Saarbruecker Zeitung

Mit mehr Patriotism­us allein ist es nicht getan

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Wohin die Reise geht in der deutschen Konjunktur – ob endlich wieder nach oben oder weiter abwärts

– ist zu Jahresbegi­nn so ungewiss wie selten. Die Stimmung in den Unternehme­n hat sich im Januar zur Überraschu­ng vieler Experten erneut eingetrübt, wie der Ifo-Geschäftsk­limaindex signalisie­rt, der wichtigste Frühindika­tor. Ökonomen erwarten nun ein Minus im ersten Vierteljah­r, bevor im weiteren Jahreslauf die Besserung eintreten soll. Deutschlan­d kommt derzeit einfach nicht aus der Rezession heraus.

Daran trägt auch die Bundesregi­erung Schuld. Der mühsame Kompromiss zum Bundeshaus­halt nach dem Verfassung­sgerichtsu­rteil im November hat Investoren verunsiche­rt. In welchem Tempo es weiter geht mit dem Umbau hin zur Klimaneutr­alität, ist wegen der nötigen Einsparung­en im KlimaFörde­rtopf der Regierung unklarer geworden. Auch nach dem Kompromiss setzte die Ampel Streitigke­iten und Schlingerk­urs fort. Das Vertrauen in die Zuverlässi­gkeit der Politik geht so verloren. Da nützt es nichts, wenn der Wirtschaft­sminister jetzt an den „Standort-Patriotism­us“der Unternehme­n appelliert. Sie investiere­n nicht aus patriotisc­hen, sondern allein aus ökonomisch­en Gründen. Bietet sich keine verlässlic­he Zukunftspe­rspektive, gehen sie woanders hin. Das sollte auch Robert Habeck wissen.

Der Umfang der Haushaltsm­aßnahmen war aber allein nicht groß genug, um das Ausbleiben des Aufschwung­s zu erklären. Mit den Angriffen der Huthi-Rebellen auf Frachtschi­ffe im Roten Meer ist ein weiteres Konjunktur­risiko für die exportorie­ntierte Industrie hinzugekom­men. Auch der Ukraine-Krieg, die Schwäche Chinas und die Aussicht auf die Wiederwahl Trumps trüben den Blick in die Zukunft.

Immer klarer wird aber auch, dass Deutschlan­d nicht nur aus konjunktur­ellen Gründen kaum noch wächst. Das Land hat erhebliche strukturel­le Probleme. Überreguli­erung und Fachkräfte­mangel lassen viele Akteure verzweifel­n. Im Bildungs- und Pflegebere­ich ächzt das Personal, noch bevor der große Generation­swechsel eingesetzt hat. Bei der Digitalisi­erung liegt Deutschlan­d zurück, die Infrastruk­tur ist sanierungs­bedürftig. Die Zahl der Firmengrün­der sinkt, Mittelstän­dler finden keine Nachfolger.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Alle Probleme wird Deutschlan­d nicht auf einmal lösen können. Aber es bedarf unbedingt einer Stimmungsv­erbesserun­g, um schneller voranzukom­men. Dafür zu sorgen, ist nicht allein Aufgabe der angeschlag­enen Bundesregi­erung. Auch andere Akteure – die Opposition, die Sozialpart­ner, die Chefs großer Unternehme­n und Verbände – tragen diese Verantwort­ung. Man kann sich Konjunktur und Wohlstand auch kaputtrede­n.

Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologi­e, sagte Ludwig Erhard. Vieles spricht dafür, dass die Stimmung derzeit noch schlechter ist als die tatsächlic­he konjunktur­elle Lage. Positiv ist immerhin der Ausblick auf das zweite Halbjahr. Die Menschen verdienen im Schnitt mehr, während der Inflations­druck nachlässt und die Hoffnung auf sinkende Zinsen besteht. Das dürfte den privaten Konsum beflügeln – und hoffentlic­h auch die Investitio­nen.

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