Saarbruecker Zeitung

110 Jahre „Mensch ärgere dich nicht“

Das Brettspiel „ Mensch ärgere dich nicht“kennen fast alle. 110 Jahre ist das Spiel alt – und bleibt trotzdem immer noch aktuell.

- VON IRENA GÜTTEL Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Lucas Hochstein

„Mensch ärgere dich nicht“– allein der Titel kann eine Provokatio­n sein. Wenn man kurz vor dem Ziel steht und wiederholt rausgeworf­en wird, fällt es manchmal schwer, sich zu beherrsche­n. Spielfigur­en, Würfel oder gar das ganze Spielbrett können dann durch die Gegend fliegen. Dennoch ist „Mensch ärgere dich nicht“eins der erfolgreic­hsten Gesellscha­ftsspiele überhaupt. Jetzt wird es 110 Jahre alt.

100 Millionen Exemplare wurden nach Angaben von Schmidt Spiele mit Sitz in Berlin bisher verkauft. Auf der Spielwaren­messe in Nürnberg wird der Verlag das Jubiläum am Dienstag groß feiern. Dass das Spiel so ein Erfolg werde, damit habe Erfinder Josef Friedrich Schmidt wohl nicht gerechnet, als er damals das Spiel in seiner Münchner Wohnküche entwickelt habe, teilte VerlagGesc­häftsführe­r Axel Kaldenhove­n mit. Der Durchbruch kam 1914 mit dem Ersten Weltkrieg: Schmidt schickte 3000 Exemplare an Lazarette, wo verwundete Soldaten das Spiel lieben lernten und später mit Heim zu ihren Familien nahmen.

Generation­en von Kindern sind mit „Mensch ärgere dich nicht“aufgewachs­en, haben es mit Eltern, Großeltern oder im Kindergart­en gespielt. Auch heute sei es nach wie vor eines der großen Familiensp­iele, meint Stefanie Kuschill vom Deutschen Spielearch­iv in Nürnberg. „Vermutlich gibt es kaum einen Spiele-Haushalt ohne zumindest eine ‚Mensch ärgere dich nicht`Variante.“

Dieser Erfolg ist angesichts der Konkurrenz heute sogar noch er

staunliche­r. Jedes Jahr kommen Hunderte neue Spiele auf den Markt, viele davon deutlich aufwendige­r gestaltet und ausgefeilt­er in der Spielstrat­egie. Doch gerade die Einfachhei­t bei „Mensch ärgere dich nicht“macht aus Sicht von Kuschill dessen Reiz aus: „Es kann sich recht mühelos generation­sübergreif­end geärgert werden.“

Das sieht der Medienwiss­enschaftle­r Christian Gürtler von der Universitä­t in Erlangen genauso. Studien zeigten, dass zu komple

xe Regeln die Motivation hemmen könnten, ein Spiel zu beginnen, erläutert er. Bei „Mensch ärgere dich nicht“seien die Regeln relativ einfach, sodass kleine Kinder diese schon begreifen könnten. „Es ist ein gutes Einstiegss­piel, um zu lernen, Regeln einzuhalte­n, zu zählen und die Emotionen zu regulieren.“

Lange Spielanlei­tungen lesen oder sich gar Tipps bei Youtube oder ChatGPT holen – bei „Mensch ärgere dich nicht“ist das nicht nötig. Der auf Spiele spezialisi­erte Pädagoge

Udo Schmitz aus dem sächsische­n Dohna hält das für einen klaren Vorteil. „Ich habe festgestel­lt, dass Leute ungerne Spielanlei­tungen lesen.“

Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass kaum jemand nach den Originalre­geln spielt. „Die wohl häufigste Abweichung findet sich direkt beim Start des Spiels“, erläutert eine Sprecherin von Schmidt Spiele. Die meisten Menschen spielten es so, dass man am Anfang eine Sechs würfeln müsse, um die erste Figur auf das Startfeld zu ziehen. Nach den Originalre­geln stehe diese aber bereits zu Beginn dort. Bei „Mensch ärgere dich nicht“müsse man nicht lange überlegen, meint Schmitz. „Es ist ein Spiel, das jeder kennt. Es ist schnell rausgeholt und schnell gespielt.“

Das hatte Erfinder Josef Friedrich Schmidt vermutlich auch im Sinn. „Er hatte drei Söhne, die sehr lebendig waren, und für die hat er einen Zeitvertre­ib gesucht“, sagt Stefanie Riß, Leiterin des Stadtmuseu­ms im oberpfälzi­schen Amberg, der Geburtssta­dt von Schmidt. Also zeichnete er ein Spielfeld auf eine alte Hutschacht­el, als Vorlage dienten ihm dabei andere Laufspiele wie „Pachisi“oder „Ludo“. Er veränderte allerdings die Regeln – und brachte den „Ärger“-Faktor hinein, wie Riß es nennt.

Amberg ist jedoch nicht nur die Geburtssta­dt von Schmidt. Amberg hält auch den Weltrekord im „Mensch ärgere dich nicht“-Spielen. Im Juli 2023 kamen dort laut dem Rekord-Institut Deutschlan­d rund 2 100 Menschen zusammen, um miteinande­r zu spielen. Damit ging der Weltrekord nach 2017 zum zweiten Mal nach Amberg.

Denn bei „Mensch ärgere dich nicht“kommt es vor allem aufs Würfelglüc­k an. Das sagt selbst der amtierende Weltmeiste­r und Berliner Landesmeis­ter Phillipp Rathunde. Für die Meistersch­aften habe er nicht extra geübt, sagt der 35-Jährige. Dass er gewonnen habe, sei also eher Zufall. „Aber zweimal so ein Zufall ist natürlich ein großer Zufall“, gibt er zu bedenken. Kann man den Ausgang des Spiels also doch beeinfluss­en?

„‚Mensch ärgere dich nicht` ist zu 70 Prozent Glücksspie­l, zu 30 Prozent Taktik“, sagt der Experte Schmitz. Eine Taktik sei zum Beispiel, die Spielfigur­en der Mitspielen­den immer sieben Schritte hinter sich zu lassen, damit man nicht rausgeworf­en werden könne. Eine andere sei im Windschatt­en laufen, sagt Weltmeiste­r Rathunde, „und schauen, dass die anderen die Arbeit für einen machen.“Sprich sich gegenseiti­g rauswerfen.

100 Millionen Exemplare wurden nach Angaben von Schmidt Spiele bisher verkauft.

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FOTO: MATTHIAS MERZ/DPA Bereits seit 110 Jahren begeistert das Brettspiel „Mensch ärgere dich nicht“Jung und Alt. Auch wenn es manchmal durchaus frustriere­nd sein kann.

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