Junge Partei ist in Großbritannien auf dem Vormarsch
Die rechtspopulistische Partei Reform UK profitiert vom Chaos bei den britischen Konservativen. Diese spüren den wachsenden Druck – und rücken nach rechts.
LONDON Der Terminkalender von Rishi Sunak, der in dieser Woche besonders voll ist, erscheint wie eine Ablenkungstherapie. Schließlich muss sich der britische Premier aktuell einer kleinen Gruppe von Abgeordneten seiner eigenen Partei erwehren. Sie wollen ihn stürzen, um angesichts der schlechten Umfragewerte noch vor den Parlamentswahlen einen neuen Anführer zu finden, wieder einmal. Die Kampagne beherrscht derzeit die Debatten in Westminster und wird zumindest als latente Gefahr eingestuft.
Neben Labour profitiert vor allem eine Partei von dem Chaos bei den Tories: Reform UK. Mit markigen Sprüchen startete die rechtspopulistische Partei Anfang des Jahres ihre Kampagne für die Parlamentswahlen, die voraussichtlich im Herbst stattfinden werden. Ihr Vorsitzender, Richard Tice, sagte, nur sie könnten das Land vor dem Untergang bewahren.
Dabei zieht die Reformpartei ihren Vorteil aus der schlechten Bilanz der konservativen Regierungen unter Ex-Premierministern Boris Johnson sowie Liz Truss und ihrem Nachfolger Rishi Sunak. Wenn morgen Wahlen wären, würden laut Umfragen mehr als zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei Reform UK machen – Tendenz steigend.
Die Partei spricht jene Briten an, die sich ein härteres Vorgehen gegen Migranten wünschen. Wasser auf die Mühlen der Partei ist, dass nach dem Brexit mehr Visa ausgestellt wurden: Im Jahr 2022 lag die Nettozuwanderung bei 745 000 Menschen, 2019 waren es noch 184 000. Fast 30 000 Menschen erreichten 2023 die Insel über den Ärmelkanal, obwohl Sunak versprochen hatte, dies zu stoppen.
Sunak habe der Massenmigration Tür und Tor geöffnet, behauptete Tice. Um das zu ändern, schlug er vor, „nicht unbedingt notwendige“Einwanderung „einzufrieren“. Wie er dabei vorgehen will und was damit genau gemeint ist, ließ er offen. Als populistischer Politiker, dessen Partei vom Frust einiger Tory-Wähler profitiert, musste er auch nicht ins Detail gehen.
Reform UK entstand vor zwei Jahren aus der Brexit-Partei, die ihrerseits aus der euroskeptischen UKIP hervorging, die Nigel Farage in den 1990er Jahren mitgegründet hatte. Farage ist Ehrenvorsitzender der Reformpartei, kündigte im Frühjahr 2021 jedoch an, seine politische
Karriere zugunsten eines Moderatorenjobs beim populistischen Sender GB News an den Nagel zu hängen.
Derzeit wird darüber spekuliert, ob der als charismatisch geltende Farage an die Parteispitze zurückkehren könnte. Laut Sophie Stowers von der Denkfabrik UK in a Changing Europe ist dies jedoch ungewiss. Schließlich wird aktuell erneut darüber spekuliert, ob er britischer Botschafter in den USA werden könnte, sollte Donald Trump ins Weiße Haus einziehen.
Wie auch immer Farage sich entscheidet: Die Chancen von Reform UK, einen Abgeordneten ins Unterhaus zu entsenden, sind äußerst gering, schließlich gilt auf der Insel das relative Mehrheitswahlrecht. Damit machen Briten nur ein Kreuz für einen Kandidaten in ihrem Wahlkreis. Wer die meisten Stimmen erhält, zieht ins britische Parlament ein, die restlichen Stimmen verfallen.
„Vor allem kleinere Parteien fühlen sich durch dieses System benachteiligt, andere befürworten es, weil es extremistische Parteien in Schach hält“, sagt Stowers. Einfluss nahmen diese dennoch, weil die Konservativen in den vergangenen Jahren ihren harten Kurs übernahmen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov werden die Tories bereits als genauso rechts wahrgenommen wie einst UKIP.
Weil Reform UK nun eine härtere Gangart gegen Migration fordert, bereitet sie den Konservativen laut Beobachtern Sorge. Sie fürchten, dass die Partei ihre ohnehin sehr geringen Chancen auf einen Machterhalt zunichtemachen könnte, weil sie durch Stimmenverluste Mehrheiten einbüßen. Stowers hält es deshalb für möglich, dass die Tories ihre Rhetorik weiter verschärfen.
Hinweise darauf gibt es: Erst vor wenigen Tagen hatte Richard Tice den Tories vor Fernsehkameras vorgeworfen, sie versuchten, seine Politik zu kopieren, indem sie das umstrittene Programm „Britische Häuser für britische Arbeiter“, das Staatsbürgern bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugt, von Reform UK „gestohlen“hätten.
Die für Mitte Februar angesetzte Nachwahl im mittelenglischen Wellingborough, einem Kreis, in dem viele Briten für den Brexit gestimmt haben, könnte einen ersten Eindruck davon vermitteln, wie groß der Einfluss von Reform UK ist. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Rebellen innerhalb der Konservativen Partei diesen Termin in ihrem Terminkalender rot angestrichen haben.