Saarbruecker Zeitung

„Viele Menschen legen eine Hoffnung in uns“

Bei den Wahlen in Ostdeutsch­land will das neue Bündnis Sahra Wagenknech­t eine entscheide­nde Rolle spielen. Potenzial hat sie. Aber erst einmal muss die Partei aus dem Boden gestampft werden.

- VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN, SIMONE ROTHE, JÖRG SCHURIG UND OLIVER VON RIEGEN Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Lucas Hochstein

(dpa) Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Im Oktober war das Bündnis Sahra Wagenknech­t nicht mehr als eine Ankündigun­g. Nach der Gründung Anfang Januar folgt am kommenden Samstag der erste Bundespart­eitag der neuen Partei.

Und schon kurz darauf sollen die ersten Landesverb­ände startklar sein. Vor allem in Ostdeutsch­land drängt die Zeit. Denn bei den wichtigen Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g dieses Jahr will das BSW entscheide­nd mitmischen.

Dabei halten der früheren LinkenPoli­tikerin auch einige die Daumen, die mit ihrer Mischung aus linker Sozialpoli­tik, Migrations­begrenzung und Breitseite­n gegen den linksliber­alen Zeitgeist eigentlich nicht viel anfangen können. Die verbreitet­e Hoffnung: Das BSW soll die rechte AfD in den ostdeutsch­en Ländern klein halten, indem es Protestwäh­ler aufsammelt.

Ob das aufgeht, ist schwer abzuschätz­en. „Alle Umfragen zeigen, dass wir ein großes Potenzial haben“, sagt Wagenknech­t in einem Interview. „Wie viele davon uns am Ende tatsächlic­h wählen, kann man derzeit nicht sicher sagen.“Die Umfragen sind vorerst sprunghaft. Bundesweit wurden für das BSW schon Werte um die zwölf Prozent gemessen. Jüngst waren es mal drei Prozent, mal sieben Prozent, je nach Fragemetho­de.

Der Potsdamer Politikfor­scher Jan Philipp Thomeczek bestätigt je

doch das Potenzial. „Wenn die Partei irgendwo möglichst schnell einziehen wird in Parlamente, dann in Ostdeutsch­land in den drei Ländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird“, sagt Thomeczek im dpa-Gespräch. Der Wissenscha­ftler hat den sogenannte­n BSW-O-Mat erstellt. Damit kann man online prüfen, ob man mit dem BSW-Programm übereinsti­mmt.

Punkten kann die Partei demnach bei linken wie konservati­ven Wählern: „Das BSW ist für Leute interessan­t, die aktuell sagen, bei der AfD gefällt mir die Migrations­kritik, aber vielleicht bin ich auf der wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Ebene nicht damit einverstan­den, was die AfD sagt und wünsche mir eher ein linkeres Programm“, sagt der Potsdamer Forscher.

In Ostdeutsch­land zieht diese Mischung, obwohl Wagenknech­t in der Parteiführ­ung die einzige mit ostdeutsch­er Herkunft ist. Von einem ostdeutsch­en Ehepaar kam kürzlich eine Spende von einer Million Euro, wie das BSW bestätigte. Wagenknech­t selbst verweist auf die besonderen sozialen Probleme im Osten. „Es gibt noch mehr Menschen, die zum Mindestloh­n arbeiten müssen, viele Ältere mit geringen Renten“, sagt die gebürtige Thüringeri­n.

Dann spricht die 54-Jährige, die inzwischen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine im Saarland lebt, vom Gefühl der Menschen auf dem Land, vergessen zu sein, von der Angst vor dem sozialen Abstieg und dem Verlust von Industrien. Sie sagt: „Sie haben das schon mal erlebt. Und die Ostdeutsch­en sind auch besonders

sensibel, wenn sie eine übergriffi­ge Politik erleben, die sie belehren und erziehen will.“

Viele Menschen wählten die AfD nicht wegen ihrer Ideologie, sondern aus Wut und Enttäuschu­ng über die Politik aus Berlin, meint Wagenknech­t. „Natürlich wünsche ich mir, dass wir viele dieser Menschen überzeugen können, auch bisherige Nichtwähle­r“, sagt sie. Eine Koalition mit der AfD hat sie ausgeschlo­ssen. Mitregiere­n will das BSW aber schon. „Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir vor Ort überzeugen­de Angebote machen“, sagt Wagenknech­t.

Wichtige Köpfe der neuen Partei sind frühere Linken-Mitglieder, so auch in Thüringen, wo das BSW ausgerechn­et dem linken Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow Konkurrenz macht. Dort hat Wagenknech­t die Eisenacher Oberbürger­meisterin Katja Wolf gewonnen, die wohl für den Landtag kandidiere­n wird. Als Hauptmotiv­ation für ihren Wechsel gab die 47-Jährige an, sie wolle helfen, einen Erfolg der AfD mit Rechtsauße­n Björn Höcke in Thüringen zu verhindern.

Der BSW-Landesverb­and soll bis März gegründet, die Kandidaten­liste im April aufgestell­t werden. Zu den ersten 20 Thüringer BSW-Mitglieder­n gehören neben Wolf auch der Eisenacher Medienunte­rnehmer Steffen Schütz, Matthias Herzog vom Erfurter Profi-Basketball­club sowie die frühere Linke-Bundestags­abgeordnet­e Sigrid Hupach.

Politische­s Potenzial gibt es auch hier. In einer Insa-Umfrage im Auftrag der Funke-Medien kam das Bündnis Sahra Wagenknech­t auf 17 Prozent. Die CDU erreichte 20 Prozent, die regierende Linke nur noch 15 Prozent. Nummer eins ist mit 31 Prozent die AfD, ungeachtet der Einstufung des Landesverb­ands als „gesichert rechtsextr­em“.

Vorn liegt die AfD auch in Sachsen – zuletzt in einer Forsa-Umfrage bei 34 Prozent vor der CDU mit 30 Prozent, der SPD mit sieben und den Grünen mit acht Prozent. Die Zustimmung für das BSW wurde noch nicht gemessen.

Doch spürt die Partei auch im Freistaat Rückenwind, wie Sabine Zimmermann sagt, früher LinkenBund­estagsabge­ordnete und nun zuständig für den Aufbau des BSW in Sachsen und Mecklenbur­g-Vorpommern. „Es gibt eine Aufbruchst­immung“, sagt Zimmermann. Und weiter: „Viele Menschen legen eine Hoffnung in uns, dass wir etwas verändern können. Wir können aber nur etwas verändern, wenn wir stark werden.“Das BSW sei keine „Linke 2.0“, doch seien viele frühere Linke mit Erfahrung in Kommunalpa­rlamenten dabei. Man sei „linkskonse­rvativ“und betrachte die Linken nicht als politische­n Gegner, sagt Zimmermann und ergänzt: „Meine persönlich­e Hoffnung und auch unsere historisch­e Verantwort­ung sehe ich darin, den Höhenflug der AfD zu brechen.“Mit dem Aufbau der Partei in Sachsen zeigt sich Zimmermann zufrieden: „Wir sind aber total unter Zeitdruck.“Für einen Start bei der Kommunalwa­hl im Juni müsse der Landesverb­and bis Mitte März stehen.

Derselbe Zeitdruck herrscht in Brandenbur­g, wo ebenfalls Kommunalwa­hlen am

9. Juni und die Landtagswa­hl am

22. September anstehen. Dort war es um das BSW bisher vielleicht am ruhigsten. Nun meldete sich der BSW-Landesbeau­ftragte Stefan Roth zu Wort. „Nach dem Bundespart­eitag werden wir mit einem ersten Team von vorerst 14 Parteimitg­liedern in Brandenbur­g starten, darunter erfahrene Kommunalpo­litiker, Initiatore­n von Protesten ebenso wie bisher Parteilose aus der Mitte der Gesellscha­ft – Lehrer, Polizisten, Unternehme­r“, erklärte Roth.

14 Mitglieder, das ist nicht eben viel, wenn es um Hunderte Mandate in Städten und Gemeinden und im Landtag geht. Die Partei werde stetig wachsen, erwartet Roth. Er sagt: „Viele Menschen wissen nicht mehr, was sie noch wählen sollen. Wir wollen deshalb auch in Brandenbur­g die klaffende politische Lücke im Parteiensy­stem schließen und den Wählern eine Alternativ­e zu Ampel, CDU und AfD bieten.“

„Sie haben das schon mal erlebt. Und die Ostdeutsch­en sind auch besonders sensibel, wenn sie eine übergriffi­ge Politik erleben, die sie belehren und erziehen will.“Sahra Wagenknech­t Parteivors­itzende Bündnis Sahra Wagenknech­t

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FOTO: LANDO HASS/DPA Sahra Wagenknech­t, Parteivors­itzende Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW), will mit ihrer Partei bei den diesjährig­en Wahlen in Ostdeutsch­land vorne mitwirken.

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