Wer hinschaut, sieht „Die Träne einer Hure“
Am St. Johanner Markt hat sich das Umfeld geändert. Das kommt auch der Kunst zugute.
die Fußgängerzone am St. Johanner Markt im vergangenen Jahr erweitert wurde, wurden die unterschiedlichsten Poller und Fahrbahnbegrenzungen abgebaut. Davon profitieren die Skulpturen, die während des internationalen Bildhauersymposions 1978 für den Markt geschaffen wurden, die jetzt freier stehen und daher besser zur Geltung kommen.
Die größte, zusammenhängende Skulpturengruppe ist dabei das Arrangement von acht Steinen an der Kreuzung St. Johanner Markt/ Fassstraße von Paul Schneider. Sieben quaderförmige, unterschiedlich hohe Steine und ein pfeilerartig, viel höherer Stein aus grauem Granit bilden diese Gruppe, die zwischen wenigen Zentimetern und bis zu zweieinhalb Meter in der Höhe messen.
Der hohe Stein, der durch eine sehr regelmäßige Fugung gekennzeichnet ist, überragt dabei deutlich die übrigen Steine. Seine Gestaltung erinnert an die Eckquaderprofilierungen, mit denen der Barockbaumeister Friedrich Joachim Stengel
seine Bauten zu verzieren verstand, und die auch mehrfach an den Häusern des St. Johanner Marktes vorkommt. Diese Fugung nimmt Paul Schneider als Motiv auch in den niedrigeren Steinen auf, aber deutet sie hier nur an.
Der hohe Stein steht im Mittelpunkt eines gepflasterten Kreises auf dem Boden und bildet zugleich den Angelpunkt für die Aufstellung der
übrigen sieben Steine. Diese Steine wurden in verschiedene Richtungen ausgerichtet, sie zeigen zum ehemaligen Obertor oder zur katholischen Kirche St. Johann, einem weiteren Gebäude von Stengel.
Daneben wurden diese Steine, die auch als Sitzgelegenheiten dienen können, auf der Oberfläche unterschiedlich und sehr reduziert gestaltet. So nimmt einer das regelmäßige Muster des Bodenbelags auf, ein anderer zeigt eine tropfenförmige Steinintarsie, die als „Träne einer Hure“an die zur Aufstellungszeit noch nicht vergessene Geschichte des St. Johanner Markts als Ort der Prostitution erinnert.
Inmitten der Skulpturengruppe ist auf dem Boden eine Platte eingelassen, auf der zu lesen ist, dass auch der Entwurf und die Ausführung der Bodenfläche des St. Johanner Marktes von dem renommierten saarländischen Bildhauer Prof. Paul Schneider stammt. Und der wählte den Standort seiner großen Skulpturengruppe mit viel Bedacht. Denn tatsächlich widmete er seine Steingruppe dem fürstlichen Baumeister Friedrich Joachim Stengel, der im 18. Jahrhundert das Erscheinungsbild von Saarbrücken und St. Johann maßgeblich geprägt hat.
Zu dieser Zeit stand an dem heutigen Standort der Skulpturengruppe das Haus Fassstraße 2, mit dem Stengel den Markt nach Osten optisch begrenzt hatte, und das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. (Quelle: „Kunstort Saarbrücken: Kunst im öffentlichen Raum von Paul Schneider“, Saarbrücken 2012).