Bei ihr gibt es Literatur sogar für die Hunde
Sie ist bei Saarbrückern, die sich schon länger in der Kulturszene bewegen, noch bestens in Erinnerung. Die rötliche Mähne von Katharina Fiedler konnte man stets bei Festivals und anderen Kulturereignissen sichten, im Schlepptau meist ein Fernsehteam des
Finde mich in einem großen alten Haus inmitten eines verwunschenen Gartens“, lautet die Anweisung der Gastgeberin. Das Navi braucht es etwas präziser, landet aber dann doch pünktlich und bei wuseligem Regen in der Nähe der Galgendell. Jetzt sind es nur noch unzählige steile Treppenstufen hinauf, durch winterschlummernde Rosenbögen – und hier wohnt, nein residiert sie: Katharina Fiedler, die Literaturqueen der Saarbrücker Kleinkunstbühne, die in den 80er
Jahren, 90er- und Nuller-Jahren als eine der wenigen wirklich erfolgreichen Frauen beim SR für die Sparten lokale Kultur, Soziales und SaarLorLux stand.
Es gibt heißen Tee, Plätzchen und einen atemberaubenden Blick über das nebelverhangene Naherholungsgebiet des Almet. Sie ist Saarländerin durch und durch, „aber leider ohne Dialekt.“Im Arzthaushalt der Eltern war er verpönt, blieb aber immer ein Sehnsuchtsort. Verpönt war auch der frühe Berufswunsch: Schauspielerin. Komödiantin! Hungerleiderin! Die Tochter sollte stattdessen in die medizinischen Fußstapfen des Vaters treten. „Völlig
uninteressant! Meine große Liebe war die Sprache!“– und ist es bis heute geblieben.
Nach dem Abitur wurde im legendären „Hades“gejobbt (ältere Saarbrücker erinnern sich noch an die Spaghetti dort), es folgten Dolmetscher-Ausbildung, Romanistik-Examen, Lehraufträge in Saarbrücken und Trier. „Es war wunderbar, es war langweilig. Hinter den Fenstern der Hochschulen musste es doch irgendwo noch ein anderes Leben geben. Also begab ich mich auf die Suche.“
Katharina Fiedler wagte den Neuanfang, machte Praktika und dann Volontariat beim SR. Schnell hatte sie ihren Platz als freie Journalistin im Hörfunk, nur wenig später auch beim Fernsehen gefunden. „Perspectives, das Max-Ophüls-Festival, die Premieren des Staatstheaters, fast alle Kulturevents habe ich über Jahre im Aktuellen Bericht oder im Kulturspiegel journalistisch begleitet. Dazu kamen frauenpolitische Themen, Features über Menschen am Rande der Gesellschaft – ach, eigentlich hat mich immer alles interessiert, was ich in die Finger bekam!“, lacht sie.
Ab 1987 gerieten mit der grenzüberschreitenden SR/SWR-Sendereihe „Fahr mal hin“auch noch kulturell, historisch und touristisch interessante Ziele rund um SaarLorLux in ihr Blickfeld. Etwa elf Filme davon hat sie im Laufe der Jahre gedreht.
Mitreißend erzählt Katharina Fiedler von faszinierenden Lokalitäten, von Vorabbesichtigungen der Drehorte bei Wind und Wetter,
von zufälligen Begegnungen mit unscheinbaren Menschen, die den Erinnerungsschatz einer ganzen Region in sich trugen und nur darauf zu warten schienen, ihn weitergeben zu dürfen.
Und schnell wird klar: Sie hat die Gabe, Menschen zum Sprechen zu bringen, ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen, sie wichtig zu nehmen. Neugierig stellt sie Fragen über Fragen, um dann nur noch den
Erzählstrom wirken zu lassen.
Katharina Fiedler ist dem SR als „feste Freie“ein Arbeitsleben lang treu geblieben. Es kamen Angebote von Rai in Rom, vom ARD-Studio in Paris – hat sie gar nichts weglocken können aus dem kleinen Saarland? „Oh doch! Klasse wär das schon gewesen, in der Welt herumzustromern! Aber ich musste mich nach dem frühen Tod des Vaters um meine Mutter kümmern, war selber alleinerziehend, da packt man dann nicht einfach so hopplahopp die Koffer“.
Diese alterslose, schöne Frau mit der etwas altmodischen, feinen Attitüde einer mondänen Diva – in ihr steckt dann doch auch die sorgende Mamma der italienischen Literatur, die sie so sehr liebt und – so ganz en passant erwähnt – selbstverständlich im Original liest.
Seit ein paar Jahren ist Katharina Fiedler im Ruhestand. „Wie bitte? Never!“Und tatsächlich kann man sie sich nicht als Grand Old Schachtel vorstellen. Sie krault ihre beiden turbulenten Hunde, die bitte nur auf Französisch angesprochen werden wollen. „Ich bin seitdem nicht mehr nur in SaarLorLux unterwegs, sondern bereise die ganze Welt – der Literatur!“
Aus der Journalistin ist eine umtriebige Flaneurin geworden, die in ihren literarischen Streifzügen in Lyrik und Prosa personenbezogene Abende über Droste Hülshoff, Ebner-Eschenbach, Heine und Kästner zusammenstellt. Oder auch mal literarische Nachhilfestunden zu Themen wie „Die Liiiebe – die bitte was!?“oder „Porno, Pikanterien und Ferkeleien – Die Welt unter der Gürtellinie“erteilt.
Mit immer wechselnden Partnerinnen und Partnern rockt sie dann das Theater im Viertel, den Schlosskeller und früher auch die leider geschlossene Bühne im Leidinger. Birgit Giokas, Fred und Thessy Woywode, Peter Tiefenbrunner, Barbara Scheck, Moschgan Ebrahimi, Gabriele Bernstein – ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter lesen sich wie das Who is Who der saarländischen Kleinkunst.
„Hinter den Fenstern der Hochschulen musste es doch irgendwo noch ein anderes Leben geben! Also begab ich mich auf die Suche.“Katharina Fiedler
„Ach Quatsch! Ich finde das chic! 100 Jahre sind doch toll!“Katharina Fiedler übers Altwerden
„Diese Programme zusammenzustellen macht einen Mordsspaß“, erzählt sie. „Inzwischen sind es die Themen, die mich reizen und nicht mehr nur die Dichter.“Im Nu ist der große Holztisch vollgepflastert mit Büchern, Plakaten und Manuskripten, aus denen sie begeistert vorliest. Und sie ist eine gekonnte Rezitatorin, rauft sich die Haare, ringt die Hände, wirft lange Blicke in die Dunkelheit vor den Fenstern. Es ist schwer, sich ihrem Bann zu entziehen. Vieles trägt sie auswendig vor. „Um das alles sicher in den Kopf zu kriegen, bedarf es stundenlanger Spaziergänge mit den Hunden.“Es sind literarisch gebildete Tiere.
So hat sich Katharina Fiedler also zu guter Letzt doch noch ihren Jugendwunsch von der Schauspielerei erfüllt? Sie lacht und zitiert Kästner: „Wünsche sind nur gut, wenn man sie noch vor sich hat“. Also auch keine Angst vorm Altwerden? „Ach Quatsch! Ich finde das chic! 100 Jahre sind doch toll!“. Man glaubt es ihr sofort.
Passend zur späten Stunde gibt es schnell noch Kostproben ihres neuen Programms über Geister, Dämonen und Gespenster. Da gruselt es schon ein wenig, sich im Dunkeln über die Galgendell wieder auf den Heimweg zu machen.