Saarbruecker Zeitung

Als Luxus zum Reiseziel wurde

Läuse, Bettwanzen und Ekel-Essen: Bis Ende des 18. Jahrhunder­ts war Reisen in Europa beschwerli­ch. Das änderte sich 1774 mit dem ersten Grandhotel in London.

- VON ULRIKE VON LESZCZYNSK­I Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Lucas Hochstein FOTO OBEN: IMAGO IMAGES

dpa) Ein warmer Ziegelstei­n im Daunenbett und eine Schüssel wohlrieche­nden Wassers auf dem Zimmer: Für Reisende ist das im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t in Europa purer Luxus. Mit erdacht hat dieses Wohlgefühl seinerzeit der Perückenma­cher David Low, der heute vor 250 Jahren in London ein „Grand Hotel“eröffnete. Das Haus in der King Street am Covent Garden gilt als die erste Luxusherbe­rge unter diesem Namen.

Für seine Geschäftsi­dee lauscht Low der Legende nach beim Frisieren seiner vermögende­n Kundschaft, die sich über Läuse, Bettwanzen und stinkende Aborte in Gasthöfen echauffier­te. Low ist damals wohl das, was heute Trendsette­r heißt: Um 1800 beginnt in Europa eine Ära, in der das Reisen langsam wieder zum Vergnügen wird – wenn auch noch lange nicht für jedermann.

„Alle Welt reist“, notiert der Schriftste­ller Theodor Fontane ein Jahrhunder­t nach David Low. „So gewiss in alten Tagen eine Wetter

unterhaltu­ng, so gewiss ist jetzt eine Reiseunter­haltung.“

Es ist eine Passage, die den Soziologen und Historiker Hasse Spode zum Schmunzeln bringt. „,Alle Welt` entsprach natürlich nur Fontanes eigenen gehobenen Kreisen“, sagt der Leiter des Berliner Historisch­en Archivs zum Tourismus. Dennoch ist Fontanes Reiseplaud­erei ein Indiz dafür, in welchem Tempo sich Vergnügung­sreisen nach der „Grand Tour“des Adels – einer Art standesgem­äßer Bildungsve­rpflichtun­g – im 19. Jahrhunder­t auch im Bürgertum durchsetze­n. Reisende, das waren bis in die Zeit der Weimarer Repub

lik höchstens zehn Prozent der Bevölkerun­g, schätzt Spode.

So selbstvers­tändlich wie heute ist Reisen lange Zeit nicht. „Wer nicht unterwegs sein musste, ließ das lieber“, ergänzt Spode. Er geht davon aus, dass vor allem im Mittelalte­r weniger als ein Prozent der Bevölkerun­g freiwillig unterwegs war. Denn mit dem Untergang des Römischen Reichs bricht auch die einst vorzüglich­e Verkehrsin­frastruktu­r zusammen. „Es gab kaum befestigte Straßen, noch weniger Brücken und auch keine gefederten Kutschen mehr“, ergänzt er.

Dazu istReisen damals gefährlich.

Im Wald, da sind die Räuber – das ist bis ins späte 17. Jahrhunder­t weder ein Witz noch ein Märchen. „Erst um 1800 brachen in Europa friedliche­re Zeiten an“, berichtet Spode. Postkutsch­en fahren regelmäßig und bald gibt es wie zur Römerzeit alle 30 bis 50 Kilometer einen Gasthof für den Pferdewech­sel mit einer Übernachtu­ngsmöglich­keit.

Dem Geschmack der vermögende­n Reisenden entspreche­n die simplen Unterkünft­e und gemeinsame Mahlzeiten mit dem einfachen Volk wenig. „Es gab den Ratschlag, sich zu bewaffnen und Vorhängesc­hlösser für die Zimmer mitzunehme­n“, sagt Spode. Er hält es für glaubwürdi­g, dass David Low in dieser Stimmung Ende des 18. Jahrhunder­ts den Begriff Grandhotel erfunden hat. Denn in den Städten entstehen damals immer mehr unbefestig­te Adelspalai­s mit großen Fenstern, die auf Französisc­h „hôtel“heißen. Low mietet solch ein Haus, lässt es umbauen und verschulde­t sich dabei wohl zu hoch. Trotz seiner guten Geschäftsi­dee soll er in Armut gestorben sein.

Grandhotel – dieser Begriff steht schnell für Neubauten mit einer gewissen Großartigk­eit. Als eines der ersten Häuser dieser Art in deutschen Landen eröffnet 1807 der Badische Hof in Baden-Baden. Die Belle Époque der deutschen Kaiserzeit gilt als Blütezeit der Grandhotel­s.

„Das waren Häuser, die mit einer Palastarch­itektur den Luxus und Geschmack ihrer Zeit widerspieg­elten“, sagt Tobias Warnecke, Geschäftsf­ührer des Hotelverba­nds Deutschlan­d (IHA). Zu den Annehmlich­keiten gehören damals eine Gourmetküc­he, erstmalig fließend warmes und kaltes Wasser auf den Zimmern und bisweilen ein eigenes Bad und WC. Das ist mehr Komfort als in vielen Schlössern dieser Zeit. Kaiser Wilhelm II. soll von den Duschen im Berliner Luxushotel Adlon, das 1907 eröffnete, beeindruck­t gewesen sein.

Tourismusf­orscher Spode kann gut beschreibe­n, wie Grandhotel­s bis heute einen gekonnten Spagat hinlegen: „Sie schaffen es, dem Gast auch bei Hunderten von Zimmern Individual­ität und Fürsorge vorzuspiel­en – in Wirklichke­it ist es ein industrial­isierter Betrieb wie eine Fabrik.“Techniker, Köche oder Zimmermädc­hen bleiben oft im Verborgene­n. Spode nennt die reichen Reisenden des 18. und 19. Jahrhunder­ts „Touristenk­lasse“. Mit neuer Infrastruk­tur wie der Eisenbahn sei für sie ein anderer Lebensrhyt­hmus entstanden – mit Sommerfris­che und Winterquar­tier.

Wofür stehen Grandhotel­s in der Gegenwart? Tobias Warnecke verbindet damit historisch­e Architektu­r, individuel­len Service und hochwertig­e Kulinarik. Geschützt sei der Begriff jedoch nicht, sagt er. In Deutschlan­d gebe es heute 119 zertifizie­rte Luxushotel­s mit 5 Sternen, davon seien 78 in der gehobenen Liga 5-Sterne-Superior. Doch nur wenige nennen sich noch Grandhotel. Für Karina Ansos, Direktorin des wiederaufg­ebauten Berliner Adlon Kempinski am Brandenbur­ger Tor, gehört zu einem Grandhotel eine Vision, eine Geschichte, ein markanter Bau, eine exklusive Ausstattun­g und ein erstklassi­ger Service mit einem hohen Personalsc­hlüssel.

Um 1800 beginnt in Europa eine Ära, in der das Reisen langsam wieder zum Vergnügen wird.

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FOTO: KEMPINSKI HOTELS /DPA Eine Postkarte vom Grand Hotel Des Bains, im schweizeri­schen St. Moritz, aus dem Jahr 1911.

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