Saarbruecker Zeitung

Politologe Funke sieht „erste Zeichen einer Schwächung“der AfD

- VON MEY DUDIN Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Vincent Bauer

Ist der Höhenflug bald vorbei? Nach wochenlang­en Protesten gegen rechts sieht der Berliner Politikwis­senschaftl­er Hajo Funke „erste Zeichen einer Schwächung“der AfD. Als Beispiel dafür nennt der Rechtsextr­emismus-Experte im Gespräch mit unserer Redaktion, dass der AfD-Kandidat Uwe Thrum bei der Landratswa­hl im Saale-Orla-Kreis in Ostthüring­en am Sonntag nicht gesiegt hat. „Man hat alle demokratis­chen Gegenkräft­e zusammenge­trommelt und die Kampagne hat gezündet.“Denn die große Mehrheit der Menschen in Deutschlan­d wolle die Demokratie erhalten, auch wenn sie derzeit schlecht funktionie­re.

Trotz eines deutlichen Vorsprungs der AfD im ersten Wahlgang hat sich bei der Stichwahl der CDU-Kandidat Christian Herrgott durchgeset­zt.

Ausgelöst wurden die aktuellen Massenprot­este gegen rechts vor drei Wochen durch eine Enthüllung des Medienhaus­es Correctiv, wonach sich AfD-Funktionär­e mit Rechtsextr­emisten in Potsdam getroffen haben, um über eine sogenannte „Remigratio­n“zu sprechen, ein beschönige­nder Ausdruck für die Massenausw­eisung von Menschen ausländisc­her Herkunft. Diese Recherche hat laut Funke bewirkt, dass die Menschen nun ein zweites oder drittes Mal schauten, ob sie die AfD überhaupt wählen sollten. „Offen ist zwar, ob die AfD ihre Macht erweitert und etwa in Sachsen in die Exekutive kommt. Nicht offen ist aber, dass viele Menschen sehr viel entschiede­ner sagen: Diesen faschistis­chen Unsinn wollen wir nicht.“Denn das würde zu einer Zeit führen, zu der 80 Prozent der Bevölkerun­g nicht mehr zurückkehr­en wollen.

Nach Ansicht des Politologe­n hat die Correctiv-Recherche durch die Art und Weise der Präsentati­on, eine besondere Wucht entfacht. „Mit dem Teleobjekt­iv wurde etwas ausgespäht: Die Enthüllung hat allen klar gemacht, dass es die dominante Strategie des Machtzentr­ums der AfD ist, eine andere, völkisch reinere staatliche Ordnung zu haben und dazu Millionen aus dem Land zu vertreiben, zu deportiere­n.“Er betonte mit Blick auf den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, dessen Landesverb­and vom Verfassung­sschutz als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft wird: „Es ist also nicht nur Höcke. Das war allen bisher nicht so klar.“

Auch der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung im „Januar eines entscheide­nden Wahljahrs“habe eine Rolle gespielt: „Man sieht, wie sich AfDFunktio­näre mit Rechtsextr­emisten vor der ersten großen Machtprobe treffen“, sagt Funke mit Blick auf die anstehende­n Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen. Äußerungen, wonach Millionen Menschen in eine Musterstad­t in Nordafrika transferie­rt werden sollten, erinnerten eins zu eins an den Plan der Nationalso­zialisten im

Jahr 1940, Juden nach Madagaskar zu vertreiben.

Auch ein anderer Faktor könnte den Höhenflug der AfD bremsen: Die neue Partei „Bündnis Sahra Wagenknech­t“könnte der AfD „erheblich“Stimmen wegnehmen, wenn sie bei den drei ostdeutsch­en Landtagswa­hlen im Herbst konsolidie­rt antritt, schätzt Funke. Denn die Hälfte oder ein Drittel der Menschen, die die AfD wählten, täten das aus Wut oder Frust über die Regierungs­politik. Die Wagenknech­t-Partei spreche die Themen, die die Menschen frustriert­en, etwa soziale Ungleichhe­it oder der Umgang mit Kriegen, deutlich entschiede­ner an.

Ein AfD-Verbotsver­fahren oder andere Repression­en sieht Funke indes kritisch. Er weist darauf hin, dass ein Verbotsver­fahren zwei bis vier Jahre dauert und der Ausgang offen ist. „Die politische Debatte ist wichtiger als ein Verbot“, betont er.

Laut einer neuen repräsenta­tiven Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Centrums für Strategie und Höhere Führung halten 76 Prozent der Bevölkerun­g Rechtsextr­emisten für sehr gefährlich, 44 Prozent sagen dies über die Anhänger der AfD. In dieser Woche sind erneut in mehreren Bundesländ­ern Demonstrat­ionen gegen rechts angekündig­t.

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