Landtag erinnert an das Leid zur Nazi-Zeit
Erschütternde Details, erschreckende Parallelen: Was Schwulen und Lesben in Hitler-Deutschland widerfuhr.
Für kurze Zeit war das Saargebiet eine Hoffnung, ein Zufluchtsort für Homosexuelle aus vielen Teilen Deutschlands, die von den Nazis immer schärfer verfolgt wurden. Vor der Saarabstimmung 1935 aber änderte sich das. Eine Zeitung beschimpfte Schwule nun als „asoziale und minderwertige Subjekte“, als „entartete Individuen“. Eine „Säuberungsaktion“müsse her, um den „Naturschutzpark für Kreaturen“, diesen „Zoologischen Garten für Abnormalitäten“an der Saar zu beseitigen.
Was die weit mehr als 100 Gäste im Landtag, darunter Justizministerin Petra Berg, ihre Ministerkollegen Jürgen Barke und Magnus Jung sowie viele weitere Spitzen aus Politik und Gesellschaft, am Sonntagmorgen zu hören bekamen, war nur schwer erträglich. In eindrucksvollen Worten schilderten die Historiker Dr. Kirsten Plötz und Dr. Frédéric Stroh, was Homosexuellen an der Saar speziell nach dem Anschluss an Hitler-Deutschland angetan wurde.
Zur Sprache kam das Schicksal von
Männern und Frauen, deren traurige Geschichten für immer vergessen wären, würden sich Historiker nicht damit befassen und an Tagen wie diesen davon erzählen. Schicksale wie das der 22 Jahre alten Elisabeth G. aus Dudweiler, über deren „sexuelle Perversionen“man in einem ärztlichen „Gutachten“aus dem Jahr 1937 lesen kann. Zur Last gelegt wurde ihr „gleichgeschlechtlicher Verkehr mit Mädchen“, die Diagnose lautete „angeborener Schwachsinn“. Wes
halb das „Erbgesundheitsgericht für das Saarland“entschied: „Sie ist wegen angeborenen Schwachsinns unfruchtbar zu machen. Die Unfruchtbarmachung ist auch gegen ihren Willen auszuführen.“
Eine regelrechte „Jagd“auf Männer, die Männer liebten, habe es in der NS-Zeit gegeben, berichtete Stroh, oft unterstützt von Nachbarn, Verwandten und Arbeitgebern. Etwa 50 000 Männer seien verurteilt worden, tausende landeten im KZ. „Einige nahmen sich das Leben, einige ließen sich unter Druck angeblich freiwillig kastrieren“, referierte Stroh.
Auch hunderte Saarländer seien verfolgt worden, hauptsächlich Saarbrücker, aber nicht nur. Die Gerichte an der Saar hätten sich gefreut, dass das neue Deutschland einen so harten Kampf gegen Homosexualität führt, gefordert wurde die Ausbootung dieser „staats- und volksgefährdenden Seuche“.
Wer nach diesen Worten noch keinen Bezug zur Gegenwart und offenkundigen AfD-Phantasien von „Remigration“herstellen konnte oder wollte, den ermahnte Kirsten Plötz: „Dass zunächst die einen, dann die nächsten und dann die übernächsten aus der Bevölkerung entfernt werden sollen – die Parallelen sind erschreckend. Schauen Sie sich das Denken und Handeln der frühen NSDAP an! Wir müssen das ernst nehmen!“Sie persönlich sei „unglaublich froh“, dass in so vielen Städten so viele Leute demonstrieren und damit zeigten: „Deutschland ist bunt – und so soll es sein!“Dafür gab es den längsten und lautesten Applaus des Tages.