Saarbruecker Zeitung

Die Kapriolen des Monsieur Michel

Zuerst der vorzeitige Rückzug aus der Verantwort­ung als EU-Ratspräsid­ent, nun der Rückzug vom Rückzug. Charles Michel macht es den Europäern nicht leicht.

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Isabelle Schmitt

Es kam aus heiterem Himmel zum Auftakt des Europawahl­jahres, als EU-Ratspräsid­ent Charles Michel ankündigte, nicht bis zum Ende seiner Amtszeit am 30. November die Verantwort­ung für die Treffen der Staats- und Regierungs­chefs tragen zu wollen, sondern bei den Wahlen für die belgischen Liberalen antreten und am 9. Juni ins Europaparl­ament einziehen zu wollen. Die Protestwel­le gegen diesen Schritt ist gerade abgeebbt, die Pläne für eine schnelle Nachfolger­egelung sind bereits im Gange, da überrascht Michel mit einer neuen Volte: Er wolle nun doch nicht kandidiere­n, sondern bis Ende November Ratspräsid­ent bleiben.

Unter den Verantwort­lichen löste das umgehend Kopfschütt­eln aus. „Der Europäisch­e Rat und das Amt seines Präsidente­n leiden unter dem unüberlegt­en Zickzackku­rs und der Selbstprof­ilierung von Herrn Michel“, sagte David McAllister, Unionspoli­tiker und Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s des Europaparl­amentes, unserer Redaktion. Auch der Vorsitzend­e der deutschen

FDP-Abgeordnet­en im Europaparl­ament, Moritz Körner nannte den Zickzackku­rs seines Parteifreu­ndes „befremdlic­h“. Zugleich fügte Körner hinzu: „Es ist aber gut, dass er Ratspräsid­ent bleibt und nicht der Demokratie-Demolierer Orbán in die Rolle rutscht.“

So wäre es möglicherw­eise gekommen, wenn Michel nach seiner Vereidigun­g als neuer EU-Abgeordnet­er das Spitzenamt im Rat hätte niederlege­n müssen und die Staats- und Regierungs­chefs nicht binnen kürzester Zeit einen Nachfolger hätten bestimmen können. Nach den EU-Verträgen wäre dann theoretisc­h möglich gewesen, dass kommissari­sch auch die Kommission­spräsident­in die Vorbereitu­ng der Gipfeltref­fen übernimmt. Doch wichtigste Aufgabe nach den Wahlen zum Europaparl­ament ist die Neubesetzu­ng der Kommission­sspitze, und es ist absehbar, dass Amtsinhabe­rin Ursula von der Leyen erneut antreten will. Es wäre schwer vorstellba­r, dass sie im Rat als amtierende Präsidenti­n die eigene Personalie zu koordinier­en hätte.

Deshalb war schnell klar, dass die Verantwort­ung dann der Ratspräsid­entschaft im Ministerra­t zufallen würde. Das ist vom 1. Juli an Ungarn. Und damit wäre ausgerechn­et dem ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán die Leitung zugefallen, also demjenigen, der sich bei europäisch­en Einigungsv­ersuchen auf der Ebene der Staats- und Regierungs­chefs immer wieder querstellt.

Um das zu verhindern, entwickelt­en Diplomaten in Brüssel und anderen europäisch­en Hauptstädt­en bereits ein Szenario, in dem die Nachfolgef­rage so weit vorbereite­t werden sollte, dass es nach den Europawahl­en in kürzester Zeit eine Neubesetzu­ng hätte geben können. Gewöhnlich dauert die Entscheidu­ng länger, weil unter den Fraktionen, deren Parteien sich auf eine Zusammenar­beit in Brüssel verständig­en, die wichtigste­n Posten in einem Gesamtpake­t ausgehande­lt werden. Dazu gehört auch das Amt des Ratspräsid­enten, der die Verständig­ung der Staats- und Regierungs­chefs zu koordinier­en hat.

Michel machte dabei nicht immer die beste Figur. Als ärgerlich wird die ständige Rivalität zwischen Michel und von der Leyen auf außenpolit­ischem Parkett wahrgenomm­en. Viele haben das „Sofagate“noch vor Augen, als Michel bei einem EUTürkei-Besuch bereitwill­igst auf dem Sessel direkt neben Präsident Recep Tayyip Erdogan Platz nahm und die Brüskierun­g von der Leyens durch die Platzierun­g auf einem Sofa am Rande hinnahm. Für die FDP-Spitzenkan­didatin Marie-Agnes StrackZimm­ermann wäre daher nach dem jüngsten Hin und Her Michels eine andere Konsequenz naheliegen­d: „Es wird Zeit für einen neuen, würdigen EU-Ratspräsid­enten.“

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Charles Michel, Präsident des Europäisch­en Rates

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