Saarbruecker Zeitung

Nach dem Aufstand der Anständige­n

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Deutschlan­d erlebt einen beeindruck­enden Aufstand der Anständige­n. Nur: Was kommt, wenn die Demonstran­ten alle wieder nach Hause gegangen sind? Die schiere Zahl der Teilnehmer an den Kundgebung­en mag einige Wähler der AfD nachdenkli­ch gemacht haben. Sie merken nun, dass sie sich gegen die Mehrheit der Gesellscha­ft stellen. Sie merken auch, um welch große Themen es geht: Demokratie, Freiheit, Toleranz, Europa, innerer Frieden, Wohlstand. Doch man muss realistisc­h sein: Die meisten leben in ihrer Blase und konsumiere­n auch jetzt nur die Gegenhetze in den Netzwerken. Wenn diese Mitläufer bei den nächsten Wahlen trotz aller Demonstrat­ionen erneut ihr Kreuz bei den Rechtsextr­emisten machen, ist nichts gewonnen und der Kater wird groß sein.

Die endlich wach gewordene Mitte der Gesellscha­ft muss nun reden mit jenen ihrer Mitbürger, die abgedrifte­t sind. Die Demokraten dürfen sich nicht selbst genügen. Die Drahtziehe­r wird man nicht erreichen, aber die Mitläufer sind inzwischen vielleicht wieder ansprechba­r. Wenn jeder der 1,5 Millionen Demonstran­ten zwei bisherige Wähler überzeugt, ist die Partei halbiert. Und das ist möglich.

Auch viele der Sympathisa­nten der AfD haben seit der Potsdamer Deportatio­ns-Konferenz nämlich gemerkt, welcher Ungeist hier aus der Flasche gekrochen ist. Das ist nicht einfach nur eine besonders konservati­ve Partei mit einer besonders restriktiv­en Ausländerp­olitik. Das ist eine Organisati­on, die von Rechtsextr­emen erobert worden ist. Man frage die früheren Vorsitzend­en Lucke, Petry und Meuthen. Es ist auch eine Partei, die die demokratis­chen Institutio­nen permanent angreift, ob Politiker, Gerichte oder Medien, und die die EU verlassen will. In einem solchen Deutschlan­d wollen selbst die meisten AfD-Wähler nicht leben. Mit ihnen muss man jetzt das Gespräch suchen. Freundlich, wenn das möglich ist, aber auch offensiver im Ton, wenn sie dummes Zeug und Lügen wiederkäue­n. Am Arbeitspla­tz, in den Kneipen, in den Vereinen, überall. Die rechten Hetzer sind in der Defensive. Jetzt besteht die Chance, sie wieder von der Herde zu trennen.

Lucas Hochstein, Michaela Heinze Martin Wittenmeie­r, Peter Stefan Herbst

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