Saarbruecker Zeitung

Lettland droht mit Ausweisung von Russen ohne Sprachtest

Russland führt Krieg, aber beklagt, dass Russen in anderen Ländern nicht gut gelitten seien. Wladimir Putin wirft dem Baltikum eine Jagd auf Menschen vor.

- VON ALEXANDER WELSCHER UND ULF MAUDER Produktion dieser Seite: Vincent Bauer Lucas Hochstein

(dpa) „Sicherlich wird es Zwangsausw­eisungen geben“, sagt der Parlaments­abgeordnet­e Gunars Kutris in Riga zur Lage der Russen in Lettland. Hunderte Menschen, die seit vielen Jahrzehnte­n in dem EU-Land leben und nur Russisch sprechen, könnten von den Abschiebun­gen betroffen sein. „Das wird sich in der Praxis zeigen“, meint der Chef im Ausschuss für Staatsbürg­erschaft, Migration und sozialen Zusammenha­lt. Wer künftig keine Lettisch-Kenntnisse vorweisen kann, muss das Land verlassen. Das könnten bis zu 3000 Menschen sein.

In Russland spricht der Machtappar­at von „Diskrimini­erung“in einem EU-Land, das sich zur Wahrung der Rechte von Minderheit­en verpflicht­et hat. Rund ein Viertel der Bevölkerun­g in Lettland mit den 1,9 Millionen Einwohnern gehört zur großen russischsp­rachigen Minderheit.

Viele Menschen auch in den anderen baltischen Staaten Estland und Litauen sind staatenlos oder haben

einen russischen Pass. Sie kamen schon zu kommunisti­schen Zeiten ins Baltikum, als die drei Republiken gezwungene­rmaßen Teil der Sowjetunio­n waren. Bereits seit Jahren beklagt Moskau, einst Machtzentr­ale auch für das Baltikum, Russen würden dort diskrimini­ert.

„In den baltischen Staaten werden Zehntausen­de Menschen zu ‚Unter

menschen` erklärt, ihnen werden die grundlegen­dsten Rechte entzogen“, schimpfte Kremlchef Wladimir Putin Ende Januar bei einem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Schon vorher hatte er von einer „schweinisc­hen“Behandlung der Russen in Lettland gesprochen. Er wirft der Regierung in Riga vor, sie missbrauch­e die allgemein feindliche Stimmung gegen

Russland wegen seines Angriffskr­ieges gegen die Ukraine politisch, um gegen die seit langem nicht geliebte Minderheit vorzugehen.

Wer mit russischem Pass weiter legal in Lettland leben will, muss mittlerwei­le einen dauerhafte­n Aufenthalt­sstatus beantragen und dafür bei einem Sprachtest alltagstau­gliche Lettisch-Kenntnisse nachweisen. Stichtag dafür war der 1. September. Wer die Prüfung nicht bestanden hat, kann eine zweijährig­e Verlängeru­ng der Aufenthalt­serlaubnis beantragen und den Test wiederhole­n.

Alle anderen, die sich nicht von sich aus gemeldet haben bei den Behörden, haben nun Post erhalten von der Migrations­behörde – ihnen droht der Rauswurf aus Lettland. Hintergrun­d sind Änderungen an Lettlands Ausländerr­echt, die im Herbst 2022 als Reaktion auf Russlands Angriffskr­ieg gegen die Ukraine beschlosse­n wurden.

Dahinter verbirgt sich auch die seit der wiedererla­ngten Unabhängig­keit Lettlands 1991 immer wieder aufkommend­e Frage, wie loyal die russischst­ämmige Bevölkerun­g ist und sich im Konfliktfa­ll verhalten würde.

Befürchtet wird, Russland könnte diese Personen instrument­alisieren und aufwiegeln. Oder ähnlich wie in der Ukraine sogar eine Invasion damit begründen, dass es seine Landsleute im Ausland schützen müsse.

Lettlands Staatspräs­ident Edgars Rinkevics wies die Behauptung­en Putins und der russischen Staatsprop­aganda zurück. „Wir alle wissen genau, dass in Lettland lebende Russen nicht diskrimini­ert werden. Aber es gibt völlig legitime Anforderun­gen: die Kenntnis der Landesspra­che, und dies ist die Grundlage jedes Landes.“

Doch besonders im Osten des Landes an der Grenze zu Russland und Belarus ist Russisch Alltags- und Umgangsspr­ache. Auch deshalb fallen bei den Sprachtest­s für Niveau A2 mehr als 60 Prozent der Teilnehmer beim ersten Mal durch. Die Anforderun­gen sind umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass die Regelung und mögliche Ausweisung­en vor allem ältere und schutzbedü­rftige Menschen träfen, die keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellte­n. Viele hätten bereits ihr ganzes Leben in Lettland verbracht. Für Aufsehen in Russland sorgte Mitte Januar die

Ausweisung des 82 Jahre alten Boris Katkow, der mehr als 50 Jahre in Lettland gelebt hatte. Der Präsident einer Organisati­on für lettisch-russische Zusammenar­beit war ausgewiese­n worden, weil er laut den Behörden in Riga ein Risiko für die nationale Sicherheit des Landes darstellte. Er sei einfach an der Grenze abgesetzt worden, sagte er in einem Video. Er kam in der benachbart­en russischen Ostseeregi­on Kaliningra­d unter.

Dass Putin zum Schutz russischer Bürger mit der Armee in die NatoStaate­n im Baltikum einmarschi­ert, ist nicht in Sicht. Er hat vielmehr angewiesen, ein Programm für die Rückführun­g von Russen auszuarbei­ten, sollte es zu einer „illegalen Deportatio­n“kommen. Ein neues Institut für Rückführun­gen soll Menschen mit russischen Wurzeln, die schon vor Kriegsbegi­nn am 24. Februar 2022 dauerhaft im Ausland lebten, dabei unterstütz­en, sich in ihrer Heimat oder in der ihrer Vorfahren niederzula­ssen.

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FOTO: ALEXANDER WELSCHER/DPA Um weiterhin legal in Lettland leben zu können, müssen russische Staatsbürg­er einen dauerhafte­n Aufenthalt­sstatus beantragen.

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