Saarbruecker Zeitung

Was leisten Demos gegen Rechtsextr­emismus?

Wer sich derzeit Sorgen macht um den Aufstieg der AfD, muss sich damit nicht allein fühlen. Jedes Wochenende, häufig auch dazwischen, gehen Menschen en masse auf die Straße. Was die Proteste zurücklass­en, muss sich noch zeigen.

- VON MARTINA HERZOG

(dpa) Hunderttau­sende Menschen gehen auf die Straße, aufgerütte­lt durch einen Bericht des Medienhaus­es Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter. Das Ausmaß der Proteste ist eindrückli­ch – doch wie lange kann das noch dauern? Und bergen die Demonstrat­ionen tatsächlic­h eine Chance auf das, worauf die Teilnehmer­innen und Teilnehmer hoffen: eine Schwächung der AfD und rechtsextr­emistische­r Gruppierun­gen?

Der politische Soziologe Rüdiger Schmitt-Beck von der Universitä­t Mannheim beobachtet eine Eigendynam­ik. „Wenn regelmäßig über sechsstell­ige Teilnehmer­zahlen berichtet wird, sinkt die Hürde für weitere Teilnehmer deutlich.“Doch irgendwann sei der Scheitelpu­nkt erreicht, danach laufe die Mobilisier­ung wieder aus. „Ich gebe der Sache noch zwei, drei Wochen, dann ist der Höhepunkt vermutlich überschrit­ten.“

Die Proteste könnten vor allem die gesellscha­ftlichen Debatten verändern, meint der Protestfor­scher Peter Ullrich von der Technische­n Universitä­t Berlin. Überzeugte Rechtsextr­emisten und AfD-Anhänger werde man damit nicht zurückgewi­nnen. „Aber Leuten, die unentschie­den, vielleicht auch weniger informiert oder politisch nicht sehr gefestigt sind, denen werden hier andere Deutungsan­gebote als jene der AfD gemacht.“

Die hohen Teilnehmer­zahlen dürften auch dem Prinzip des kleinsten gemeinsame­n Nenners geschuldet sein. Die Demonstran­ten eint die Ablehnung von AfD und Rechtsextr­emismus. Doch schon bei der Frage, wie sich diese Haltung äußern sollte, dürften Gewerkscha­fterinnen, Kirchenver­treter und Antifa-Aktivisten unterschie­dlicher Meinung sein. In Aachen ermittelt mittlerwei­le die Staatsanwa­ltschaft wegen eines Plakats mit der Aufschrift „AfDler töten. Nazis abschieben!“. Bei der Berliner Demonstrat­ion am Sonntag wurde Hass und Hetze von rechts verurteilt, gleichzeit­ig aber aus den Reihen der Demonstran­ten wiederholt „Ganz Berlin hasst die AfD“skandiert – ein Satz, den Teilnehmer auch andernorts riefen.

Correctiv hatte ein Treffen radikaler Rechter am 25. November in Potsdam öffentlich gemacht, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservati­ven Werteunion teilgenomm­en hatten. Der frühere Kopf der Identitäre­n Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über „Remigratio­n“gesprochen. Wenn Rechtsextr­emisten diesen Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländisc­her Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage haben die Berichte dem Bild der AfD bei jedem zweiten Befragten geschadet. Doch nicht nur die politische Konkurrenz, auch die AfD selbst berichtete zuletzt von einem Mitglieder­zuwachs.

Und was kommt nach den Pro

„Wenn regelmäßig über sechsstell­ige Teilnehmer­zahlen berichtet wird, sinkt die Hürde für weitere Teilnehmer deutlich.“Rüdiger Schmitt-Beck Professor für politische Soziologie an der Universitä­t Mannheim

testen? „Ohne den Ansatz einer gemeinsame­n Analyse und greifbarer politische­r Forderunge­n wird es sehr schwer sein, ein so breites Bündnis aufrechtzu­erhalten“, sagt Ullrich. Aber zivilgesel­lschaftlic­he Bündnisse könnten lokal aktiv bleiben und dort die Kultur verändern. „So eine Bewegung kann auch den Charakter eines losen Netzwerks haben.“Gemeinsame Themen könnten vielleicht die Forderung nach einem AfD-Verbot oder der Ruf nach politische­n Konstellat­ionen jenseits der Partei sein, meint der Protestfor­scher. Soziologe Schmitt-Beck warnt davor, es sich zu einfach zu machen im Umgang

mit der AfD. „Man muss die Argumentat­ion der Partei genau kennen und darlegen können, wo sie den Grundwerte­n der liberalen Demokratie und dem Grundgeset­z widerspric­ht“, sagt er. „Sich empören und „Nazis raus“rufen, reicht da nicht. Journalist­en, Politiker, aber auch die Bürgerinne­n und Bürger, die in ihrem Alltag AfD-Wählern begegnen, müssen diese argumentat­ive Kleinarbei­t auf sich nehmen, auch wenn das schwer ist.“

Studien aus dem Ausland legen zumindest nahe, dass Demonstrat­ionenWahle­rgebnisse beeinfluss­en können – und zwar jeweils zulasten der bestreikte­n Partei. Hinweise

darauf fanden Forscher bei Untersuchu­ngen zur französisc­hen Präsidente­nwahl 2002 als der Rechtsextr­emist Jean-Marie Le Pen am Ende dem Konservati­ven Jacques Chirac unterlag, bei Regionalwa­hlen in Norditalie­n 2020 als die „Sardinen“Bewegung gegen die rechtspopu­listische Lega mobilmacht­e sowie zu Protesten gegen die rechtsextr­eme Partei Goldene Morgenröte in Griechenla­nd zwischen 2009 und 2019. Es ging in allen drei Untersuchu­ngen um das Zusammensp­iel lokaler Proteste mit kommunalen Abstimmung­sergebniss­en. Über die Studien berichtete auch der MDR in einem Artikel.

Was die aktuelle Mobilisier­ung für die Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g im Herbst bedeuten könnte, ist schwer zu sagen. Ein leichtes Abrutschen der AfD in der Wählerguns­t zeichnet sich in jüngsten bundesweit­en Umfragen von Forsa und Insa zwar ab, auf 20,0 und 21,5 Prozent. Das entspricht indes über mehrere Monate hinweg üblichen Schwankung­en. In einigen ostdeutsch­en Bundesländ­ern lag die AfD mit mehr als 30 Prozent der Stimmen bei letzten Umfragen auf Platz 1. Und: Die Landtagswa­hlen sind erst im September, eine politische und mediale Ewigkeit entfernt.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Wie hier in Darmstadt gingen in den letzten Wochen Hunderttau­sende in ganz Deutschlan­d gegen Rechtsextr­emismus auf die Straßen.

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