse „stärker, souveräner und unabhängig­er“werden. Wie schnell kann sich die EU von den USA unabhängig­er machen? Was jetzt notwendig wäre, so sagt Politikwis­senschaftl­er Borges de Castro, wäre der Kontaktauf­bau zu Trumps Team.

 ?? FOTO: AP/MATT ROURKE ?? Die Wiederwahl von Donald Trump ist ein immer realistisc­heres Szenario.
FOTO: AP/MATT ROURKE Die Wiederwahl von Donald Trump ist ein immer realistisc­heres Szenario.

Newspapers in German

Newspapers from Germany