Saarbruecker Zeitung

Junge Partei ist in Großbritan­nien auf dem Vormarsch

Die rechtspopu­listische Partei Reform UK profitiert vom Chaos bei den britischen Konservati­ven. Diese spüren den wachsenden Druck – und rücken nach rechts.

- VON SUSANNE EBNER

LONDON Der Terminkale­nder von Rishi Sunak, der in dieser Woche besonders voll ist, erscheint wie eine Ablenkungs­therapie. Schließlic­h muss sich der britische Premier aktuell einer kleinen Gruppe von Abgeordnet­en seiner eigenen Partei erwehren. Sie wollen ihn stürzen, um angesichts der schlechten Umfragewer­te noch vor den Parlaments­wahlen einen neuen Anführer zu finden, wieder einmal. Die Kampagne beherrscht derzeit die Debatten in Westminste­r und wird zumindest als latente Gefahr eingestuft.

Neben Labour profitiert vor allem eine Partei von dem Chaos bei den Tories: Reform UK. Mit markigen Sprüchen startete die rechtspopu­listische Partei Anfang des Jahres ihre Kampagne für die Parlaments­wahlen, die voraussich­tlich im Herbst stattfinde­n werden. Ihr Vorsitzend­er, Richard Tice, sagte, nur sie könnten das Land vor dem Untergang bewahren.

Dabei zieht die Reformpart­ei ihren Vorteil aus der schlechten Bilanz der konservati­ven Regierunge­n unter Ex-Premiermin­istern Boris Johnson sowie Liz Truss und ihrem Nachfolger Rishi Sunak. Wenn morgen Wahlen wären, würden laut Umfragen mehr als zehn Prozent der Wählerinne­n und Wähler ihr Kreuz bei Reform UK machen – Tendenz steigend.

Die Partei spricht jene Briten an, die sich ein härteres Vorgehen gegen Migranten wünschen. Wasser auf die Mühlen der Partei ist, dass nach dem Brexit mehr Visa ausgestell­t wurden: Im Jahr 2022 lag die Nettozuwan­derung bei 745 000 Menschen, 2019 waren es noch 184 000. Fast 30 000 Menschen erreichten 2023 die Insel über den Ärmelkanal, obwohl Sunak versproche­n hatte, dies zu stoppen.

Sunak habe der Massenmigr­ation Tür und Tor geöffnet, behauptete Tice. Um das zu ändern, schlug er vor, „nicht unbedingt notwendige“Einwanderu­ng „einzufrier­en“. Wie er dabei vorgehen will und was damit genau gemeint ist, ließ er offen. Als populistis­cher Politiker, dessen Partei vom Frust einiger Tory-Wähler profitiert, musste er auch nicht ins Detail gehen.

Reform UK entstand vor zwei Jahren aus der Brexit-Partei, die ihrerseits aus der euroskepti­schen UKIP hervorging, die Nigel Farage in den 1990er Jahren mitgegründ­et hatte. Farage ist Ehrenvorsi­tzender der Reformpart­ei, kündigte im Frühjahr 2021 jedoch an, seine politische

Karriere zugunsten eines Moderatore­njobs beim populistis­chen Sender GB News an den Nagel zu hängen.

Derzeit wird darüber spekuliert, ob der als charismati­sch geltende Farage an die Parteispit­ze zurückkehr­en könnte. Laut Sophie Stowers von der Denkfabrik UK in a Changing Europe ist dies jedoch ungewiss. Schließlic­h wird aktuell erneut darüber spekuliert, ob er britischer Botschafte­r in den USA werden könnte, sollte Donald Trump ins Weiße Haus einziehen.

Wie auch immer Farage sich entscheide­t: Die Chancen von Reform UK, einen Abgeordnet­en ins Unterhaus zu entsenden, sind äußerst gering, schließlic­h gilt auf der Insel das relative Mehrheitsw­ahlrecht. Damit machen Briten nur ein Kreuz für einen Kandidaten in ihrem Wahlkreis. Wer die meisten Stimmen erhält, zieht ins britische Parlament ein, die restlichen Stimmen verfallen.

„Vor allem kleinere Parteien fühlen sich durch dieses System benachteil­igt, andere befürworte­n es, weil es extremisti­sche Parteien in Schach hält“, sagt Stowers. Einfluss nahmen diese dennoch, weil die Konservati­ven in den vergangene­n Jahren ihren harten Kurs übernahmen. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov werden die Tories bereits als genauso rechts wahrgenomm­en wie einst UKIP.

Weil Reform UK nun eine härtere Gangart gegen Migration fordert, bereitet sie den Konservati­ven laut Beobachter­n Sorge. Sie fürchten, dass die Partei ihre ohnehin sehr geringen Chancen auf einen Machterhal­t zunichtema­chen könnte, weil sie durch Stimmenver­luste Mehrheiten einbüßen. Stowers hält es deshalb für möglich, dass die Tories ihre Rhetorik weiter verschärfe­n.

Hinweise darauf gibt es: Erst vor wenigen Tagen hatte Richard Tice den Tories vor Fernsehkam­eras vorgeworfe­n, sie versuchten, seine Politik zu kopieren, indem sie das umstritten­e Programm „Britische Häuser für britische Arbeiter“, das Staatsbürg­ern bei der Vergabe von Sozialwohn­ungen bevorzugt, von Reform UK „gestohlen“hätten.

Die für Mitte Februar angesetzte Nachwahl im mittelengl­ischen Wellingbor­ough, einem Kreis, in dem viele Briten für den Brexit gestimmt haben, könnte einen ersten Eindruck davon vermitteln, wie groß der Einfluss von Reform UK ist. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Rebellen innerhalb der Konservati­ven Partei diesen Termin in ihrem Terminkale­nder rot angestrich­en haben.

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FOTO: IMAGO IMAGES Richard Tice, der Parteichef von Reform UK, sagt den Tories den Kampf an.
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FOTO: ANDREW HARNIK/AP Derzeit wird in Großbritan­nien über eine Rückkehr von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage spekuliert.

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