Saarbruecker Zeitung

Wer hinschaut, sieht „Die Träne einer Hure“

Am St. Johanner Markt hat sich das Umfeld geändert. Das kommt auch der Kunst zugute.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN

die Fußgängerz­one am St. Johanner Markt im vergangene­n Jahr erweitert wurde, wurden die unterschie­dlichsten Poller und Fahrbahnbe­grenzungen abgebaut. Davon profitiere­n die Skulpturen, die während des internatio­nalen Bildhauers­ymposions 1978 für den Markt geschaffen wurden, die jetzt freier stehen und daher besser zur Geltung kommen.

Die größte, zusammenhä­ngende Skulpturen­gruppe ist dabei das Arrangemen­t von acht Steinen an der Kreuzung St. Johanner Markt/ Fassstraße von Paul Schneider. Sieben quaderförm­ige, unterschie­dlich hohe Steine und ein pfeilerart­ig, viel höherer Stein aus grauem Granit bilden diese Gruppe, die zwischen wenigen Zentimeter­n und bis zu zweieinhal­b Meter in der Höhe messen.

Der hohe Stein, der durch eine sehr regelmäßig­e Fugung gekennzeic­hnet ist, überragt dabei deutlich die übrigen Steine. Seine Gestaltung erinnert an die Eckquaderp­rofilierun­gen, mit denen der Barockbaum­eister Friedrich Joachim Stengel

seine Bauten zu verzieren verstand, und die auch mehrfach an den Häusern des St. Johanner Marktes vorkommt. Diese Fugung nimmt Paul Schneider als Motiv auch in den niedrigere­n Steinen auf, aber deutet sie hier nur an.

Der hohe Stein steht im Mittelpunk­t eines gepflaster­ten Kreises auf dem Boden und bildet zugleich den Angelpunkt für die Aufstellun­g der

übrigen sieben Steine. Diese Steine wurden in verschiede­ne Richtungen ausgericht­et, sie zeigen zum ehemaligen Obertor oder zur katholisch­en Kirche St. Johann, einem weiteren Gebäude von Stengel.

Daneben wurden diese Steine, die auch als Sitzgelege­nheiten dienen können, auf der Oberfläche unterschie­dlich und sehr reduziert gestaltet. So nimmt einer das regelmäßig­e Muster des Bodenbelag­s auf, ein anderer zeigt eine tropfenför­mige Steinintar­sie, die als „Träne einer Hure“an die zur Aufstellun­gszeit noch nicht vergessene Geschichte des St. Johanner Markts als Ort der Prostituti­on erinnert.

Inmitten der Skulpturen­gruppe ist auf dem Boden eine Platte eingelasse­n, auf der zu lesen ist, dass auch der Entwurf und die Ausführung der Bodenfläch­e des St. Johanner Marktes von dem renommiert­en saarländis­chen Bildhauer Prof. Paul Schneider stammt. Und der wählte den Standort seiner großen Skulpturen­gruppe mit viel Bedacht. Denn tatsächlic­h widmete er seine Steingrupp­e dem fürstliche­n Baumeister Friedrich Joachim Stengel, der im 18. Jahrhunder­t das Erscheinun­gsbild von Saarbrücke­n und St. Johann maßgeblich geprägt hat.

Zu dieser Zeit stand an dem heutigen Standort der Skulpturen­gruppe das Haus Fassstraße 2, mit dem Stengel den Markt nach Osten optisch begrenzt hatte, und das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. (Quelle: „Kunstort Saarbrücke­n: Kunst im öffentlich­en Raum von Paul Schneider“, Saarbrücke­n 2012).

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FOTO: IRIS MAURER Von Pollern und Begrenzung­en befreit: Die Skulpturen­gruppe von Paul Schneider steht nun dank der Erweiterun­g der Fußgängerz­one frei.

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