Anti-Israel-Demo am Holocaust-Gedenktag
Seit dem Terrorangriff der Hamas gehen in Saarbrücken Menschen gegen Israel auf die Straße. Die nächste Demo soll am 27. Januar stattfinden – dem Internationalen Holocaust- Gedenktag. Ein Thema mit großer Brisanz.
SAARBRÜCKEN Eigentlich finden die Pro-Palästina-Demos in Saarbrücken bereits seit Monaten jeden Samstag statt. Dass die nächste Demo zwar auch an einem Samstag, aber diesmal ausgerechnet am Gedenktag für die Opfer des Holocausts (siehe Info) geplant ist, empfindet Dennis Kundrus dennoch als bewusste Provokation. „Auf den Demos ist immer wieder die Rede davon, dass in Gaza ein ‚Genozid' passiert“, erklärt der Vorsitzende des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Saar. „Wenn man an einem solchen Tag demonstriert, rückt man den Krieg in Gaza bewusst in den Kontext des Holocausts. Das finde ich absolut verurteilenswert, unabhängig davon, wie man zu dem Krieg steht.“
Kundrus hat grundsätzlich nichts gegen Veranstaltungen, die auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung aufmerksam machen sollen. „Wenn dabei aber Hass gegen Juden und Israel geschürt wird – und dann auch noch an diesem Tag – dann muss man da meiner Meinung nach einschreiten.“Er habe sich selbst bereits zwei Demos angesehen. Neben antisemitischen Parolen seien ihm dabei auch Schilder aufgefallen, auf denen Gaza mit einem Konzentrationslager verglichen wurde.
„Ich würde nicht sagen, dass man die Veranstaltung in jedem Fall verbieten muss, aber es sollte wenigstens eine kritische, öffentliche Diskussion darum geben“, betont Kundrus. Die Polizei müsse allerdings besonders wachsam sein, antisemitische Plakate entfernen und hetzerische Redebeiträge unterbinden. „Das fordere ich von den zuständigen Stellen auch ein.“
Kundrus steht mit seiner Haltung nicht allein: Auch andernorts hadert man mit diesem Thema. In Zürich wurde eine pro-palästinensische Demo am diesjährigen HolocaustGedenktag scharf kritisiert, die Stadt bewilligte schließlich lediglich eine Kundgebung an einem festen Platz. Pro-israelische Gruppen haben bereits Gegenprotest angekündigt. In Deutschland ist die Rechtslage natürlich eine andere – gleichzeitig aber auch der Stellenwert dieses Tages höher.
Nikolaus Marsch ist Professor an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes. Neben deutschem und europäischem öffentlichem Recht und Rechtsvergleichung lehrt er dort auch Verfassungsrecht. Im Gespräch mit der SZ macht er deutlich, wie schwierig die juristische Bewertung eines solchen Falles selbst für Experten ist. „Es gab bereits eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zu Verboten von Pro-Palästina-Demonstrationen, die unterschiedlich ausgegangen sind“, erklärt Marsch. „Da ging es aber immer um die Frage, ob es im Rahmen dieser Veranstaltungen zu Straftaten kommen könnte – beispielsweise Billigung des Terrorismus oder Aufruf zu Straftaten. Wenn sich das halbwegs sicher prognostizieren lässt, dann kann man solche Veranstaltungen verbieten.“Verallgemeinern dürfe man solche Einschätzungen jedoch nicht, betont Marsch.
Einschränkungen der Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag sind auch unter Verfassungsexperten nicht unumstritten. Demonstrationsverbote wurden allerdings in der Vergangenheit bereits gegenüber der rechtsextremen und antisemitischen NPD (die sich im Juni 2023 in „Die Heimat“umbenannt hat) ausgesprochen. Diese wurden auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Begründung: „Eine Demonstration, die sich direkt gegen das Gedenken an den Holocaust richtet, ist an diesem Tage unerträglich“, erklärt Marsch. „Oder juristisch gesprochen: eine Gefahr für die öffentliche Ordnung.“
Eine Gleichsetzung der Pro-Palästina-Demo mit der NPD wäre aus Marschs Sicht nicht statthaft. „Ein Verbot impliziert indirekt auch einen starken Vorwurf an die Veranstalter, weil eine Parallele zur NPD gezogen werden könnte.“Letztendlich müsse abgewogen werden: „Zielt die Veranstaltung im Wesentlichen darauf ab, auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza aufmerksam zu machen, oder geht es darüber hinaus?“Antisemitische Vorfälle, wie sie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Saarland (Rias) in der Vergangenheit bei den Saarbrücker Demos beobachtet hat, könnten ein Verbot stützen, so Marsch. Ob das vor Gericht standhält, ist aber laut dem Rechtsexperten auch dann nicht klar – zumal die Polizei laut eigenen Angaben nach den ersten Demos deutlich früher gegen antisemitische Plakate oder Parolen einschreitet und es seitdem zu keinen groben Verstößen gekommen sein soll.
Das spricht wiederum gegen ein Verbot. Niedriger sind laut Marsch dagegen die Hürden für Auflagen, die durch die Ordnungsbehörden erteilt werden können. Grundsätzlich sei zwar auch die Wahl von Ort und Zeit einer Demonstration grund
„Wenn man an einem solchen Tag demonstriert, rückt man den Krieg in Gaza bewusst in den Kontext des Holocausts. Das finde ich absolut verurteilenswert, unabhängig davon, wie man zu dem Krieg steht.“Dennis Kundrus Vorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Saar
rechtlich geschützt, betont Marsch – und dies sei auch sinnvoll, da die Ordnungsbehörden ansonsten eine Versammlung an einen Standort verschieben könnte, an dem niemand die Demonstration wahrnimmt, was den Sinn unterlaufen würde. Einschränkungen seien jedoch theoretisch möglich, wenn beispielsweise durch die Kundgebung oder den Demonstrationszug eine Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Holocausts gestört werde. „Ich würde es für nicht erträglich halten, wenn eine solche Demonstration in unmittelbarer Nachbarschaft oder Hörweite zu offiziellen Gedenkveranstaltungen stattfinden würde. Entsprechende Auflagen halte ich für rechtlich gut begründbar.“
Alternativ kann die Stadt aber auch einfach an die Einsicht eines Veranstalters appellieren – und einvernehmlich einen Ausweichtermin finden. Diesen Weg versucht auch die Stadt Saarbrücken zu gehen: „Es ist richtig, dass auch für den kommenden Samstag wieder eine Anmeldung im Palästina-Kontext vorliegt“, teilt Stadt-Pressesprecher Thomas Blug der Saarbrücker Zeitung auf Nachfrage mit. „Aktuell prüfen wir diese und stehen auch in Kontakt mit dem
Veranstalter und der Polizei dazu.“Eine endgültige Entscheidung ist demnach kurzfristig am Freitag zu erwarten.