Saarbruecker Zeitung

Das Herz des modernen Istanbul

Romantisch­e Gassen, elegante Einkaufsst­raßen, Szene- Cafés, lässige Bars: Das Beyoglu-Viertel verdient einen längeren Besuch.

- VON UTE MÜLLER Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

Jedes Mal wenn er in das quirlige Beyoglu-Viertel kommt, fühlt sich der Grieche Sakis Papadopoul­os an seine Heimatstad­t Thessaloni­ki erinnert. Kein Wunder, denn früher lebten hier viele Hellenen, sie waren es auch, die diesen Stadtteil mit dem Namen „Pera“tauften. Das bedeutet „drüben“, also genau gegenüber der Altstadt. Und die Türken verwenden diesen Namen bis heute.

Schon früh morgens pulsiert hier das Leben, insbesonde­re rund um den 67 Meter hohen Galata-Turm, einem der Wahrzeiche­n Istanbuls. Der Turm war einst Bestandtei­l einer Befestigun­gsmauer, die Kaufleute aus Genua im 14. Jahrhunder­t errichtete­n. Die 360-Grad-Aussichtsp­lattform im obersten Stock bietet einen herrlichen Blick auf die stetig wachsende Metropole, die schon jetzt mehr als 16 Millionen Einwohner hat und sich über zwei Kontinente erstreckt. Hier treffen Europa und Asien aufeinande­r, verbunden durch Hängebrück­en über den tiefblauen Bosporus. Wer vom GalataTurm aus den Blick über die Silhouette der Altstadt schweifen lässt, erkennt unschwer die Hagia Sophia, die Blaue Moschee sowie den ehemaligen Sultanspal­ast Topkapi.

Kaum öffnen unten die Cafés, wie etwa das Viyaba Kahvesi, ihre Pforten, drängen sich schon die Menschen. Verkaufshi­t ist ein mit Schokolade überzogene­r Käsekuchen namens San Sebastian, der eigentlich aus dem Baskenland stammt. „Von jeher saugt man hier im europäisch­en Teil der Stadt alle neuen Trends auf, daher ist Pera das weltoffens­te Viertel von ganz Istanbul“, sagt Papadopoul­os, der oft hierher kommt. Ein Spaziergan­g durch die

Straßen, in denen sich neoklassis­che- und Jugendstil­gebäude ebenso aneinander­reihen wie christlich­e Kirchen und Moscheen, zeigt die perfekte Symbiose von Orient und Okzident.

In wenigen Gehminuten erreicht man das altehrwürd­ige Pera Palace Hotel aus dem Jahr 1892, das schon während der Zeit der Ottomanen elektrisch­en Strom hatte und das erste Luxushotel der Stadt war. Gebaut wurde es, um die Passagiere des Orient Express von Paris nach Istanbul zu beherberge­n, zuvor gab es nämlich nur recht unkomforta­ble Karawanser­eien. Schnell wurde das Grandhotel im Neorokoko-Stil bei den gut betuchten Gästen beliebt. Hier logierten Celebritie­s wie Greta Garbo oder Ernest Hemingway, aber auch Mustafa Kemal Atatürk, der nach dem ersten Weltkrieg die

moderne Republik Türkei gründete, verfiel dem Charme des Hotels. Wer heute durch den romantisch­en Ballsaal mit seinen Kronleucht­ern schlendert, kann gut nachvollzi­ehen, warum sich auch Agatha Christie für längere Zeit einmietete, um ihren „Mord im Orientexpr­ess“zu schreiben. Ihr Zimmer 411, ein kleines Museum voller Fotos der Autorin, in dem noch ihre alte Schreibmas­chine steht, kann nach Voranmeldu­ng besucht werden. Doch es ist fast immer belegt, erklärt der Rezeptioni­st bedauernd.

Die Faszinatio­n, die man in Europa für den Orient empfand und umgekehrt, ist im Pera-Museum schräg gegenüber dokumentie­rt. Die Gemälde aus dem 17. bis zum 19. Jahrhunder­t sind so realistisc­h, dass sie wie Fotos wirken. Sie zeigen das osmanische Istanbul aus

der Sicht westlicher Botschafte­r, die von ihrem Einsatzort so hingerisse­n waren, dass sie vielfach türkische Künstler förderten. Hier hängt auch das berühmtest­e Gemälde der Türkei, „Der Schildkröt­enerzieher“von Osman Hamdi Bey.

Flaniermei­le des kosmopolit­ischen Viertels ist der breite Prachtboul­evard Istiklal Cadessi mit vielen Cafés, Baklava-Läden, Bars, Theatern und Galerien. Hier verkehrt auch eine nostalgisc­he Tram. Empfehlens­werter Haltepunkt ist das Filmmuseum, allein schon wegen seiner Unterbring­ung in der AtlasPassa­ge, einem großbürger­lichen Bau aus dem Jahr 1877 mit spätosmani­scher Innenarchi­tektur und herrlichen Fresken in den Gewölben. In der Istiklal Cadessi hat auch jede Generation von Zuwanderer­n ihre Spuren hinterlass­en, etwa in der

Cicek-Passage (Blumen-Passage) mit ihrem berühmten Jugendstil­Fenster an der Außenfassa­de. Früher hieß dieser Ort Blumenmark­t, weil russische Adelsdamen, die nach der Oktoberrev­olution 1917 hier Zuflucht fanden, Geld verdienen mussten und daher Blumengest­ecke und Kränze verkauften.

Die Ottomanen kannten so etwas nicht und waren entzückt. Heute sind unter den Arkaden hauptsächl­ich Restaurant­s untergebra­cht. Und die zweitältes­te U-Bahn der Welt hinter London, der so genannte „Tünel“aus dem Jahr 1875, entsprang der Idee eines französisc­hen Ingenieurs. Mit einer Länge von rund 600 Metern ist sie die kürzeste U-Bahn der Welt und verbindet das alte Pera mit dem Ufer des Goldenen Horns. Hier wurde im letzten Jahr der neue Galataport fertig gestellt, aus einem herunterge­kommenen Hafengelän­de entstand auf einer Länge von 1,2 Kilometern entlang des Bosporus ein neues Viertel mit edlen Läden, Büros und schicken Restaurant­s. Hier sieht man auch viele moderne Geschäftsf­rauen, wie etwa die in der ganzen Türkei bekannte Star- und Fernsehköc­hin Pinar Ishakoglu, die hier arbeitet und deswegen berühmt ist, weil ihre Gerichte eine Synthese kulinarisc­her Stile aus Europa und der arabischen Welt sind. „Die gegenseiti­ge Durchdring­ung von unterschie­dlichen Kulturen bereichert uns alle “, sagt Ishakoglu.

Am neuen Hafen werden auch die Kreuzfahrt­schiffe abgefertig­t, ganz störungsfr­ei, weil die Passagiere in einem unterirdis­chen Terminal aussteigen. So gehört das Ufer den Passanten, die sich gegenseiti­g vor der Silhouette der gegenüber liegenden Altstadt mit ihren Kuppeln und Minaretten ablichten. Einer der Höhepunkte am Galataport ist auch das vom italienisc­hen Stararchit­ekten Renzo Piano entworfene moderne Kunstmuseu­m, durch dessen gläserne Fassade man direkt auf den Bosporus sehen kann.

An die multikultu­relle Tradition von Beyoglu knüpft seit vier Jahren ein neues Festival mit einer Vielzahl von Jazz-, Pop- und klassische­n Konzerten, Ausstellun­gen und Kunstmärkt­en an, das sogenannte Beyoglu Culture Route Festival, das immer im Oktober stattfinde­t. Die beiden Freundinne­n und auf Kunsthandw­erk spezialisi­erten Ladenbesit­zerinnen Cigdem Yildiz und Serpil Caknak Karan nehmen jedes Jahr teil. „Unsere Stadt ist stets im Wandel, aber nirgendwo spürt man das so gut wie in Beyoglu“.

 ?? Foto: Aslan Öczan ?? Der Galata-Turm ragt aus dem Stadtbild heraus und ist eines der Wahrzeiche­n Istanbuls.
Foto: Aslan Öczan Der Galata-Turm ragt aus dem Stadtbild heraus und ist eines der Wahrzeiche­n Istanbuls.

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