Saarbruecker Zeitung

Das EU-Lieferkett­engesetz steht auf der Kippe

Eigentlich waren sich die EU-Institutio­nen schon einig über das Lieferkett­engesetz. Doch plötzlich blockiert die FDP. In Brüssel ist man irritiert.

- VON KATRIN PRIBYL

In Brüssel erleben sie gerade ein Déjà-vu und das hat ausgerechn­et mit einem Phänomen zu tun, das im EU-Jargon unter dem unseligen Begriff „German Vote“bekannt ist. Damit wird bezeichnet, wenn sich Deutschlan­d bei Abstimmung­en im Kreis der 27 Mitgliedst­aaten enthält, weil sich die Koalitions­partner nicht einigen können. Bei der Enthaltung im Rat handelt es sich um ein freundlich­es Nein, wenn man so will. Nun droht nach dem Drama um das Verbrenner-Aus im vergangene­n Jahr ein weiteres wichtiges EU-Projekt zu kippen, weil die FDP auf den letzten Metern intervenie­rt – und blockiert. Es geht um das EU-Lieferkett­engesetz, das europäisch­e Unternehme­n verpflicht­en soll, in aller Welt die Einhaltung von Sozial- und Umweltstan­dards durchzuset­zen, also auch bei den Zulieferer­n. Konkret heißt das: Firmen mit mehr als 500 Mitarbeite­rn und 150 Millionen Euro Jahresumsa­tz sollen künftig Informatio­nen über entspreche­nde Risiken in Sachen Naturschut­z und Menschenre­chtsverlet­zungen in ihren Lieferkett­en sammeln, auswerten und Gegenmaßna­hmen ergreifen. Wurden Wälder und andere Ökosysteme beispielsw­eise im großen Stil abgeholzt, um Platz zu schaffen für den Anbau von Soja oder Kakao? Wer gegen die Regeln

verstößt, muss mit Bußgeldern oder gar Klagen rechnen.

Eigentlich hatten sich die drei Institutio­nen, also das Gremium der 27 Mitgliedst­aaten, die EU-Kommission sowie das Europaparl­ament, bereits im Dezember auf den Entwurf der Richtlinie geeinigt. Eigentlich. Im Normalfall ist alles, was nach diesem politische­n Kompromiss im sogenannte­n Trilog-Verfahren folgt, mehr oder minder Formsache. Doch normal scheint schon länger nichts mehr in Berlin. Denn sollte es dabei bleiben, dass die FDP gegen das Gesetz rebelliert, müsste

sich die deutsche Regierung beim Schlussvot­um am Freitag nächste Woche enthalten. Damit wäre die Mehrheit im europäisch­en Ministerra­t gefährdet – und das Projekt gescheiter­t?

Dass die Bundesregi­erung einen grundsätzl­ich ausverhand­elten Plan zum Lieferkett­engesetz so spät im Prozedere in Frage stellt, empfinden die Vertreter vieler anderer EU-Länder als bedenklich­en Präzedenzf­all, der die europäisch­e Kompromiss­kultur ruinieren könnte. Der Ärger ist entspreche­nd groß. Denn es passiert nicht zum

ersten Mal. Bereits im vergangene­n Jahr sorgte die Last-Minute-Interventi­on der FDP beim Thema Verkaufsve­rbot für Neuwagen mit Verbrenner­motoren ab 2035 für Frust und Unmut, auch wenn die Liberalen entgegen ihren Behauptung­en nur minimale Änderungen durchsetze­n konnten. „Wenn der größte Mitgliedst­aat nicht berechenba­r ist, ist das wenig hilfreich“, klagte nun ein Insider in Brüssel. Die Bundesregi­erung verspiele die Glaubwürdi­gkeit der gesamten Bundesregi­erung in der EU, hieß es von Seiten einiger EU-Beamter. Was nämlich ist ein Deal mit den Deutschen noch wert?

Die Verhandlun­gen über die Richtlinie laufen seit rund zwei Jahren, Berlin hatte dem Verhandlun­gsmandat Ende 2022 zugestimmt, auch wenn Bedenken schon länger geäußert wurden. Nur der politische Kompromiss sei „insgesamt zu unklar, zu bürokratis­ch und nachteilig für die Wirtschaft“, monierte der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI). „Das Europäisch­e Lieferkett­engesetz droht ein Papiertige­r zu werden, der vor allem Bürokratie schafft und zum Rückzug europäisch­er Unternehme­n führt, statt effektiv Menschenre­chte zu stärken“, kritisiert­e die FDP-Europaabge­ordnete Svenja Hahn am Mittwoch. Die Richtlinie drohe „unverhältn­ismäßig weit über das deutsche Lieferkett­engesetz hinauszuge­hen“. Noch laufen die Gespräche in Berlin zwischen SPD, Grünen und FDP. Umso lauter sind nicht nur die Gegner, sondern auch die Befürworte­r der Richtlinie. „Viele deutsche und europäisch­e Unternehme­n befürworte­n das deutsche Lieferkett­engesetz und fordern explizit und öffentlich ein strengeres EU-Gesetz“, sagte die Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi. Es sei „ein Gebot der Stunde, Lieferkett­en resiliente­r zu machen und einen regelbasie­rten Handel voranzubri­ngen“. Die Initiative Lieferkett­engesetz, zu der sich Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tionen zusammenge­schlossen haben, wütet. Deren Sprecherin Johanna Kusch sprach von einem „Zick-Zack-Kurs“der Liberalen. „Der Bundeskanz­ler sollte dieses Wahlkampfm­anöver der FDP zurückweis­en.“

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FOTO: ARNE IMMANUEL BÄNSCH/DPA Die 27 EU-Staaten und das Europaparl­ament hatten sich Mitte Dezember auf das EU-Lieferkett­engesetz geeinigt. Beide Seiten müssen diese Vereinbaru­ng noch billigen.

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