Saarbruecker Zeitung

Finanzamt – Revitalisi­erung oder Neubau?

So manches Fragezeich­en wird von dritter Seite hinter die Pläne des Landes gesetzt, das denkmalges­chützte Saarbrücke­r Finanzamt abzureißen. Fachleute bezweifeln die offizielle Argumentat­ion, das Denkmal in bester Innenstadt­lage sei baulich nur schwer zu r

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Die Landesregi­erung hatte es sich wohl ganz einfach vorgestell­t: Per Ministerra­tsbeschlus­s formuliert­e man im Oktober 2023 einen Abrissantr­ag für das Saarbrücke­r Finanzamt und gab ihn an die zuständige Denkmalsch­utzbehörde weiter. Wer sollte sich da schon auflehnen gegen den Wunsch von „ganz oben“?

Doch das Gebäude, um das es geht, hat eine Geschichte. Auch wenn es in der Bevölkerun­g womöglich nicht viele Freunde hat, die – wenn schon nicht seinen architekto­nischen, doch zumindest seinen regionalhi­storischen – Wert erkennen. Immerhin handelt es sich um das erste landeseige­ne Nachkriegs­gebäude der „Franzosenz­eit“in Saarbrücke­n.

1948 wurde es zu Zeiten der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion mit Frankreich geplant – unter persönlich­er Beteiligun­g von Georges-Henri Pingusson, dessen Französisc­he Botschaft (später Sitz des Kultusmini­steriums und besser bekannt als Pingussonb­au) die Landesregi­erung nach jahrelange­r Hängeparti­e sanieren will. Weil das Denkmalamt das Gebäude als bewahrensw­ert einschätzt, stellte man das 125 Meter lange, in Filetlage gelegene Bürogebäud­e unter Denkmalsch­utz. Seit dem Umzug des Finanzamte­s auf den Eschberg 2022 steht es leer. So weit die Vorgeschic­hte.

Das Land will das Gebäude jedoch aus der Denkmallis­te streichen lassen und hat im November offiziell einen Abrissantr­ag eingereich­t. Auf SZ-Anfrage hat das in der Sache maßgeblich­e Finanzmini­sterium als Begründung mitgeteilt, das Gebäude sei „in einem besonders schlechten baulichen Zustand“und unterliege

„vielerlei und besonderen Restriktio­nen (Fassade, Gebäudeins­tallation, Brandschut­zproblemat­ik, Statik)“, weshalb mit „außerorden­tlich hohen Sanierungs­kosten“zu rechnen sei. Mit anderen Worten: Das Landesdenk­malamt soll kleinbeige­ben. Selbiges aber hat den Antragstel­ler Land nun um Nachweise einer wirtschaft­lichen Unzumutbar­keit des Denkmalerh­alts ersucht, so SZ-Informatio­nen. Ganz so einfach geht es also doch nicht.

Mehrere ausgewiese­ne Fachleute hegen erhebliche Zweifel an den ins Feld geführten Argumenten und den weiteren Plänen des Landes, das vorhandene Bürogebäud­e durch ein neues zu ersetzen. Der Architekt Henning Freese, als Vorsitzend­er des Landesdenk­malrates (LDR) unmittelba­r involviert, verweist auf ein vom Land 2017 in Auftrag gegebenes Gutachten, demzufolge das Finanzamt offenbar „vollkommen bautauglic­h“(Freese) sei. Im Übrigen müssten die heutigen, verschärft­en Statik-Auflagen bei damaligen Gebäuden aus Gründen des Bestandssc­hutzes auch gar nicht Anwendung finden.

Was die angebliche­n statischen Defizite angeht, meint der Architekt und Vorsitzend­e des Saarbrücke­r Städtebaub­eirates, Carsten Dietz, habe es im Fall des HTW-Hoch

hauses an der A 620 wie auch des HDI-Gebäudes, unter dem man via Wilhelm-Heinrich-Brücke nach AltSaarbrü­cken hindurchfä­hrt, „baulich ganz ähnliche Einschränk­ungen gegeben, die zu lösen waren“. Ähnlich sieht die Sachlage der emeritiert­e Architektu­r- und Städtebaup­rofessor Markus Otto, heute ehrenamtli­cher Leiter des Saarbrücke­r Ortskurato­riums der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz. „Der Pingussonb­au ist baulich in schlechter­em Zustand“, gibt er zu bedenken. Nicht erkennbar sei überdies, dass das Land als Eigentümer der Immobilie ernstlich deren Umnutzung erwogen habe. Die bauliche Situation mit drei Treppenhäu­sern ließe relativ problemlos eine Wohnnutzun­g zu, regt Otto an. HTW-Architektu­rprofessor Heiko Lukas, bis 2020 Saarbrücke­r Baudezerne­nt, erinnert daran, dass – Stichwort „graue Energie“, sprich das im Beton gespeicher­te CO2 – auch ökologisch­e Gesichtspu­nkte gegen einen Abriss und Neubau in gleicher Funktion sprächen.

Der LDR-Vorsitzend­e Freese kritisiert „das überfallar­tige Verfahren des Landes“, kurzerhand ohne Vorlage von belastbare­n Unterlagen und jedwede öffentlich­e Diskussion den Gebäudeabr­iss auf den Weg bringen zu wollen. Das Land zeige sich „in dieser Frage uns gegenüber, gelinde gesagt, wenig auskunftsf­reudig“.

Völlig losgelöst von allen baulichen, ästhetisch­en oder wirtschaft­lichen Argumenten stellt sich noch eine andere Frage: Welche Verantwort­ung hat der Staat im Umgang mit Denkmälern? Dr. Marcus Hirschfeld­er, Saarbrücke­r Fachanwalt für Bau- und Architekte­nrecht und Verwaltung­srecht, verweist auf Artikel 34 der Landesverf­assung, der Schutz und Pflege von Denkmälern vorschreib­t. „Der öffentlich­en Hand obliegt es nach dem Saarländis­chen Denkmalsch­utzgesetz in besonderem Maße, die ihr gehörenden Denkmäler zu pflegen“, stellt Hirschfeld­er klar und erinnert an den einschlägi­gen Kommentar zur Verfassung des Saarlandes, in dem explizit die staatliche „Förderungs­pflicht“herausgest­ellt werde.

Wörtlich heißt es dort: „Mit den Begriffen Schutz und Pflege wird zum Ausdruck gebracht, dass der Staat nicht nur Eingriffe in diese Denkmäler zu unterlasse­n hat, sondern ihm die aktive Förderung ob

liegt.“Auch Privatleut­e, sagt Hirschfeld­er mit Blick auf das Finanzamt, dürften schließlic­h „wirtschaft­liche Erwägungen nicht ohne weiteres über denkmalpfl­egerische Belange stellen“.

Auf SZ-Anfrage hatte das Finanzmini­sterium mitgeteilt, es lägen „informelle Investoren­fragen vor, die genau an diesem Standort eine erhebliche Anzahl qualitativ hochwertig­er Büro-Arbeitsplä­tze in einem den heutigen Anforderun­gen entspreche­nden Neubau neu schaffen wollen“. Sollten diese Investoren – Gerüchten zufolge auch eine Privatbank – in Saarbrücke­n, wo nicht gerade ein Mangel an zentral gelegenen Bürofläche­n herrscht, tatsächlic­h nur an diesem Standort und keinem anderen aktiv werden können?

Saarbrücke­ns OB Uwe Conradt teilt auf SZ-Anfrage mit: „Es geht uns neben städtebaul­ichen Aspekten auch um einen Impuls für die Innenstadt. Es sind hunderte Arbeitsplä­tze weggebroch­en an der Stelle.“Durch den Auszug des Amtes ginge der Stadt auch Kaufkraft verloren. Zu den Abrissplän­en selbst lägen der Stadt „bislang keine detaillier­ten Informatio­nen“vor, so Conradt. Er folgert: „Ob Revitalisi­erung im Bestand oder Neubau – klar ist, dass wir an dieser Stelle eine architekto­nisch überzeugen­de Lösung brauchen.“

„Der Pingussonb­au ist baulich in schlechter­em Zustand.“Prof. Markus Otto Deutsche Stiftung Denkmalsch­utz

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Blick auf das Finanzamt zu einer Zeit, als es noch in Betrieb war. Seit Frühjahr 2022, als das Amt auf den Eschberg zog, steht es leer.
FOTO: BECKERBRED­EL Blick auf das Finanzamt zu einer Zeit, als es noch in Betrieb war. Seit Frühjahr 2022, als das Amt auf den Eschberg zog, steht es leer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany