Europas Rechtspopulisten sind sich nicht grün
Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass sich die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen von der deutschen AfD distanziert. Auch wenn rechte Strömungen europaweit an Zuspruch gewinnen – eine Zusammenarbeit bleibt untereinander teils schwierig.
BRÜSSEL Wenn Alexander Gauland das zuweilen chaotische Irrlichtern seiner Partei erklären wollte, die ständigen Ausfälle und Entschuldigungen für Grenzverletzungen, sprach er gerne vom „gärigen Haufen“. So als würde beim Verwesen und Zersetzen schon irgendetwas Brauchbares herauskommen. Wenn die AfD das Bild für ihre nationale Erscheinung akzeptiert, ist die ähnliche Entwicklung auf europäischer Ebene als gäriger Strom zu umschreiben. Es gibt einen klaren Trend zu immer stärker werdenden Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Rechtsradikalen. Doch in dem, was da so vor sich hin gärt, sind kaum Gemeinsamkeiten oder detaillierte Identifikationsmuster erkennbar.
Eigentlich könnten schon jetzt die gut 140 Abgeordneten vom rechtspopulistischen Rand die drittgrößte Fraktion im Europaparlament bilden. Doch sie teilen sich auf in Angehörige der EKR (Europäische Konservative und Reformer), der ID (Identität und Demokratie) und fraktionslose Parlamentarier wie die der ungarischen Fidesz-Partei. Gerne gilt als grundsätzliche Orientierung eine Einordnung, wonach die EKR eher gemäßigt auftrete, die ID deutlich radikaler sei. Doch im Alltag und bei der Positionierung zu einzelnen Themen und Anlässen ist es oft andersherum. Als das Parlament in Straßburg seinen 70. Geburtstag feierte, hob der IDFraktionsvorsitzende Marco Zanni von der italienischen Lega zu einer moderat-lobenden Würdigung an, während sich EKR-Fraktionschef Ryszard Antoni Legutko von der polnischen PiS in eine regelrechte Schimpforgie hineinsteigerte und das europäische Projekt als schamloses politisches Instrument der Linken verdammte.
Beide Fraktionen haben sich jeweils für ein Emblem in blauer Farbe entschieden. Doch selbst innerhalb der eigenen Parteienfamilie sind sich die Blauen nicht grün. Besonders deutlich wurde dies nach der Aufdeckung des Potsdamer Treffens von Mitgliedern der AfD, der Werteunion, der Identitären Bewegung und weiteren Rechtsextremisten. Umgehend ging die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen auf Distanz. Mit „Remigration“in Form millionenfacher Deportation wollte die dreifache Präsidentschaftskandidatin nicht in Verbindung gebracht werden und dachte sogar öffentlich darüber nach, die Zusammenarbeit mit der AfD in der ID zu beenden.
Ein Erkennungszeichen der IDPolitiker war einmal ihr Wunsch, die EU zu zerstören, zumindest aber, ihr eigenes Land aus der EU herauszubrechen. Doch Le Pen vom Rassemblement National in Frankreich ist davon inzwischen weit entfernt. Sie bereitet sich offenbar darauf vor, beim vierten Griff nach der französischen Staatspräsidentschaft 2027 erfolgreich zu sein. Mit knallharten Anti-EU-Parolen gelingt das bei einer in großer Mehrheit europafreundlichen Bevölkerung nicht. Auch die AfD verrenkte sich in dieser Frage beim Abfassen ihres Europa-Wahlprogramms, stufte mit Blick auf bürgerliche Wähler den Austritt zum Fernziel herab für den Fall, dass die Reform der EU nicht gelinge. Doch Parteichefin Alice Weidel brachte den Dexit, den Ausstieg Deutschlands aus der EU, wieder ins Gespräch, und Björn Höcke warf die Parteitagsformulierung über den Haufen, indem er sie in die Forderung übersetzte, wonach die EU sterben müsse, damit Europa leben könne.
Solche Sätze passen weder zu ID-Vordenkerin Le Pen noch zu EKR-Chefin Giorgia Meloni. Beide Ikonen des europäischen Rechtsextremismus können sich einen in Brüssel zuweilen diskutierten gemeinsamen „Schirm“aller rechtspopulistischen Parteien nicht vorstellen. Dafür läuft sich jedoch erkennbar Ungarns Regierungschef Viktor Orbán warm. Seine Fidesz trat aus der christlich-konservativen Europäischen Volkspartei von CSU-Vize Manfred Weber aus und beobachtete ihrerseits interessiert, wie Weber einen engen Draht zu Meloni zu bilden begann. Statt neue Mitte-Rechts-RechtsaußenBündnisse vorzubereiten, geht es dem Christsozialen offenbar eher darum, größere Blöcke aus dem Rechtsaußen-Lager herauszubrechen, um die EVP-Basis zu vergrößern. Doch auch bei diesem Versuch bleiben Gemeinsamkeiten Glücksache.
Ein Beispiel für den „gärigen“Charakter der Strömungen sind ihre wiederholten Fraktionswechsel. Das betrifft nicht nur einzelne Abgeordnete, sondern zuweilen ganze Parteien. So traten die „Wahren Finnen“zu Beginn der Wahlperiode aus der EKR aus, weil ihnen die ID in ihrer Radikalität mehr behagte. Nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine fühlten sie sich unter den vielen Putin-Verstehern in der ID jedoch nicht mehr wohl und wechselten zurück zur EKR. Als sich ID-Politiker in der Toskana zum großen Perspektivkongress trafen, waren zwar Verschwörungserzählungen von einem „Austausch“der europäischen Bevölkerung durch „die Linken“gegenwärtig. Doch es blieb im Wesentlichen bei einer Aufzählung, wogegen man alles sei.
Wofür die rechtsextremen Parteien bei den Europawahlen antreten und nach einem Erstarken im Parlament gemeinsam auftreten könnten, ist nicht nur offen. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass es das auch im nächsten Europaparlament nicht geben wird.
Die gut 140 Abgeordneten vom rechtspopulistischen Rand im EU-Parlament sind in verschiedene Lager aufgeteilt.