Saarbruecker Zeitung

Der Kanzler meldet sich im Bundestag zurück

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Im Berliner Regierungs­viertel wird derzeit ein Buch heiß gehandelt: „Triggerpun­kte“von Steffen Mau. Darin zeigen Mau und seine Co-Autoren gekonnt auf, dass eine Gesellscha­ft im Großen und Ganzen gut zusammenle­bt und viel Konsens herrscht. Doch es gibt „Triggerpun­kte“, an denen vielen der Geduldsfad­en reißt und der Konsens in Frage gestellt wird. Auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz gehört zu den Lesern des Buchs. Und irgendwie drängt sich der Eindruck auf, dass auch bei dem SPD-Kanzler am Mittwoch ein „Triggerpun­kt“erreicht war. In der Generaldeb­atte im Bundestag trat ein verwandelt­er Kanzler ans Rednerpult. Scholz drehte auf: in der Lautstärke, dem Inhalt und dem rednerisch­en Engagement. Opposition­sführer Friedrich Merz, der Scholz vor Weihnachte­n im Bundestag persönlich sehr scharf angegangen war, wusste gar nicht recht, wie ihm geschieht. Scholz war damals aufgrund des Haushaltss­treits in der Regierung in der Defensive.

Doch am Mittwoch kämpfte sich Scholz zurück – und griff Merz und dessen Redebeitra­g frontal und geschickt an. Es war eine Attacke, die auch der eigenen Verteidigu­ng diente: Miese Umfragewer­te, Dauerstrei­t in der Ampel-Koalition und dadurch auch Kritik an seinem Führungsst­il und seiner Kommunikat­ion aus den eigenen Reihen ließ Scholz lange an sich abperlen. Doch spätestens seit den Protesten der Bauern und anderer Berufsgrup­pen und sehr miesen persönlich­en Umfragewer­ten ist auch Scholz klar: Sein Vertrauens­vorschuss, der auch vom hohen Amt des Bundeskanz­lers herrührt, ist verbraucht. Erlebt das Land nun einen „neuen Scholz“, der weiß, dass er sich zurückkämp­fen muss? Und das umsetzen kann? Beim ersten Rededuell dieses Jahres zumindest konnte Scholz punkten.

Auch Merz sparte nicht mit

Kritik und schloss eine weitere Zusammenar­beit der Union mit der Ampel-Koalition weitgehend aus. Die Regierungs­koalition mache von ihrer Parlaments­mehrheit „kaltschnäu­zig und rücksichts­los“Gebrauch, sagte er und nannte als Beispiele das Staatsbürg­erschafts- und das Wahlrecht. Einen Punkt hatte er bei den Zuwächsen in den Umfragen für die AfD, die sich etablierte­n, als die Koalition sich im unrühmlich­en Streit im Sommer 2023 über das Heizungsge­setz verlor.

Einig waren sich Merz und Scholz in ihrer Kritik an der AfD. Deren Rednerin, Parteichef­in Alice Weidel, war noch schriller als sonst und empörte sich über eine angebliche Verleumdun­gskampagne gegen ihre Partei. Die Töne von Weidel waren hetzerisch. Die AfD ist mit den Enthüllung­en über das Potsdamer Geheimgesp­räch ins Mark getroffen worden, die nächsten Monate werden für alle demokratis­chen Kräfte in der Auseinande­rsetzung deutlich härter. Da müssen auch die Fraktionen im Bundestag zusammenst­ehen. Dennoch: Ein Regierungs­chef, der energisch seine Politik verteidigt, ein Opposition­schef, der den Finger in die Wunde legt – genau das ist parlamenta­rische Demokratie. Und nach teilweise sehr konfusen Parlaments­debatten im vergangene­n Jahr, an denen auch Scholz nicht unschuldig war, war der Mittwoch ein guter Tag in Berlin.

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