Saarbruecker Zeitung

Die Geduld der Partner mit Viktor Orbán ist erschöpft

Beim EU-Sondergipf­el wollen die Staats- und Regierungs­chefs endlich das geplante Ukraine-Hilfspaket beschließe­n. Fällt Ungarns Blockade?

- VON KATRIN PRIBYL

Hat Viktor Orbán vor, den wichtigen EU-Gipfel am Donnerstag platzen zu lassen? „Der Grad der Nervosität ist sehr hoch“, sagte ein hochrangig­er EU-Beamter am Dienstag. Er scheint deutlich höher als sonst, auch wenn es noch mehr als 24 Stunden sind, bis die 26 Staats- und Regierungs­chefs gemeinsam den ungarische­n Ministerpr­äsidenten zum Einlenken bewegen wollen – „in Brüssel eine Ewigkeit“, sagte ein Diplomat und schob nach: „Ohne Drama geht hier sowieso nichts.“

Neben der Revision des langjährig­en EU-Budgets steht der Streit um 50 Milliarden Euro im Fokus, die die Gemeinscha­ft verteilt über vier Jahre für die von Russland überfallen­e Ukraine in ihrem Haushalt reserviere­n will. Aber Orbán hatte schon beim

Spitzentre­ffen Mitte Dezember den Beschluss über das geplante Hilfspaket blockiert und beharrt seitdem auf seinem Nein, auch wenn er zuletzt so etwas wie Kompromiss­willen anklingen ließ.

Ungarn sei bereit, „sich an der Lösung der 27 zu beteiligen, wenn sie garantiere­n, dass wir jedes Jahr entscheide­n, ob wir dieses Geld weiter senden oder nicht“, sagte der Autokrat dem französisc­hen Magazin „Le Point“. Diese jährliche Entscheidu­ng müsse die gleiche Rechtsgrun­dlage haben wie heute. Das bedeutet: Sie würde Einstimmig­keit erfordern. „Leider wird dieser Standpunkt von einigen Ländern als Mittel verstanden oder interpreti­ert, um sie jedes Jahr zu erpressen“, so Orbán, der die finanziell­e und militärisc­he Unterstütz­ung der EU für die Ukraine wiederholt scharf kritisiert hat und weiterhin enge Kreml-Beziehunge­n pflegt. Tatsächlic­h weigern sich die meisten EU-Staaten, eine solche Konzession zu machen. „Wir nennen das Vetorecht“, hieß es von einem Beamten nur. Dementspre­chend angespannt dürfte die Stimmung sein, wenn am heutigen Mittwochab­end die Staatenlen­ker zum Essen in Brüssel zusammenko­mmen.

Viel steht auf dem Spiel bei diesem Sondertref­fen, für zahlreiche Mitgliedst­aaten sei die Frage der Ukraine-Unterstütz­ung „existenzie­ll“. Und die Geduld der Partner schwindet. „Die Frustratio­n nimmt immer weiter zu“, sagte ein Diplomat, womit er meinte: Den Staats- und Regierungs­chefs reicht es. Man wolle sich nicht länger „von Orbán auf der Nase herumtanze­n lassen“, hieß es. Dementspre­chend versuchen es die Partner auch nicht mehr nur mit gutem Zureden und Zugeständn­issen, sondern neuerdings mit Druck.

Seit Wochen kommen in vertraulic­hen Gesprächen mit Beamten immer wieder neue Strafmaßna­hmen zur Sprache, die die EU ergreifen könnte – mit Betonung auf „könnte“. Denn was lediglich Drohkuliss­e ist oder was tatsächlic­h in Betracht gezogen wird, lässt sich nicht klar sagen. So bestünde theoretisc­h etwa die Möglichkei­t, die Ratspräsid­entschaft der Ungarn, die turnusmäßi­g im zweiten Halbjahr 2024 dran wären, zu verschiebe­n. Noch drastische­r wäre der Schritt, Ungarn nach Artikel 7 des EU-Vertrags das Stimmrecht im Europäisch­en Rat zu entziehen, also im Gremium der 27 Mitgliedst­aaten. Neben Überlegung­en, Budapest EU-Mittel zu streichen, berichtete die „Financial Times“außerdem von einem angebliche­n Plan, wonach die Regierunge­n die zurzeit ohnehin straucheln­de ungarische Wirtschaft gezielt schlechtre­den und damit schwächen sollen, wenn Orbán seinen Widerstand fortführt. Würden die Mitgliedst­aaten die nervösen Finanzmärk­te zur Bestrafung des ungarische­n Rechtspopu­listen nutzen und den Streit so vollends eskalieren?

Dass allein solche Spekulatio­nen diskutiert werden, veranschau­licht die aufgestaut­e Wut in Brüssel. Es handele sich lediglich um einen kleinen Kreis, der wisse, was exakt in dem Papier stehe, sagten gestern erfahrene EU-Beamte. Angeblich sei es „nur eine Art Sachstand“. Von einem EU-Sprecher hieß es, das Papier sei „in eigener Verantwort­lichkeit vom Ratssekret­ariat“verfasst worden. Trotzdem, die EU lässt ihre Muskeln spielen. Ob die Strategie hilft, wird sich am Donnerstag, „vermutlich in letzter Minute“, zeigen, wie Diplomaten mutmaßten. Man strebe eine Lösung an, die von allen 27 Partnern getragen werde. Die Hilfszahlu­ngen nur im Kreis der 26, also ohne Ungarn, zu gewähren, ginge zwar, würde aber neue Probleme aufwerfen, vor allem weil man dann außerhalb der Verträge agieren würde. Ein Plan B wie dieser liegt sicherlich trotzdem bereits in den Schubladen. Nur reden will zurzeit darüber niemand – noch.

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FOTO: DENES ERDOS/AP/DPA Vor dem EUGipfel wird versucht, den Druck auf Ungarns Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán zu erhöhen.

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