Die große Show der Sahra Wagenknecht
Das erst vor wenigen Wochen gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht kommt am Samstag zum ersten Parteitag nach Berlin. Es stehen wichtige Entscheidungen an. Und die Parteivorsitzende teilt in ihrer Rede, die im Mittelpunkt der Veranstaltung steht, gleich so
Irgendwie passt der Ort ganz gut. Ein ehemaliges DDR-Kino in der Karl-Marx-Allee in der Mitte Berlins. Es ist der Ort, an dem sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) am Samstag zum ersten Parteitag trifft. Die Parteigründerin, die ehemalige Linke-Fraktionschefin, Sahra Wagenknecht zieht am Samstagmorgen dann auch ein wenig wie ein Filmstar in das Kino ein. Sie betritt, ganz in Rot gekleidet, den Saal, kurz dahinter ihr Ehemann Oskar Lafontaine. Der ehemalige SPD- und Linke-Politiker trat in den vergangenen Tagen dem Bündnis seiner Frau ebenfalls bei. Seit an Seit sitzen sie in der ersten Reihe, immer wieder beugt sich Lafontaine herüber und gibt seiner Frau leise Regieanweisungen.
Wagenknecht ist der Star des Parteitags, der Stern der Partei. Um kurz nach zwölf Uhr setzt die 54 Jahre alte Politikerin dann zu ihrer Rede an: Sie wird 31 Minuten dauern und vor allem ein Abarbeiten an der AmpelRegierung, dem Establishment und dem Krieg in der Ukraine sein. Es wird eine Dagegen-Rede. Aber der Reihe nach:
„Wir sind keine Linke 2.0. Das muss auch für unseren Umgang miteinander gelten. Lasst uns eine Partei des Miteinanders werden und nicht eine Partei der Intrigen und des Postengeschachers wie alle anderen“, betont Wagenknecht zu Beginn. Es sollten vielmehr Strukturen im BSW geschaffen werden, in denen sich nicht die Rücksichtslosesten und Intrigantesten durchsetzen, sondern die Talentiertesten und Besten. Wagenknecht ruft die Mitglieder dazu auf, pfleglich miteinander umzugehen – das müsse das Credo sein. Manch einer in der ehemaligen Fraktion der Linken wird sich bei diesen Worten erstaunt die Augen reiben. War doch Wagenknecht in der Vergangenheit an den heftigen Streitereien innerhalb der Linkspartei oft beteiligt, häufig auch der Anlass des Streits.
Viele Menschen seien politisch heimatlos geworden und in den Medien nicht richtig wiedergegeben, beschreibt Wagenknecht den Grund für die neue Partei. Sie kritisiert, dass viele Demonstrationen in Medien zu schnell in die rechte Ecke gestellt würden. „Das Werben für Frieden – rechts, die Verteidigung der Bauernhöfe – rechts, die Kritik an Schulschließungen und Konformitätsdruck in der Corona-Zeit – rechts, die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung und die Sorge vor islamistischen Parallelgesellschaften – rechts.“
Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nennt sie die „dümmste Regierung in Europa“, CDU-Chef Friedrich Merz als Kanzler sei aber nicht das kleinere Übel. Der sei immer im Privatflieger in Deutschland unterwegs und wisse nicht, wie es den Menschen gehe. Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang, die in einer Fernseh-Sendung über die Höhe der deutschen Durchschnittsrente gestolpert war, bekommt Spott von Wagenknecht ab. Die langjährige Linken-Politikerin selbst lebt selbst in privilegierter Wohngegend im Saarland, zusammen mit Lafontaine, dem ehemaligen Saar-Ministerpräsidenten.
Von der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP und Kanzler Olaf Scholz (SPD) fordert Wagenknecht, die Belastungen für Landwirte müssten komplett zurückgenommen werden. Außerdem müssten Waffenexporte in die Ukraine gestoppt werden. Die Regierung will zusammen mit Nato-Partnern die Ukraine stärken in ihrem Kampf gegen den Angriff Russlands. Wagenknecht sagt, der Krieg könne auf dem Verhandlungsweg beendet
werden und zwar schnell. Auch die Sanktionen gegen Russland ebenso wie der Stopp russischer Gaslieferungen müssten zurückgenommen werden. Der Satz, Russland solle sich aus der Ukraine zurückziehen für einen Frieden, kommt ihr allerdings nicht über die Lippen.
Insgesamt präsentiert sich das BSW bei seinem ersten Parteitag als Sammelbecken für Unzufriedene aus dem gesamten politischen Spektrum. Ausdrücklich wird auch um Anhänger der rechtspopulistischen AfD geworben, allerdings wolle man bei der Aufnahme neuer Mitglieder genau hinschauen. Die Partei hatte sich Anfang Januar gegründet und Sahra Wagenknecht und die frühere Linksfraktions-Chefin Amira Mohamed Ali zu Vorsitzenden gewählt. Am Samstag wird der Parteivorstand dann mit der Berlinerin Friederike
Benda und Amid Rabieh aus Nordrhein-Westfalen komplettiert. Dritter Parteivize ist der Wirtschaftswissenschaftler Shervin Haghsheno.
Die Kandidatenliste für die Europawahl am 9. Juni wird von dem früheren Linken-Politiker Fabio de Masi und dem ehemaligen SPDOberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, angeführt. De Masi wurde mit 97,6 Prozent auf Listenplatz eins gewählt, Geisel belegt mit eher schwachen 71,9 Prozent den zweiten Platz.
Am Abend dann spricht der frühere SPD- und Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Manch einer im Saal munkelt, dass er die eigentliche Triebfeder hinter der Parteigründung seiner Frau ist. „Der Oskar will noch einmal in die politische Landschaft eingreifen“, sagt ein Weggefährte über den 80-Jährigen. Und Lafon
taine holt dann auch nochmal aus, übt scharfe Kritik an der israelischen Kriegsführung seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas. „Für mich ist das, was im Gazastreifen geschieht, ein Kriegsverbrechen.“Zwar sei das Gedenken an den von Deutschen verübten Holocaust Verpflichtung, ebenso für das Lebensrecht von Juden einzutreten. Das gelte aber auch für das Lebensrecht der Palästinenser. Die Bundesregierung genüge diesem moralischen Imperativ nicht. Er fordert Friedensverhandlungen nicht nur für diesen Konflikt, sondern auch für die Ukraine. Es sei für Deutschland verwerflich, „Waffen zu liefern, mit denen wieder Russen ermordet werden können“. Kritik am Auslöser des Kriegs, dem russischen Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren, kommt auch bei Lafontaine nicht vor.