EU-Impfkampagne soll viele Menschenleben retten
Sie weiß, wovon sie spricht, denn EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ist selbst von Krebs betroffen. „Jedes Jahr fordert der Gebärmutterhalskrebs in der EU 14 000 Menschenleben“, sagte sie am Mittwoch, als sie den gerade von der EU-Kommission beschlossenen EU-Impfplan gegen Krebs vorstellte. Wegen der sehr begrenzten Zuständigkeiten der EU auf dem Feld der Gesundheit besteht er im Wesentlichen aus Empfehlungen, Hinweisen und Kampagnenunterstützungen. Ziel sei es, die HPV-Impfquote bei Mädchen bis 2030 auf 90 Prozent zu bringen und auch deutlich mehr Jungen zu impfen. Es geht um das humane Papillomavirus (HPV) und das Hepatitis-B-Virus (HBV), bei denen eigentlich ein kleiner Pieks reicht, um schwerste Erkrankungen mit Todesfolge zu verhindern.
Gerade in Deutschland scheint das bitter nötig zu sein.
Denn der Trend zeigt dramatisch deutlich in die entgegengesetzte Richtung. Nach neuesten Erhebungen der Krankenkasse DAK gingen HPV-Impfungen insgesamt um 25 Prozent zurück, bei 15- bis 17-jährigen Jungen sogar um 42 Prozent. Das Bewusstsein, nicht nur das Leben einer Sexualpartnerin retten, sondern einen Krebsbefall auch der eigenen Genitalien verhindern zu können, scheint angesichts dieser Zahlen nicht sehr weit verbreitet zu sein. Das will die EU nun ändern.
Zu den beschlossenen Empfehlungen der Kommission gehört es unter anderem, kostenlose Impfungen anzubieten, Impfungen leicht zugänglich zu machen, Immunisierungen gegen verhütbare Krebsarten in nationale Krebspläne einzubeziehen, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, ein konkretes Ziel für HPV-Impfungen auch bei Jungen festzulegen, solide elektronische Impfregister anzulegen und bewährte Verfahren mit anderen Mitgliedstaaten auszutauschen. Die EU will aus ihrem Haushalt auch eine gemeinsame Aktion finanzieren, um die Mitgliedstaaten bei der Steigerung der HPV-Impfungen und der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten wie Hepatitis und HIV/Aids zu unterstützen.
„Die Prävention wird immer die bessere Art der Krebsbekämpfung sein“, unterstrich Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas. Er verwies darauf, dass 40 Prozent der Krebserkrankungen vermeidbare Ursachen haben. „Wir haben den Spielraum, etwas zu bewirken“, folgerte Schinas daraus.
Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werde Jahr für Jahr bei 2,7 Millionen Menschen in der EU eine Krebserkrankung diagnostiziert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den Kommissionsbeschluss. „Dass sich Europa dem Kampf gegen Krebs zuwendet, ist dringend notwendig“, sagte der Minister unserer Redaktion. „Unser Ziel muss es sein, Krebs wenn möglich zu verhindern und – falls das misslingt – Krebs schnell zu erkennen und richtig zu behandeln“, betonte Lauterbach.
Krebsprävention und Screening sowie eine evidenzbasierte Medizin seien die besten Waffen im Kampf gegen den Krebs. Die Krankenhausreform in Deutschland sei diesem Ziel besonders verpflichtet. „Mit mehr Spezialisierung lassen sich viele Menschen retten“, zeigte sich Lauterbach überzeugt.
Zustimmung kam auch aus dem parlamentarischen Raum. „Die Empfehlung der EU-Kommission zur Impfung gegen Krebs ist ein wichtiger Teil des Aktionsplans gegen Krebs, den die Kommission auf Drängen meiner Fraktion auf den Weg gebracht hat“, sagte der CDUEuropaabgeordnete und Arzt Peter Liese. Schon heute ließen sich viele tausend Krebserkrankungen durch rechtzeitige Impfungen verhindern. Dabei komme es in den Mitgliedstaaten darauf an, die Impfungen niedrigschwellig und kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Die Impfstrategie der Kommission wirft auch einen Blick auf künftige Möglichkeiten. So befänden sich andere Impfstoffe in der Entwicklung. Sie bauten auf einer mRNA-Plattform auf, wie sie auch für die Corona-Impfstoffe verwendet worden sei. Dabei gehe es beispielsweise um erfolgreiche Einsätze gegen das Bakterium Helicobacter pylori, das Magenkrebs verursachen könne.
Darüber hinaus unterstützten die Projekte der Europäischen Arzneimittel-Agentur die Entwicklung innovativer Arzneimittel für bislang noch ungedeckten medizinischen Bedarf im Umgang mit Krebserkrankungen. „Präventive Impfstoffe gegen durch Infektionen verursachte Krebserkrankungen dürften in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen“, sagt die EU-Kommission in ihrem Anti-Krebs-Plan voraus.
Auch auf bedrückende Auswirkungen von Krebserkrankungen will die Kommission blicken. So kündigte die Gesundheitskommissarin an, sich bei Banken und Versicherungen für einen neuen Verhaltenskodex einzusetzen. Er solle dazu führen, dass Menschen, die bereits vor vielen Jahren an Krebs erkrankten, nicht länger bei der Vergabe von Krediten diskriminiert würden.