Saarbruecker Zeitung

Wie es ist, als Jude in Saarbrücke­n zu leben

Polizeisch­utz vor der Synagoge, ein Klingelsch­ild ohne Namen und Bekannte, die Mord und Terror verharmlos­en: Für viele Juden gehört das zum Alltag. Im Gespräch mit der SZ erzählt ein Saarbrücke­r seine Geschichte.

- VON ALINE PABST Produktion dieser Seite: Frank Kohler Markus Saeftel

David M. ist ein zurückhalt­ender Mensch. Das sagt er selbst über sich. Und man merkt es auch, wenn man mit ihm redet: Seine Stimme ist ruhig, er denkt erst nach, bevor er antwortet. David M. ist 37, lebt seit dem Studium in Saarbrücke­n, arbeitet als Projektman­ager und engagiert sich sozial. Eigentlich heißt er anders, doch seinen echten Namen will er lieber nicht in der Zeitung sehen. Auch fotografie­ren lassen möchte er sich nicht. Denn David M. ist außerdem Jude – und das ist gefährlich, sagt er. Selbst hier und heute, mitten in Saarbrücke­n.

David M. wurde in der Ukraine geboren, als diese noch Teil der UdSSR war. „Eine Diktatur“, betont er. In der Sowjetunio­n waren Juden großen Repression­en ausgesetzt. Der Vermerk „Jude“stand in sowjetisch­en Pässen unter „Nationalit­ät“, den Glauben offen auszuleben war unmöglich. „Die einzige Religion war die Partei.“Geprägt von dieser Erfahrung haben seine Eltern M. erzogen. Sich bedeckt halten, nicht darüber reden – das ziehe sich wie ein roter Faden durch die Familienge­schichte.

Strenggläu­big ist David M. nicht. „Ich glaube aber schon an eine höhere Macht“, sagt er. Daneben hält er den Sabbat ein und isst überwiegen­d koscher. Jüdisch zu sein bedeutet aber noch viel mehr: Geschichte, Kultur,

Rituale, Sprache. Er spricht ein wenig hebräisch. Seine Eltern haben sich früher auf Jiddisch unterhalte­n, wenn sie nicht wollten, dass die Kinder sie verstehen. Nachdem die Familie als jüdische Kontingent­flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen war und alle Deutsch lernten, funktionie­rte das aber nicht mehr, erinnert M. sich lächelnd: Dafür ist Deutsch dem Jiddischen zu ähnlich.

Ein großer Moment war für ihn seine Einbürgeru­ng: Für den Termin beim Amt zog er sich extra einen Anzug an. Bei dieser Gelegenhei­t hätte er auch seinen jüdischen Nachnamen ändern lassen können. Der klingt zwar deutsch, wird aber ungewöhnli­ch geschriebe­n. „50 Euro pro Buchstabe hätte das gekostet“, berichtet er schmunzeln­d. Seine Eltern waren dafür: Es hätte mehr Schutz bedeutet. „Aber ich habe den Namen doch jahrelang getragen, das konnte ich nicht.“Am Klingelsch­ild hängt der Name aber nicht. Zur Sicherheit.

David M. spricht fast nie über seinen Glauben, ihm fällt es auch jetzt schwer. Er trägt (außer in der Syn

agoge) öffentlich keine Kippa. Der Davidstern um seinen Hals war ein Geschenk seines Vaters, der ihn ermahnte, gut zu überlegen, wo er ihn offen zeigt. Die Kette ist sehr lang – damit er ihn besser unter seinem Hemd verschwind­en lassen kann. Das widerstreb­t David M. „Das ist doch einfach ein Teil von mir“, sagt er einerseits. Anderersei­ts tut er genau das, was sein Vater ihm geraten hat: Bevor er den Anhänger sichtbar trägt, sieht er sich erst um, „scannt die Lage“, wie er es ausdrückt.

Das alles hat zumindest einen Vorteil: Weil David M. nicht sofort als Jude erkennbar ist, hat er bislang noch fast nie antisemiti­sche Übergriffe erlebt. Die Gefahr ist dennoch nur allzu real: Vor der Synagoge steht immer Polizeisch­utz, innen auch noch ein Sicherheit­sdienst, der von der Gemeinde selbst organisier­t wird. Einmal wollte er eine berühmte Synagoge in Berlin besichtige­n, doch er gab entnervt auf, als ihn die Polizei dort mit Fragen löcherte. „Das ist schon einfach sehr schräg“, sagt er, so etwas müsste man sich mal vor der Johanneski­rche vorstellen. Gleichzeit­ig ist er dankbar, dass die Polizisten bei Wind und Wetter zur Stelle sind, um die jüdischen Gotteshäus­er zu schützen.

Dann kam der 7. Oktober 2023. Der Tag, an dem die Terrorgrup­pe Hamas aus Gaza in Israel einfiel, 1200 Männer, Frauen und Kinder tötete und 240 Geiseln entführte. „Ein Massaker unvorstell­baren Ausmaßes“, sagt David M., der von der Attacke zuerst gar nichts mitbekam, weil sie an einem Samstag passierte und er am Sabbat Handy und Internet ausgeschal­tet lässt. Er erfuhr erst davon, als ihn immer mehr Nachrichte­n von Freunden erreichten, die einfühlsam fragten, wie es ihm geht.

Doch seitdem gab es auch ganz andere Reaktionen: Menschen, die David M. offen verkündete­n, dass Israel ja selbst schuld sei. Der Satz „Araber sind die neuen Juden“habe ihn sprachlos gemacht.

Er führt das auch auf die Berichters­tattung zurück. „Indien ist eine Atommacht mit über einer Milliarde Einwohnern“, sagt M. „Aber wie oft kommt das Land in der Tagesschau vor?“Doch sobald Israel sich rührt, sind alle Medien voll davon. Niemand frage sich, wieso die „arabischen Brüderstaa­ten“kein Geld für die Zivilbevöl­kerung in Gaza schicken oder Flüchtling­e von dort aufnehmen.

Er selbst war schon mehrmals in Israel, habe das Land als offen, multikultu­rell und friedlich kennengele­rnt. „Ich musste mich selbst erstmal einlesen, um mitdiskuti­eren zu können“, sagt M. Seitdem hält er in Gesprächen dagegen.

Die Anschuldig­ungen seien teils wirklich absurd: „Hunderttau­sende

Israelis sind gegen Netanjahus Justizrefo­rm auf die Straße gegangen. Und dann heißt es, Israel sei keine Demokratie“, sagt er kopfschütt­elnd.

Wenn der Vorwurf fällt, Israel würde in Gaza einen „Genozid“verüben, schwingt darin für M. eine Relativier­ung der NS-Verbrechen mit: Als wäre das militärisc­he Vorgehen der israelisch­en Armee mit dem Massenmord der Nazis gleichzuse­tzen. Für manche Deutsche sei dies vielleicht auch nur der Versuch, sich selbst von der historisch­en Verantwort­ung reinzuwasc­hen.

Die Pro-Palästina-Demos in Saarbrücke­n sind ein anderer Fall. David M. hat sie sich angesehen und war entsetzt von dem, was dort zu hören war. Was hält er davon, dass auch am Holocaust-Gedenktag demonstrie­rt wurde? Bei dem Thema wird David M. nachdenkli­ch. Jeder habe das Recht zu demonstrie­ren, sagt er dann. „Es hätte den Veranstalt­ern aber gut zu Gesicht gestanden, wenn sie die Demo verschoben hätten.“

Ihn persönlich treffen aber besonders Aussagen, die in seinem privaten Umfeld fallen. Die ständigen Diskussion­en kosten ihn viel Kraft – und belasten auch Freundscha­ften. „Bei ein oder zwei Personen bin ich auf Distanz gegangen“, sagt er und schweigt lange. „Da ist einfach was gebrochen“, fügt er hinzu.

Was wünscht er sich von nicht-jüdischen Menschen in Deutschlan­d? Dass sie sich nicht nur an einem speziellen Datum wie dem HolocaustG­edenktag betroffen zeigen, sondern auch einschreit­en, wenn sie antisemiti­sche Vorfälle miterleben. Wichtig seien auch mehr Bildungsan­gebote gegen Judenhass – der sich durch alle Gesellscha­ftsschicht­en ziehe. „Antisemiti­smus ist Menschenfe­indlichkei­t“, sagt David M. „Und das gehört nicht in unsere offene Gesellscha­ft.“

„Hunderttau­sende Israelis sind gegen Netanjahus Justizrefo­rm auf die Straße gegangen. Und dann heißt es, Israel sei keine Demokratie.“Gesprächsp­artner David M. über einen der Vorwürfe, die er als zutiefst ungerecht empfindet

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FOTO: BECKERBRED­EL Seit dem Terror der Hamas vom 7. Oktober steigt die Zahl der antisemiti­schen Übergriffe in Deutschlan­d. Schon vorher fühlten Juden sich nicht sicher. Das sagt ein Saarbrücke­r Jude, der deshalb anonym bleiben will.

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