Lettland droht mit Ausweisung von Russen ohne Sprachtest
Russland führt Krieg, aber beklagt, dass Russen in anderen Ländern nicht gut gelitten seien. Wladimir Putin wirft dem Baltikum eine Jagd auf Menschen vor.
(dpa) „Sicherlich wird es Zwangsausweisungen geben“, sagt der Parlamentsabgeordnete Gunars Kutris in Riga zur Lage der Russen in Lettland. Hunderte Menschen, die seit vielen Jahrzehnten in dem EU-Land leben und nur Russisch sprechen, könnten von den Abschiebungen betroffen sein. „Das wird sich in der Praxis zeigen“, meint der Chef im Ausschuss für Staatsbürgerschaft, Migration und sozialen Zusammenhalt. Wer künftig keine Lettisch-Kenntnisse vorweisen kann, muss das Land verlassen. Das könnten bis zu 3000 Menschen sein.
In Russland spricht der Machtapparat von „Diskriminierung“in einem EU-Land, das sich zur Wahrung der Rechte von Minderheiten verpflichtet hat. Rund ein Viertel der Bevölkerung in Lettland mit den 1,9 Millionen Einwohnern gehört zur großen russischsprachigen Minderheit.
Viele Menschen auch in den anderen baltischen Staaten Estland und Litauen sind staatenlos oder haben
einen russischen Pass. Sie kamen schon zu kommunistischen Zeiten ins Baltikum, als die drei Republiken gezwungenermaßen Teil der Sowjetunion waren. Bereits seit Jahren beklagt Moskau, einst Machtzentrale auch für das Baltikum, Russen würden dort diskriminiert.
„In den baltischen Staaten werden Zehntausende Menschen zu ‚Unter
menschen` erklärt, ihnen werden die grundlegendsten Rechte entzogen“, schimpfte Kremlchef Wladimir Putin Ende Januar bei einem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Schon vorher hatte er von einer „schweinischen“Behandlung der Russen in Lettland gesprochen. Er wirft der Regierung in Riga vor, sie missbrauche die allgemein feindliche Stimmung gegen
Russland wegen seines Angriffskrieges gegen die Ukraine politisch, um gegen die seit langem nicht geliebte Minderheit vorzugehen.
Wer mit russischem Pass weiter legal in Lettland leben will, muss mittlerweile einen dauerhaften Aufenthaltsstatus beantragen und dafür bei einem Sprachtest alltagstaugliche Lettisch-Kenntnisse nachweisen. Stichtag dafür war der 1. September. Wer die Prüfung nicht bestanden hat, kann eine zweijährige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragen und den Test wiederholen.
Alle anderen, die sich nicht von sich aus gemeldet haben bei den Behörden, haben nun Post erhalten von der Migrationsbehörde – ihnen droht der Rauswurf aus Lettland. Hintergrund sind Änderungen an Lettlands Ausländerrecht, die im Herbst 2022 als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschlossen wurden.
Dahinter verbirgt sich auch die seit der wiedererlangten Unabhängigkeit Lettlands 1991 immer wieder aufkommende Frage, wie loyal die russischstämmige Bevölkerung ist und sich im Konfliktfall verhalten würde.
Befürchtet wird, Russland könnte diese Personen instrumentalisieren und aufwiegeln. Oder ähnlich wie in der Ukraine sogar eine Invasion damit begründen, dass es seine Landsleute im Ausland schützen müsse.
Lettlands Staatspräsident Edgars Rinkevics wies die Behauptungen Putins und der russischen Staatspropaganda zurück. „Wir alle wissen genau, dass in Lettland lebende Russen nicht diskriminiert werden. Aber es gibt völlig legitime Anforderungen: die Kenntnis der Landessprache, und dies ist die Grundlage jedes Landes.“
Doch besonders im Osten des Landes an der Grenze zu Russland und Belarus ist Russisch Alltags- und Umgangssprache. Auch deshalb fallen bei den Sprachtests für Niveau A2 mehr als 60 Prozent der Teilnehmer beim ersten Mal durch. Die Anforderungen sind umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass die Regelung und mögliche Ausweisungen vor allem ältere und schutzbedürftige Menschen träfen, die keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Viele hätten bereits ihr ganzes Leben in Lettland verbracht. Für Aufsehen in Russland sorgte Mitte Januar die
Ausweisung des 82 Jahre alten Boris Katkow, der mehr als 50 Jahre in Lettland gelebt hatte. Der Präsident einer Organisation für lettisch-russische Zusammenarbeit war ausgewiesen worden, weil er laut den Behörden in Riga ein Risiko für die nationale Sicherheit des Landes darstellte. Er sei einfach an der Grenze abgesetzt worden, sagte er in einem Video. Er kam in der benachbarten russischen Ostseeregion Kaliningrad unter.
Dass Putin zum Schutz russischer Bürger mit der Armee in die NatoStaaten im Baltikum einmarschiert, ist nicht in Sicht. Er hat vielmehr angewiesen, ein Programm für die Rückführung von Russen auszuarbeiten, sollte es zu einer „illegalen Deportation“kommen. Ein neues Institut für Rückführungen soll Menschen mit russischen Wurzeln, die schon vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 dauerhaft im Ausland lebten, dabei unterstützen, sich in ihrer Heimat oder in der ihrer Vorfahren niederzulassen.