Saarbruecker Zeitung

Cattenom & Co. – das Los der AKW-Nomaden

Beim Ophüls-Festival stellt der Saarlouise­r Kilian Armando Friedrich seinen Dokumentar­film „Atomnomade­n“vor. Worum geht’s?

- VON SILVIA BUSS Produktion dieser Seite: Tobias Kessler Manuel Görtz, Markus Renz

Sie leben in Wohnmobile­n und fahren von einem französisc­hen Atomkraftw­erk zum nächsten – um im Auftrag von Subunterne­hmen alte Reaktorker­ne zu renovieren. „Nomades du nucléaire“nennen sie sich selbst, diese Wanderarbe­iter des 21. Jahrhunder­ts. Vor allem Männer erledigen in ständiger Bereitscha­ft und mit Zeitverträ­gen gefährlich­e Drecksarbe­it für vermeintli­ch saubere Energie. Sie verzichten wegen der hohen Verdienstm­öglichkeit­en jahrelang auf Privatlebe­n, Familie, Freunde – in der Erwartung, sich früher als andere zur Ruhe setzen zu können.

Kilian Armando Friedrich und Tizian Stromp Zargari, die an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Regie studieren, haben diesen „Atomnomade­n“einen wunderbare­n Dokumentar­film gewidmet. Seit der Premiere bei

der Berlinale 2023 ist er internatio­nal auf Festivals gefragt – jetzt auch bei Ophüls in der Reihe Mop-Watchlist.

Würde Friedrich nicht so gern mit dem Rennrad durch die Felder fah

ren und wäre er nicht im Saarland, genauer in Saarlouis, aufgewachs­en, hätte es diesen Film wohl nie gegeben. Entdeckt hatte er die „Atomnomade­n“vor einigen Jahren bei einer

Radtour nach Cattenom: Irgendwie „spannend und surreal“findet er diese riesige Atomanlage mitten im Grünen mit dem kleinen Dorf daneben, sagt er im SZ-Gespräch. Friedrich hat zwar vor zehn Jahren seine Heimat verlassen, um erst szenische Künste in Hildesheim und dann Film-Regie in München zu studieren, er kehrt aber – wie alle Saarländer­innen und Saarländer – immer wieder zum Heimatbesu­ch hierher zurück.

Als er einmal vor dem AKW Cattenom ungewöhnli­ch viele Wohnmobile auf dem Parkplatz erblickte und nicht so recht glauben wollte, dass es sich um Urlauber handelt, hat er einfach mal angeklopft und gefragt. „Was wir als Dokumentar­filmer lernen, ist zu beobachten, eine Haltung zu entwickeln zur Welt, dann sieht man in Dingen Potenzial“, sagt Friedrich. Der Plan, das Alltagsleb­en dieser Arbeiter zum Thema seines nächsten Jahresfilm­s an der HFF zu machen, stand dann schnell fest. Warum er Tizian Stromp Zargari unbedingt als Co-Regisseur mit ins Boot nehmen wollte, ist nachvollzi­ehbar: Zum einen sind die beiden, die sich als Kommiliton­en an der HFF kennenlern­ten, sehr gute Freunde, zum anderen ist Zargari Franzose. Er habe ihm als Deutschen viel über

Land und Leute beibringen und auch „leichter die Türen zur Arbeiterkl­asse“öffnen können, sagt Friedrich.

Vier Monate mit Unterbrech­ungen dauerten Recherche und Dreh. Die Filmemache­r mieteten sich ein Wohnmobil und zogen los zu den Parkplätze­n vor den AKW, um Protagonis­ten finden. „Es sind meist junge Männer aus ländlichen Gebieten, sie haben sonst keine Möglichkei­t, einen Job zu finden. Dann rückt das AKW in den Blick.“Es gebe ja 19 AKW, da sei immer eines in der Nähe; das Anlernen dauere nur ein paar Monate, und weil die Materialie­n in den Reaktoren durch die Radioaktiv­ität schneller verschleiß­en, gebe es ständig etwas zu renovieren, zu überstreic­hen oder auszutausc­hen. Richtig lukrativ werde der Job aber erst durch die Reisespese­n, daher seien die Männer erpicht darauf, umherzuzie­hen.

„Bei der ersten Tour haben wir nur beobachtet, gesammelt, ganz viel gesprochen und kennen gelernt, wie sie leben“, erzählt Friedrich. Dann hätten sie in Absprache mit diesen Protagonis­ten, die sich selbst spielen, Szenen geschriebe­n, also ein Drehbuch, in dem alle Aspekte vorkommen, die ihnen wichtig waren. Als einer der Männer etwa besonders viel Strahlung abbekam, hätten sie ihn gebeten, mit einem Kollegen darüber zu reden, um das im Film haben zu können. So ein Eingriff sei im Dokumentar­film durchaus legitim. „Das einzige, was ihn vom Spielfilm unterschei­det, ist, dass die Menschen, die ich als Zuschauer sehe, tatsächlic­h so existieren und nicht andere darstellen“, meint Friedrich. Denn den Moment, in dem ein Mensch nicht wisse, dass er gerade gefilmt werde, den gebe es nicht.

Die Arbeit in den AKW zu filmen, haben sie gar nicht erst versucht. „Wir haben uns für die Menschen interessie­rt, die in diesem Job vereinsame­n, eigentlich ist das ein Film über die Einsamkeit der großindust­riellen Arbeitswel­t im 21. Jahrhunder­t“, sagt der 28-Jährige. Diese Zersplitte­rung der Arbeitswel­t in 1000 Subunterne­hmen zerstöre die Fähigkeit der Arbeiter und Gewerkscha­ften, sich organisier­en zu können, ist sein Fazit.

Termine: Donnerstag 20.30 Uhr Camera Zwo; Samstag 19.30 Uhr Cinestar 8 – und im Streaming-Angebot des Festivals. www.ffmop.de

 ?? FOTO: SILVIA BUSS ?? Kilian Armando Friedrich beim Ophüls-Festival. Mit 14 entdeckte er die Arthouse-DVD-Sammlung seines Vaters für sich, produziert­e Natur- und Horrorfilm­e. Richtig angefixt haben ihn dabei die dänischen „Dogma 95“Filme.
FOTO: SILVIA BUSS Kilian Armando Friedrich beim Ophüls-Festival. Mit 14 entdeckte er die Arthouse-DVD-Sammlung seines Vaters für sich, produziert­e Natur- und Horrorfilm­e. Richtig angefixt haben ihn dabei die dänischen „Dogma 95“Filme.

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