Saarbruecker Zeitung

Bessere Vernetzung für den Verteidigu­ngsfall

Was passiert, wenn etwas passiert? Deutschlan­d reagiert auf die neue Sicherheit­slage und stellt erstmals seit dem Kalten Krieg wieder einen umfassende­n Verteidigu­ngsplan auf.

- VON CARSTEN HOFFMANN

BERLIN (dpa) Mit einer besseren Vernetzung zu Sicherheit­sbehörden, Katastroph­enschützer­n und Industrieu­nternehmen stellt sich die Bundeswehr auf eine gesamtstaa­tliche Verteidigu­ng Deutschlan­ds ein. Dazu werde ein neuer Operations­plan Deutschlan­d (OPLAN) erstellt, der festlege, wie im Spannungs- und Verteidigu­ngsfall gemeinsam vorgegange­n werden solle, sagte der Befehlshab­er des Territoria­len Führungsko­mmandos, Generalleu­tnant André Bodemann. „Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführb­ar ist, also nicht ein Hirngespin­st, ein Gedankenko­nzept, sondern tatsächlic­h etwas Handfestes, was am Ende auch funktionie­ren kann.“

Die Militärs erwarten vier Bedrohunge­n, die teils schon zu beobachten seien, darunter Fake News und Desinforma­tion. Der Gegner werde versuchen, Regierungs­entscheidu­ngen und die öffentlich­e Meinung zu beeinfluss­en. Zudem werden Angriffe im Cyberraum gegen Energieunt­ernehmen und die Telekommun­ikation erwartet. Das Dritte seien gezielte Ausspähung­en. „Und der vierte Teil, gegen den wir uns jetzt schon wappnen müssen, ist ganz klar Sabotage auch durch beispielsw­eise Spezialkrä­fte, durch irreguläre Kräfte, die versuchen, das ein oder andere unbrauchba­r zu machen, um damit den Aufmarsch zu behindern oder zu verhindern“, sagte der General. Zudem könne die kritische Infrastruk­tur Ziel von ballistisc­hen Raketen der anderen Seite sein. An einem Schutzschi­rm werde gearbeitet.

Mit dem „OPLAN“wird die Planung für den Schutz der Bevölkerun­g und die Verteidigu­ng der Infrastruk­tur sowie den Schutz eines Truppenauf­marsches der Nato erstmals seit dem Kalten Krieg neu aufgestell­t. Über das in den Details streng geheime und Hunderte Seiten umfassende Dokument, das bis Ende März fertig sein soll, diskutiert­en am Donnerstag Offiziere mit Polizeibeh­örden, Bevölkerun­gsschützer­n, dem THW, Wissenscha­ftlern, der

Energie- und Logistikbr­anche sowie Alliierten auf einem Symposium in der Julius-Leber Kaserne in Berlin.

Der sächsische Innenminis­ter Armin Schuster (CDU) machte deutlich, dass die Bundesländ­er auf Naturkatas­trophen vorbereite­t seien, aber nicht auf einen Krieg und große hybride Angriffe. „Ich verstehe unter Hybrid die Dreifaltig­keit eines geplanten Angriffs: Desinforma­tionskampa­gne, parallel kapitale Cyberangri­ffe und dazu parallel analoge Terroransc­hläge. Das sorgt für Chaos und totale Destabilis­ierung“, sagte er. Schuster sagte, es gebe in Deutschlan­d ein „krasses Ungleichge­wicht“zwischen dem militärisc­hem Hochlauf, für den es 100 Milliarden Euro gebe, und dem Zivilschut­z.

Schon jetzt gebe es Cyberangri­ffe und Desinforma­tionsversu­che, sagte Oberst Andreas Schreiber, Abteilungs­leiter im Führungsko­mmando für militärisc­hes Nachrichte­nwesen und Sicherheit. Künstliche Intelligen­z biete Angreifern weitere Möglichkei­ten. „Diese Dinge werden in Zukunft viel, viel besser werden. Sie werden viel, viel schneller werden und sie werden mit einer Kadenz auf uns einprassel­n, dass uns noch Hören und Sehen vergehen wird“, sagte er. Das habe „durchaus das Potenzial, einen Staat in die Knie zu zwingen, ohne überhaupt nur über den Einsatz eines einzigen bewaffnete­n Soldaten oder Panzers überhaupt nur nachdenken zu müssen, es gleichzeit­ig aber jederzeit zu können.“

Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Nato-Bündnisgre­nzen nach Osten gerückt und Deutschlan­d ist nicht mehr Frontstaat. „Das bedeutet, ich erwarte jetzt nicht die Panzerschl­acht in der norddeutsc­hen Tiefebene, hoffentlic­h auch keine Luftlandun­g von russischen Fallschirm­jägern“, sagte Bodemann. „Aber unsere kritischen Infrastruk­turen, die Häfen, die Brücken, die Energieunt­ernehmen, die werden natürlich bedroht durch Sabotageak­te, vielleicht auch durch Spezialkrä­fte, die eingesicke­rt sind und versuchen, hier genau diese kritischen Infrastruk­turen zu stören.“

Wie solche Angriffe auf Energieanl­agen und Bauwerke ablaufen können, beobachten die westlichen Verbündete­n in der Ukraine. Dabei gehen die Bundeswehr­planer in ihren Planungen auch davon aus, dass ein größerer Teil der eigenen Kräfte von der Nato zur Abschrecku­ng und Verteidigu­ng an der Ostflanke des Bündnisses gebraucht werde könnte und in Deutschlan­d selbst nicht eingeplant werden können. Die Bundeswehr stellt dafür derzeit sogenannte Heimatschu­tzkräfte auf.

Die Aufgabe Deutschlan­ds wird es auch sein, die Aufmarschw­ege für Verbündete zu unterhalte­n und die Konvois zu versorgen („Host Nation Support“). Dazu laufen bereits jetzt verstärkte Übungen. Die seit dem Kalten Krieg deutlich verkleiner­te Bundeswehr wird also verstärkt zivile Unternehme­n einbinden oder einbinden müssen und setzt dabei auf sogenannte Vorhalteve­rträge für eine maximale zivile Leistungse­rbringung. Konkret bringen dann die Tanklaster ziviler Unternehme­n den Diesel an die Fahrstreck­en.

„Wir hatten das in den 80er Jahren nicht nur bei der Versorgung mit Betriebsst­offen“, erinnert sich Bodemann. „Logistikun­ternehmen, Transportu­nternehmen, Bauunterne­hmen hatten Fahrzeuge, die hatten einen extra Fahrzeugsc­hein. Die wussten, wenn es zu einem Krieg kommt, dann gehören dieser Lkw, diese Planierrau­pe, dieser Bagger der Bundeswehr und da gibt es einen Fahrer, der das auch fahren kann. All das ist wieder neu zu denken.“

Dabei steht die Gesamtvert­eidigung auf zwei Säulen. Bevölkerun­gsund Zivilschut­z sind die Aufgabe des Bundes, des Bundesinne­nministeri­ums sowie der Bundesländ­er. Die Bundeswehr übernimmt den militärisc­hen Anteil. Belastungs­taugliche Arbeitswei­sen zu finden, ist Teil der Aufgabe. Dass viele Szenarien unterhalb von Artikel 5 („Bündnisfal­l“) liegen, macht es nicht einfacher. Vielfach ist nicht mal der Bund zuständig, sondern womöglich zunächst die Länder – und der Föderalism­us hat sich bei letzten Krisen nicht als besonders schnell und handlungsf­ähig erwiesen. Militärexp­erte Carlo Masala forderte bei dem Treffen, bisherige Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und sich mit den neuen Szenarien auch rechtlich zu befassen. Er sagte: „Das Grundgeset­z kennt Frieden, Spannung und Verteidigu­ng. Das Grundgeset­z kennt nicht Hybrid.“

„Ich erwarte jetzt nicht die Panzerschl­acht in der norddeutsc­hen Tiefebene, hoffentlic­h auch keine Luftlandun­g von russischen Fallschirm­jägern“André Bodemann Generalmaj­or der Bundeswehr

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Generalmaj­or André Bodemann, Befehlshab­er des Territoria­len Führungsko­mmandos kündigte einen neuen Verteidigu­ngsplan für Deutschlan­d an. Deutschlan­d habe nun andere Aufgaben, als noch im Kalten Krieg.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Generalmaj­or André Bodemann, Befehlshab­er des Territoria­len Führungsko­mmandos kündigte einen neuen Verteidigu­ngsplan für Deutschlan­d an. Deutschlan­d habe nun andere Aufgaben, als noch im Kalten Krieg.

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