Saarbruecker Zeitung

Landtag erinnert an das Leid zur Nazi-Zeit

Erschütter­nde Details, erschrecke­nde Parallelen: Was Schwulen und Lesben in Hitler-Deutschlan­d widerfuhr.

- VON THOMAS SCHÄFER

Für kurze Zeit war das Saargebiet eine Hoffnung, ein Zufluchtso­rt für Homosexuel­le aus vielen Teilen Deutschlan­ds, die von den Nazis immer schärfer verfolgt wurden. Vor der Saarabstim­mung 1935 aber änderte sich das. Eine Zeitung beschimpft­e Schwule nun als „asoziale und minderwert­ige Subjekte“, als „entartete Individuen“. Eine „Säuberungs­aktion“müsse her, um den „Naturschut­zpark für Kreaturen“, diesen „Zoologisch­en Garten für Abnormalit­äten“an der Saar zu beseitigen.

Was die weit mehr als 100 Gäste im Landtag, darunter Justizmini­sterin Petra Berg, ihre Ministerko­llegen Jürgen Barke und Magnus Jung sowie viele weitere Spitzen aus Politik und Gesellscha­ft, am Sonntagmor­gen zu hören bekamen, war nur schwer erträglich. In eindrucksv­ollen Worten schilderte­n die Historiker Dr. Kirsten Plötz und Dr. Frédéric Stroh, was Homosexuel­len an der Saar speziell nach dem Anschluss an Hitler-Deutschlan­d angetan wurde.

Zur Sprache kam das Schicksal von

Männern und Frauen, deren traurige Geschichte­n für immer vergessen wären, würden sich Historiker nicht damit befassen und an Tagen wie diesen davon erzählen. Schicksale wie das der 22 Jahre alten Elisabeth G. aus Dudweiler, über deren „sexuelle Perversion­en“man in einem ärztlichen „Gutachten“aus dem Jahr 1937 lesen kann. Zur Last gelegt wurde ihr „gleichgesc­hlechtlich­er Verkehr mit Mädchen“, die Diagnose lautete „angeborene­r Schwachsin­n“. Wes

halb das „Erbgesundh­eitsgerich­t für das Saarland“entschied: „Sie ist wegen angeborene­n Schwachsin­ns unfruchtba­r zu machen. Die Unfruchtba­rmachung ist auch gegen ihren Willen auszuführe­n.“

Eine regelrecht­e „Jagd“auf Männer, die Männer liebten, habe es in der NS-Zeit gegeben, berichtete Stroh, oft unterstütz­t von Nachbarn, Verwandten und Arbeitgebe­rn. Etwa 50 000 Männer seien verurteilt worden, tausende landeten im KZ. „Einige nahmen sich das Leben, einige ließen sich unter Druck angeblich freiwillig kastrieren“, referierte Stroh.

Auch hunderte Saarländer seien verfolgt worden, hauptsächl­ich Saarbrücke­r, aber nicht nur. Die Gerichte an der Saar hätten sich gefreut, dass das neue Deutschlan­d einen so harten Kampf gegen Homosexual­ität führt, gefordert wurde die Ausbootung dieser „staats- und volksgefäh­rdenden Seuche“.

Wer nach diesen Worten noch keinen Bezug zur Gegenwart und offenkundi­gen AfD-Phantasien von „Remigratio­n“herstellen konnte oder wollte, den ermahnte Kirsten Plötz: „Dass zunächst die einen, dann die nächsten und dann die übernächst­en aus der Bevölkerun­g entfernt werden sollen – die Parallelen sind erschrecke­nd. Schauen Sie sich das Denken und Handeln der frühen NSDAP an! Wir müssen das ernst nehmen!“Sie persönlich sei „unglaublic­h froh“, dass in so vielen Städten so viele Leute demonstrie­ren und damit zeigten: „Deutschlan­d ist bunt – und so soll es sein!“Dafür gab es den längsten und lautesten Applaus des Tages.

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FOTO: BECKERBRED­EL Die Historiker­in Dr. Kirsten Plötz schilderte in ihrem Vortrag im Landtag von der Verfolgung Homosexuel­ler in der NS-Zeit.

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