Cattenom & Co. – das Los der AKW-Nomaden
Beim Ophüls-Festival stellt der Saarlouiser Kilian Armando Friedrich seinen Dokumentarfilm „Atomnomaden“vor. Worum geht’s?
Sie leben in Wohnmobilen und fahren von einem französischen Atomkraftwerk zum nächsten – um im Auftrag von Subunternehmen alte Reaktorkerne zu renovieren. „Nomades du nucléaire“nennen sie sich selbst, diese Wanderarbeiter des 21. Jahrhunderts. Vor allem Männer erledigen in ständiger Bereitschaft und mit Zeitverträgen gefährliche Drecksarbeit für vermeintlich saubere Energie. Sie verzichten wegen der hohen Verdienstmöglichkeiten jahrelang auf Privatleben, Familie, Freunde – in der Erwartung, sich früher als andere zur Ruhe setzen zu können.
Kilian Armando Friedrich und Tizian Stromp Zargari, die an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Regie studieren, haben diesen „Atomnomaden“einen wunderbaren Dokumentarfilm gewidmet. Seit der Premiere bei
der Berlinale 2023 ist er international auf Festivals gefragt – jetzt auch bei Ophüls in der Reihe Mop-Watchlist.
Würde Friedrich nicht so gern mit dem Rennrad durch die Felder fah
ren und wäre er nicht im Saarland, genauer in Saarlouis, aufgewachsen, hätte es diesen Film wohl nie gegeben. Entdeckt hatte er die „Atomnomaden“vor einigen Jahren bei einer
Radtour nach Cattenom: Irgendwie „spannend und surreal“findet er diese riesige Atomanlage mitten im Grünen mit dem kleinen Dorf daneben, sagt er im SZ-Gespräch. Friedrich hat zwar vor zehn Jahren seine Heimat verlassen, um erst szenische Künste in Hildesheim und dann Film-Regie in München zu studieren, er kehrt aber – wie alle Saarländerinnen und Saarländer – immer wieder zum Heimatbesuch hierher zurück.
Als er einmal vor dem AKW Cattenom ungewöhnlich viele Wohnmobile auf dem Parkplatz erblickte und nicht so recht glauben wollte, dass es sich um Urlauber handelt, hat er einfach mal angeklopft und gefragt. „Was wir als Dokumentarfilmer lernen, ist zu beobachten, eine Haltung zu entwickeln zur Welt, dann sieht man in Dingen Potenzial“, sagt Friedrich. Der Plan, das Alltagsleben dieser Arbeiter zum Thema seines nächsten Jahresfilms an der HFF zu machen, stand dann schnell fest. Warum er Tizian Stromp Zargari unbedingt als Co-Regisseur mit ins Boot nehmen wollte, ist nachvollziehbar: Zum einen sind die beiden, die sich als Kommilitonen an der HFF kennenlernten, sehr gute Freunde, zum anderen ist Zargari Franzose. Er habe ihm als Deutschen viel über
Land und Leute beibringen und auch „leichter die Türen zur Arbeiterklasse“öffnen können, sagt Friedrich.
Vier Monate mit Unterbrechungen dauerten Recherche und Dreh. Die Filmemacher mieteten sich ein Wohnmobil und zogen los zu den Parkplätzen vor den AKW, um Protagonisten finden. „Es sind meist junge Männer aus ländlichen Gebieten, sie haben sonst keine Möglichkeit, einen Job zu finden. Dann rückt das AKW in den Blick.“Es gebe ja 19 AKW, da sei immer eines in der Nähe; das Anlernen dauere nur ein paar Monate, und weil die Materialien in den Reaktoren durch die Radioaktivität schneller verschleißen, gebe es ständig etwas zu renovieren, zu überstreichen oder auszutauschen. Richtig lukrativ werde der Job aber erst durch die Reisespesen, daher seien die Männer erpicht darauf, umherzuziehen.
„Bei der ersten Tour haben wir nur beobachtet, gesammelt, ganz viel gesprochen und kennen gelernt, wie sie leben“, erzählt Friedrich. Dann hätten sie in Absprache mit diesen Protagonisten, die sich selbst spielen, Szenen geschrieben, also ein Drehbuch, in dem alle Aspekte vorkommen, die ihnen wichtig waren. Als einer der Männer etwa besonders viel Strahlung abbekam, hätten sie ihn gebeten, mit einem Kollegen darüber zu reden, um das im Film haben zu können. So ein Eingriff sei im Dokumentarfilm durchaus legitim. „Das einzige, was ihn vom Spielfilm unterscheidet, ist, dass die Menschen, die ich als Zuschauer sehe, tatsächlich so existieren und nicht andere darstellen“, meint Friedrich. Denn den Moment, in dem ein Mensch nicht wisse, dass er gerade gefilmt werde, den gebe es nicht.
Die Arbeit in den AKW zu filmen, haben sie gar nicht erst versucht. „Wir haben uns für die Menschen interessiert, die in diesem Job vereinsamen, eigentlich ist das ein Film über die Einsamkeit der großindustriellen Arbeitswelt im 21. Jahrhundert“, sagt der 28-Jährige. Diese Zersplitterung der Arbeitswelt in 1000 Subunternehmen zerstöre die Fähigkeit der Arbeiter und Gewerkschaften, sich organisieren zu können, ist sein Fazit.
Termine: Donnerstag 20.30 Uhr Camera Zwo; Samstag 19.30 Uhr Cinestar 8 – und im Streaming-Angebot des Festivals. www.ffmop.de