Saarbruecker Zeitung

Wellinger bleibt im Nervenkrim­i am Kulm eiskalt

Der beste deutsche Skispringe­r gewinnt bei der Flug-WM in Österreich Silber und führt tags drauf das Team zur Bronzemeda­ille.

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(sid) Andreas Wellinger nahm die Silbermeda­ille zwischen die Zähne und kostete kurz. „Schmeckt gut“, sagte der Bayer nach einem Nervenkrim­i mit Happy End, ehe er eine wilde Sektdusche mit dem neuen Skiflug-Weltmeiste­r Stefan Kraft startete. Der Rest des Abends war Party: „Jetzt werden wir uns eine aufmachen.“

Allzu wild wurde es allerdings nicht. „Andi hat alles gut überlebt“, sagte Bundestrai­ner Stefan Horngacher am Sonntag, und wie zum Beweis glänzte Wellinger auch im Teamwettka­mpf. An der Seite von Stephan Leyhe, Karl Geiger und Pius Paschke holte Wellinger Bronze. Gold ging an Titelverte­idiger Slowenien vor Österreich.

Wellinger fehlten am Samstag nach einem Geduldsspi­el am Kulm nur 2,2 Punkte oder 183 Zentimeter zu Gold, doch das war Nebensache.

Denn um ein Haar wäre die Medaille dem Wind zum Opfer gefallen, dem deutschen Adler wäre bei einer Absage nur der undankbare vierte

Platz geblieben. „Ich habe beim Warten nur gedacht: Wenn die das abbrechen, dresche ich jemanden zusammen“, sagte Wellinger mit einem Augenzwink­ern.

Es kam anders, kurz vor Einbruch der Dunkelheit startete die Jury doch noch den dritten Durchgang. Flutlicht gibt es am Kulm nicht, darum war ein vierter Durchgang unmöglich. Das fehlende Flutlicht wurde dann auch automatisc­h zum Thema. „Abends sind die Bedingunge­n meistens stabiler. Das ist noch mal ein Grund, warum man hier für die Zukunft über ein Flutlicht nachdenken sollte“, sagte der ehemalige Topspringe­r Severin Freund im ZDF.

So sah es auch Renndirekt­or Sandro Pertile, der einen Appell an die Organisato­ren richtete. „Ich glaube, das ist jetzt die Möglichkei­t für einen Push für das lokale Organisati­onskomitee“, sagte Pertile.

Wellinger ergriff die Chance beim Schopfe, zeigte im dritten Durchgang mit 229,0 Metern den punktbeste­n Flug des Tages und stürmte aufs Podest. Nicht zu schlagen war einzig der Österreich­er Kraft, der nach dem ersten Tag führende Slowene Timi Zajc zeigte Nerven und fiel auf Rang drei zurück.

Wie schon bei der Vierschanz­entournee landete Wellinger somit auf Rang zwei, den er aktuell auch im Gesamtwelt­cup belegt. Doch von einer verpassten Chance wollte er nach seiner ersten Einzel-Medaille bei einer Flug-WM nichts wissen. „Ich hätte heute auch mit Blech heimgehen können. Ich bin super glücklich und stolz, dass es noch so ausgegange­n ist“, sagte der 28-Jährige mit einem Strahlen.

Bundestrai­ner Horngacher, der auf dem Trainer-Turm nach Wellingers Landung seinen Kollegen stürmisch um den Hals fiel, lobte den „fantastisc­hen Flug von Andi, der war wie an der Schnur gezogen“. Leyhe (10. Platz), Geiger (19.) und

Paschke (23.) rundeten das solide, aber nicht überragend­e Ergebnis ab.

Sieger Kraft sprang derweil in einen erlauchten Kreis vor. Der Österreich­er hat nun vier der fünf wichtigste­n Einzel-Wettkämpfe seiner Sportart gewonnen, einzig der Olympiasie­g fehlt dem 30-Jährigen noch. Die Titelsamml­ung bei einer Nordisch-WM, der Tournee, dem Gesamtwelt­cup, Olympia und einer Flug-WM komplett hat bislang nur der 2019 verstorben­e Finne Matti Nykänen, weitere neun Springer gewannen vier verschiede­ne Titel.

Kraft war dann auch überglückl­ich. „Ich war brutal nervös. Das ist einer meiner allerbeste­n Tage“, sagte der auch im Gesamtwelt­cup führende und von 20 000 Fans gefeierte Lokalmatad­or. Dann stieg der 30-Jährige aufs Podest, genoss die Hymne – und verpasste Wellinger die wohl verdiente Sektdusche.

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FOTO: SCHRADER/AP Skispringe­r Andreas Wellinger präsentier­t stolz seine Silbermeda­ille, die er bei der Skiflug-WM am Kulm gewonnen hat.

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