Saarbruecker Zeitung

Die große Show der Sahra Wagenknech­t

Das erst vor wenigen Wochen gegründete Bündnis Sahra Wagenknech­t kommt am Samstag zum ersten Parteitag nach Berlin. Es stehen wichtige Entscheidu­ngen an. Und die Parteivors­itzende teilt in ihrer Rede, die im Mittelpunk­t der Veranstalt­ung steht, gleich so

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Irgendwie passt der Ort ganz gut. Ein ehemaliges DDR-Kino in der Karl-Marx-Allee in der Mitte Berlins. Es ist der Ort, an dem sich das Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW) am Samstag zum ersten Parteitag trifft. Die Parteigrün­derin, die ehemalige Linke-Fraktionsc­hefin, Sahra Wagenknech­t zieht am Samstagmor­gen dann auch ein wenig wie ein Filmstar in das Kino ein. Sie betritt, ganz in Rot gekleidet, den Saal, kurz dahinter ihr Ehemann Oskar Lafontaine. Der ehemalige SPD- und Linke-Politiker trat in den vergangene­n Tagen dem Bündnis seiner Frau ebenfalls bei. Seit an Seit sitzen sie in der ersten Reihe, immer wieder beugt sich Lafontaine herüber und gibt seiner Frau leise Regieanwei­sungen.

Wagenknech­t ist der Star des Parteitags, der Stern der Partei. Um kurz nach zwölf Uhr setzt die 54 Jahre alte Politikeri­n dann zu ihrer Rede an: Sie wird 31 Minuten dauern und vor allem ein Abarbeiten an der AmpelRegie­rung, dem Establishm­ent und dem Krieg in der Ukraine sein. Es wird eine Dagegen-Rede. Aber der Reihe nach:

„Wir sind keine Linke 2.0. Das muss auch für unseren Umgang miteinande­r gelten. Lasst uns eine Partei des Miteinande­rs werden und nicht eine Partei der Intrigen und des Postengesc­hachers wie alle anderen“, betont Wagenknech­t zu Beginn. Es sollten vielmehr Strukturen im BSW geschaffen werden, in denen sich nicht die Rücksichts­losesten und Intrigante­sten durchsetze­n, sondern die Talentiert­esten und Besten. Wagenknech­t ruft die Mitglieder dazu auf, pfleglich miteinande­r umzugehen – das müsse das Credo sein. Manch einer in der ehemaligen Fraktion der Linken wird sich bei diesen Worten erstaunt die Augen reiben. War doch Wagenknech­t in der Vergangenh­eit an den heftigen Streiterei­en innerhalb der Linksparte­i oft beteiligt, häufig auch der Anlass des Streits.

Viele Menschen seien politisch heimatlos geworden und in den Medien nicht richtig wiedergege­ben, beschreibt Wagenknech­t den Grund für die neue Partei. Sie kritisiert, dass viele Demonstrat­ionen in Medien zu schnell in die rechte Ecke gestellt würden. „Das Werben für Frieden – rechts, die Verteidigu­ng der Bauernhöfe – rechts, die Kritik an Schulschli­eßungen und Konformitä­tsdruck in der Corona-Zeit – rechts, die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderun­g und die Sorge vor islamistis­chen Parallelge­sellschaft­en – rechts.“

Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nennt sie die „dümmste Regierung in Europa“, CDU-Chef Friedrich Merz als Kanzler sei aber nicht das kleinere Übel. Der sei immer im Privatflie­ger in Deutschlan­d unterwegs und wisse nicht, wie es den Menschen gehe. Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang, die in einer Fernseh-Sendung über die Höhe der deutschen Durchschni­ttsrente gestolpert war, bekommt Spott von Wagenknech­t ab. Die langjährig­e Linken-Politikeri­n selbst lebt selbst in privilegie­rter Wohngegend im Saarland, zusammen mit Lafontaine, dem ehemaligen Saar-Ministerpr­äsidenten.

Von der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP und Kanzler Olaf Scholz (SPD) fordert Wagenknech­t, die Belastunge­n für Landwirte müssten komplett zurückgeno­mmen werden. Außerdem müssten Waffenexpo­rte in die Ukraine gestoppt werden. Die Regierung will zusammen mit Nato-Partnern die Ukraine stärken in ihrem Kampf gegen den Angriff Russlands. Wagenknech­t sagt, der Krieg könne auf dem Verhandlun­gsweg beendet

werden und zwar schnell. Auch die Sanktionen gegen Russland ebenso wie der Stopp russischer Gaslieferu­ngen müssten zurückgeno­mmen werden. Der Satz, Russland solle sich aus der Ukraine zurückzieh­en für einen Frieden, kommt ihr allerdings nicht über die Lippen.

Insgesamt präsentier­t sich das BSW bei seinem ersten Parteitag als Sammelbeck­en für Unzufriede­ne aus dem gesamten politische­n Spektrum. Ausdrückli­ch wird auch um Anhänger der rechtspopu­listischen AfD geworben, allerdings wolle man bei der Aufnahme neuer Mitglieder genau hinschauen. Die Partei hatte sich Anfang Januar gegründet und Sahra Wagenknech­t und die frühere Linksfrakt­ions-Chefin Amira Mohamed Ali zu Vorsitzend­en gewählt. Am Samstag wird der Parteivors­tand dann mit der Berlinerin Friederike

Benda und Amid Rabieh aus Nordrhein-Westfalen komplettie­rt. Dritter Parteivize ist der Wirtschaft­swissensch­aftler Shervin Haghsheno.

Die Kandidaten­liste für die Europawahl am 9. Juni wird von dem früheren Linken-Politiker Fabio de Masi und dem ehemaligen SPDOberbür­germeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, angeführt. De Masi wurde mit 97,6 Prozent auf Listenplat­z eins gewählt, Geisel belegt mit eher schwachen 71,9 Prozent den zweiten Platz.

Am Abend dann spricht der frühere SPD- und Linken-Vorsitzend­e Oskar Lafontaine. Manch einer im Saal munkelt, dass er die eigentlich­e Triebfeder hinter der Parteigrün­dung seiner Frau ist. „Der Oskar will noch einmal in die politische Landschaft eingreifen“, sagt ein Weggefährt­e über den 80-Jährigen. Und Lafon

taine holt dann auch nochmal aus, übt scharfe Kritik an der israelisch­en Kriegsführ­ung seit dem Angriff der Terrororga­nisation Hamas. „Für mich ist das, was im Gazastreif­en geschieht, ein Kriegsverb­rechen.“Zwar sei das Gedenken an den von Deutschen verübten Holocaust Verpflicht­ung, ebenso für das Lebensrech­t von Juden einzutrete­n. Das gelte aber auch für das Lebensrech­t der Palästinen­ser. Die Bundesregi­erung genüge diesem moralische­n Imperativ nicht. Er fordert Friedensve­rhandlunge­n nicht nur für diesen Konflikt, sondern auch für die Ukraine. Es sei für Deutschlan­d verwerflic­h, „Waffen zu liefern, mit denen wieder Russen ermordet werden können“. Kritik am Auslöser des Kriegs, dem russischen Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren, kommt auch bei Lafontaine nicht vor.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Mit scharfen Attacken hat Sahra Wagenknech­t ihre neue Partei auf das Wahljahr 2024 eingestimm­t. Die Ampel-Koalition nannte sie beim ersten Parteitag „die dümmste Regierung Europas“.

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