„Kein Platz für Fremdenfeindlichkeit“
Die Vorstände von Dillinger Hütte und Saarstahl positionieren sich klar gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung.
DILLINGEN Die Demokratie, die Wirtschaft und zahlreiche Arbeitsplätze seien in akuter Gefahr, wenn es der AfD weiterhin gelinge, den Standort Deutschland schlechtzureden und Ängste zu schüren. Davor warnen der Vorstandschef von Dillinger Hütte und Saarstahl, Stefan Rauber, und Personalvorstand Jörg Disteldorf. „Freiheit und Demokratie sind Errungenschaften, die wir nie wieder aufs Spiel setzen dürfen“, betont Vorstandschef Rauber. Beide äußerten sich im Interview mit der Saarbrücker Zeitung.
Herr Rauber, der Vorstand der Dillinger Hütte und von Saarstahl ist tief beunruhigt wegen der auch öffentlich wahrnehmbaren Zunahme an Fremdenfeindlichkeit.
RAUBER Unserer Demokratie und unserer Wirtschaft droht akute Gefahr. Wir erleben, dass insbesondere eine Partei versucht, Stimmung zu machen und zugleich den Standort Deutschland schlechtzureden. Das hat Auswirkungen auf zahlreiche Menschen. Wer glaubt, dass wir ohne Sicherheit, sozialen Frieden, freie Marktwirtschaft, dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Wertschätzung gegenüber jedem Menschen auskommen, gleichgültig ob es sich um einen Deutschen oder einen ausländischen Mitbürger handelt, der hat schlicht nichts verstanden. Auch die wirtschaftliche Abschottung Deutschlands oder ein sich Abwenden von Europa, wie es die AfD fordert, hätte massive und gefährliche Folgen. All das würde uns ökonomisch stark zurückwerfen und weltweit isolieren. Deshalb sind solche Forderungen vollkommener Blödsinn.
Wie sehen Sie die Situation im Saarland?
RAUBER In dem Saarland, in dem ich gerne lebe, ist kein Platz für Fremdenfeindlichkeit. Für mich ist diese Region weltoffen, genauso wie unsere Unternehmen Saarstahl und Dillinger. Bei uns arbeiten Menschen aus der ganzen Welt, die ihre Ideen einbringen. Wir legen größten Wert auf Wertschätzung, Toleranz und die Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, nicht nur in der Stahlindustrie, sondern in allen Branchen. Unser jüngstes Projekt, den grünen Stahl, machen wir doch ganz bewusst in Europa, zusammen mit vielen Menschen verschiedenster Nationalitäten. Die wollen daran mitwirken, weil sie das spannend finden und zugleich ganz selbstverständlich Teil der Region sein wollen. Sie werden uns beim Bau der Anlagen und der Inbetriebnahme unterstützen. Und das lassen wir uns von politischen Kräften wie der AfD, in der viele Anhänger rechtsextremer Ideen versammelt sind, nicht kaputtmachen.
Glauben Sie, dass im Saarland möglicherweise die Integration ausländischer Mitbürger besser gelingen kann als in anderen Regionen Deutschlands?
RAUBER Das kann sein. Das hat vielleicht auch mit der Geschichte des Landes zu tun, des wiederholten Wechsels und Wandels zwischen Deutschland und Frankreich. Ein gepflegtes Miteinander unterschiedlicher Kulturen. Das hat gegenseitige Toleranz gefördert. Und das ist nach meiner Überzeugung bis heute so geblieben.
DISTELDORF In unserem Konzern arbeiten heute 13 000 Menschen, rund zehn Prozent davon sind Ausländer. Sie sind in nahezu allen Bereichen tätig: vom Hochofen über die Produktion und Verwaltung bis hin zum Vorstand. Zu unserer Belegschaft gehören zahlreiche französische Grenzgänger, viele Italiener, Türken, aber auch Flüchtlinge – etwa aus Syrien. Hinzu kommen die zahlreichen deutschen Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Auch unter den Auszubildenden haben wir einen riesigen Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Alle gehören zu uns. Wir betrachten uns als eine Familie. Und alle sind auch gleichermaßen wissbegierig und leistungsbereit. RAUBER Das ist bei uns wie bei den Musketieren. Einer für den anderen. Wenn es Probleme geben sollte, würden wir sofort einschreiten. Mir sind aber bisher keine Fälle bekannt. Man darf auch nicht die große Integrationsleistung der vielen Vereine im Saarland vergessen. Deren Integrationsarbeit ist unschätzbar hoch, völlig unabhängig von der Nationalität. Wir haben an der Saar eine Vereinsdichte, die ihresgleichen sucht. Zahlreiche ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger engagieren sich dort. Ich bin deshalb überzeugt, dass die Integration ausländischer Menschen im Saarland gelingen kann. Ganz abgesehen davon, dass die ausländischen Fachkräfte, die im Saarland leben und arbeiten, auch Steuern zahlen. Sie tragen mit dazu bei, dass Wachstum und Wohlstand unterstützt werden. Ein wichtiges Argument, das viele, die ihre Vorurteile pflegen, gerne ausblenden. Die ausländischen Mitbürger schaffen diesen Wohlstand gemeinsam mit ihren saarländischen Kolleginnen und Kollegen. Eine großartige Teamleistung. Die hilft uns vor allem auch wirtschaftlich.
Dennoch stimmt etwas nicht. Zunehmend lassen Menschen ihren Ängsten freien Lauf: im Saarland genauso wie anderswo in Deutschland. Wie kann man diese Ängste bekämpfen, den sozialen Frieden erhalten, der ja gerade im Saarland auch im Umgang zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer ein hohes Gut war?
RAUBER Kommunikation ist der Schlüssel. Wir müssen anders miteinander kommunizieren, viel mehr miteinander reden, statt übereinander herzufallen. Wir müssen wieder lernen zuzuhören, auch denen mit einer anderen Meinung, und die Probleme offen ausdiskutieren. Wir alle müssen uns wieder mehr Zeit nehmen, statt hektisch zu agieren und nur oberflächlichen Argumenten nachzurennen. Dazu können und müssen alle in der Gesellschaft einen Beitrag leisten, auch die Medien und die Politik. Den Medien fällt nach meiner Überzeugung die sehr verantwortungsvolle Aufgabe zu, in einer immer undurchschaubareren, schwierigen Welt verständlicher über die Sorgen und Nöte der Menschen zu berichten, sich auf ihre Ebene zu versetzen und durch sachliche, verständliche Berichterstattung wieder Vertrauen zu wecken. Die Mitglieder aller demokratischen Parteien müssen ihre Politik besser erklären, die Menschen abholen und nach nachvollziehbaren Lösungen für ihre Probleme suchen. Sie müssen auch die Menschen zurückgewinnen, die aus Frust die AfD wählen. Eine Partei, die den Anschein erweckt, für alles einfache Lösungen zu haben. Einfache Lösungen gibt es aber oft nicht.
Immer mehr Saarländer äußern sich auch öffentlich, beteiligen sich an Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit und Extremismus. Ein ermutigendes Zeichen aus Ihrer Sicht?
RAUBER Da kann man auf die Saarländerinnen und Saarländer nur stolz sein, dass sie das jetzt tun. Der Gipfel ist spätestens erreicht, seit offen über Deportationen von Menschen mit Migrationshintergrund geschwafelt wurde. Das ist nichts anderes als das Spiel mit dem Feuer. So hat auch der Nationalsozialismus angefangen. So etwas machen die Saarländerinnen und Saarländer nicht mit und auch wir nicht als Unternehmen. Rassismus und jede Art von Diskriminierung haben bei der Dillinger Hütte und bei Saarstahl keinen Platz. Wir stemmen uns mit aller Kraft dagegen. Wir stehen für Vielfalt, für Demokratie und für ein anständiges Miteinander.
Wird es nicht auch Zeit für eine Großdemo der Saarwirtschaft mit möglichst vielen großen Industrieunternehmen, dem Mittelstand, kleinen Betrieben und familiengeführten Unternehmen inklusive der Belegschaften und Vertretern aller Wirtschaftskammern? Das wäre sicher auch ein beeindruckendes Zeichen an die gesamte Republik.
DISTELDORF Wenn so etwas im Saarland organisiert wird, werden wir nach meiner Einschätzung mit der Dillinger Hütte und Saarstahl ganz sicher dabei sein. Zumal auch die Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in der IG Metall voll hinter dem Ziel stehen, Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen. Wenn es um dieses Ziel geht, steht die Gewerkschaft mit allen Aktionen immer hinter uns. Auch zahlreiche junge Menschen in der Jugendvertretung sowie in der Gewerkschaft bringen sich da ein. Deutsche und ausländische Kolleginnen und Kollegen agieren bei uns auf Augenhöhe, verstehen sich gut, respektieren sich gegenseitig und bringen viele Ideen ein.
RAUBER Man muss auch bedenken, dass die derzeitige Debatte über Fremdenfeindlichkeit ein verheerendes Zeichen an alle Unternehmer und Investoren ist, die sich vorstellen können, sich in Deutschland zu engagieren. Bleibt die Agitation der AfD und die Stimmung so, werden sie eher einen Bogen um Deutschland machen. Zumal weltweit noch nahezu jeder weiß, was die Naziherrschaft angerichtet hat. Das Ganze ist erst rund 80 Jahre her. Verheerend dürfte sich die zunehmende Radikalisierung auch auf in Deutschland vorhandene Unternehmen auswirken. Niemand darf sich wundern, wenn sich mehr und mehr Unternehmen aus Deutschland verabschieden, sollten radikale Kräfte Oberwasser bekommen. Dann passiert vor allem eins: Immer mehr Menschen werden arbeitslos. Die wirklich großen Errungenschaften im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg waren Freiheit und Demokratie. Wir dürfen diese Errungenschaften nie wieder aufs Spiel setzen.