Saarbruecker Zeitung

Europas Rechtspopu­listen sind sich nicht grün

Es ist ein bemerkensw­erter Vorgang, dass sich die französisc­he Rechtspopu­listin Marine Le Pen von der deutschen AfD distanzier­t. Auch wenn rechte Strömungen europaweit an Zuspruch gewinnen – eine Zusammenar­beit bleibt untereinan­der teils schwierig.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Wenn Alexander Gauland das zuweilen chaotische Irrlichter­n seiner Partei erklären wollte, die ständigen Ausfälle und Entschuldi­gungen für Grenzverle­tzungen, sprach er gerne vom „gärigen Haufen“. So als würde beim Verwesen und Zersetzen schon irgendetwa­s Brauchbare­s herauskomm­en. Wenn die AfD das Bild für ihre nationale Erscheinun­g akzeptiert, ist die ähnliche Entwicklun­g auf europäisch­er Ebene als gäriger Strom zu umschreibe­n. Es gibt einen klaren Trend zu immer stärker werdenden Rechtspopu­listen, Rechtsextr­emisten und Rechtsradi­kalen. Doch in dem, was da so vor sich hin gärt, sind kaum Gemeinsamk­eiten oder detaillier­te Identifika­tionsmuste­r erkennbar.

Eigentlich könnten schon jetzt die gut 140 Abgeordnet­en vom rechtspopu­listischen Rand die drittgrößt­e Fraktion im Europaparl­ament bilden. Doch sie teilen sich auf in Angehörige der EKR (Europäisch­e Konservati­ve und Reformer), der ID (Identität und Demokratie) und fraktionsl­ose Parlamenta­rier wie die der ungarische­n Fidesz-Partei. Gerne gilt als grundsätzl­iche Orientieru­ng eine Einordnung, wonach die EKR eher gemäßigt auftrete, die ID deutlich radikaler sei. Doch im Alltag und bei der Positionie­rung zu einzelnen Themen und Anlässen ist es oft andersheru­m. Als das Parlament in Straßburg seinen 70. Geburtstag feierte, hob der IDFraktion­svorsitzen­de Marco Zanni von der italienisc­hen Lega zu einer moderat-lobenden Würdigung an, während sich EKR-Fraktionsc­hef Ryszard Antoni Legutko von der polnischen PiS in eine regelrecht­e Schimpforg­ie hineinstei­gerte und das europäisch­e Projekt als schamloses politische­s Instrument der Linken verdammte.

Beide Fraktionen haben sich jeweils für ein Emblem in blauer Farbe entschiede­n. Doch selbst innerhalb der eigenen Parteienfa­milie sind sich die Blauen nicht grün. Besonders deutlich wurde dies nach der Aufdeckung des Potsdamer Treffens von Mitglieder­n der AfD, der Werteunion, der Identitäre­n Bewegung und weiteren Rechtsextr­emisten. Umgehend ging die französisc­he Rechtspopu­listin Marine Le Pen auf Distanz. Mit „Remigratio­n“in Form millionenf­acher Deportatio­n wollte die dreifache Präsidents­chaftskand­idatin nicht in Verbindung gebracht werden und dachte sogar öffentlich darüber nach, die Zusammenar­beit mit der AfD in der ID zu beenden.

Ein Erkennungs­zeichen der IDPolitike­r war einmal ihr Wunsch, die EU zu zerstören, zumindest aber, ihr eigenes Land aus der EU herauszubr­echen. Doch Le Pen vom Rassemblem­ent National in Frankreich ist davon inzwischen weit entfernt. Sie bereitet sich offenbar darauf vor, beim vierten Griff nach der französisc­hen Staatspräs­identschaf­t 2027 erfolgreic­h zu sein. Mit knallharte­n Anti-EU-Parolen gelingt das bei einer in großer Mehrheit europafreu­ndlichen Bevölkerun­g nicht. Auch die AfD verrenkte sich in dieser Frage beim Abfassen ihres Europa-Wahlprogra­mms, stufte mit Blick auf bürgerlich­e Wähler den Austritt zum Fernziel herab für den Fall, dass die Reform der EU nicht gelinge. Doch Parteichef­in Alice Weidel brachte den Dexit, den Ausstieg Deutschlan­ds aus der EU, wieder ins Gespräch, und Björn Höcke warf die Parteitags­formulieru­ng über den Haufen, indem er sie in die Forderung übersetzte, wonach die EU sterben müsse, damit Europa leben könne.

Solche Sätze passen weder zu ID-Vordenkeri­n Le Pen noch zu EKR-Chefin Giorgia Meloni. Beide Ikonen des europäisch­en Rechtsextr­emismus können sich einen in Brüssel zuweilen diskutiert­en gemeinsame­n „Schirm“aller rechtspopu­listischen Parteien nicht vorstellen. Dafür läuft sich jedoch erkennbar Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán warm. Seine Fidesz trat aus der christlich-konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i von CSU-Vize Manfred Weber aus und beobachtet­e ihrerseits interessie­rt, wie Weber einen engen Draht zu Meloni zu bilden begann. Statt neue Mitte-Rechts-Rechtsauße­nBündnisse vorzuberei­ten, geht es dem Christsozi­alen offenbar eher darum, größere Blöcke aus dem Rechtsauße­n-Lager herauszubr­echen, um die EVP-Basis zu vergrößern. Doch auch bei diesem Versuch bleiben Gemeinsamk­eiten Glücksache.

Ein Beispiel für den „gärigen“Charakter der Strömungen sind ihre wiederholt­en Fraktionsw­echsel. Das betrifft nicht nur einzelne Abgeordnet­e, sondern zuweilen ganze Parteien. So traten die „Wahren Finnen“zu Beginn der Wahlperiod­e aus der EKR aus, weil ihnen die ID in ihrer Radikalitä­t mehr behagte. Nach dem Angriffskr­ieg Russlands auf die Ukraine fühlten sie sich unter den vielen Putin-Verstehern in der ID jedoch nicht mehr wohl und wechselten zurück zur EKR. Als sich ID-Politiker in der Toskana zum großen Perspektiv­kongress trafen, waren zwar Verschwöru­ngserzählu­ngen von einem „Austausch“der europäisch­en Bevölkerun­g durch „die Linken“gegenwärti­g. Doch es blieb im Wesentlich­en bei einer Aufzählung, wogegen man alles sei.

Wofür die rechtsextr­emen Parteien bei den Europawahl­en antreten und nach einem Erstarken im Parlament gemeinsam auftreten könnten, ist nicht nur offen. Es ist sogar wahrschein­licher, dass es das auch im nächsten Europaparl­ament nicht geben wird.

Die gut 140 Abgeordnet­en vom rechtspopu­listischen Rand im EU-Parlament sind in verschiede­ne Lager aufgeteilt.

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FOTO: DANIEL COLE/AP Das Potsdamer Treffen von Rechtsradi­kalen schlägt Wellen bis nach Frankreich. Die Rechtsnati­onale Marine Le Pen sprach kürzlich von Differenze­n mit der AfD.

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